Sao Paulo Biennial °

Bienal de São Paulo / Parque Ibirapuera, Gate 3, Ciccillo Matarazzo Pavilion
04094-000 Sao Paulo

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artists & participants

Karim AinouzMassimo BartoliniDavid BatchelorUte Meta BauerRachel BerwickIngrid BookFernando BryceEdward BurtynskyMiguel Calderon Chelpa Ferro Chen ShaofengPaulo ClimachauskaWalmor CorreaJonas DahlbergThomas DemandJean DeparaAngela DetanicoAngela Detanico & Rafael LainMark DionSong DongHeri DonoLeandro ErlichInka EssenhighSamuel FossoHelmut FriedelCarlos GaraicoaKatya Garcia-AntonSimryn GillMarcelo GomesHenrik HåkanssonPatrick HamiltonNaoya HatakeyamaCarina HedenJuan Fernando HerranArturo Herrera Ingrid Book & Carina HedenSergej JensenEduardo KacToba KhedooriRafael LainVera LutterJorge MacchiMilton MarquesJulie MehretuAernout MikFrederic MoserFrederic Moser & Philippe SchwingerZwelethu Mthethwa Muntean / RosenblumMoataz NasrOtobong NkangaAlbert OehlenMelik OhanianCatherine OpieRosana PalazyanJorge PardoBruno PeinadoPavel PeppersteinEileen PerrierJorge QueirozHans Hamid Rasmussen RassimNeo RauchNavin RawanchaikulCaio ReisewitzLois RennerMatthew RitchieJulian RosefeldtTom SachsWilhelm SasnalMartin SastreThomas ScheibitzPhilippe SchwingerSantiago SierraAlec SothSimon StarlingThomas StruthSu-Mei TsePiotr UklanskiEulalia ValldoseraFrancesco VezzoliLaura Vinci Xu Bing Yin XiuzhenKrzysztof Zielinski 

curator

press release only in german

The Fundação Bienal de São Paulo will be opening its 26th Biennial on September 25, 2004. With the theme of Território Livre [in English, “Image Smugglers in a Free Territory], the exhibition will be held in 25,000 square meters of exhibition space on the three floors of the Ciccillo Matarazzo Pavilion, home of the Fundação Bienal, portão 3, Parque do Ibirapuera, São Paulo, Brazil.

This edition of the biennial – which is considered to be one of the three most important events of its kind in the world – features 140 artists from 60 different countries. The chief curator is Alfons Hug, who was in charge of the previous edition, in 2002.

The theme proposed derives from the idea of the no-man's land, not only geographically, politically and socially speaking, but mainly as an aesthetic field, where art defies the boundaries of reality.

The 26th Bienal de São Paulo is divided into 3 main segments: “National Representations”, Special Project Rooms and “Invited Artists”.

The “National Representations” segment presents the works of artists from 55 countries (one artist per country). The Bienal has encouraged the participation of a large number of African and Asian countries, which usually get little exposure in contemporary art shows. This year's edition also provides a special exhibition on African Photography, with a selection of 8 artists.

Offizieller deutscher Beitrag zur XXVI. Biennale in São Paulo, Brasilien Kommissar: Helmut Friedel, Städtische Galerie im Lenbachhaus München Künstler: Thomas Demand, Berlin Architekt: Arno Brandlhuber / b&k+, Köln

Thomas Demand zeigt auf der Biennale in São Paulo die Arbeiten Space Simulator (2003), Leuchtkasten/Lightbox (2004) und Küche/Kitchen (2004) und die für diesen Anlass neu entstandenen Photographien Wald/Forest (2003), Zaun/Fence (2004) und Gate (2004) sowie erstmals die Projektion des Films Trick (2004). In enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entwarf Arno Brandlhuber/b&k+, Köln, für die Präsentation des deutschen Beitrags eine Architektur, die in dem Ausstellungsgebäude, das Oscar Niemeyer Mitte der 50er Jahre errichtet hat, platziert wird und sich unmittelbar darauf bezieht.

Im Magen eines Architekten

Das charakteristische Merkmal von Oscar Niemeyers Pavillon für die Biennale 1964, der inmitten des Ibirapuera Parks von Sao Paulo liegt, ist seine schwungvolle grandiose Rampe, deren weit geöffnete, organische Kurve einen elliptisch vertikalen Pfad durch die vielen Ebenen dieses höhlenreichen Baus zieht. Mit dem Einsatz dieser Rampe belebt Niemeyer Le Corbusiers Idee einer "Promenadenarchitektur" neu und erlaubt uns, das Gebäude und die darin stattfindenden Veranstaltungen auf beinahe cineastische Weise zu erleben. Während wir uns körperlich durch dieses Gefüge bewegen, diesem gewundenen Pfad nach oben und unten folgen, sind wir vielfältigen Sichtachsen ausgesetzt, die durch verborgene Schichten von Architektur schneiden, um nach und nach eine Vielzahl simultaner Erzählungen zu entfalten. Es gibt allerdings weiter im Inneren, entfernt von der Eingangsfassade, eine weniger interessante und dynamische Möglichkeit, sich durch die Vertikalen des Pavillons zu bewegen. Hier finden wir eine Rolltreppe, die uns durch das Zentrum des Gebäudes nach oben führt und deren ganz und gar funktionale und deprimierend allgemeinverbindliche Zweckmäßigkeit in krassem Gegensatz zu dem heroisch phänomenalen Drama der Rampe steht. Wenn wir dieses ohne jede Inspiration entworfene und so traurig vernachlässigte Stiefkind der Architektur in Niemeyers Pavillon von der ersten zur zweiten Etage benutzen, finden wir uns unvermittelt in einer Art mimetischer Raumfalle wieder. Hier, im Magen des Niemeyer-Baus, hat der Künstler Thomas Demand seinen Deutschen Pavillion für die XXVI. Sao Paulo Biennale eingerichtet.

In Zusammenarbeit mit dem Architekten Arno Brandlhuber von b+k+ hat Demand eine Installation seiner Arbeiten entworfen, die ein Gebäude im Gebäude darstellt. Es ist eine konzeptuelle und räumliche Version der mise-en-abyme, wie man sie im Spiegelkabinett eines Jahrmarkts erlebt. Innerhalb dieses parasitären Raums, der so entworfen ist, dass er seinen modernistischen Wirt exakt simuliert, hat der Künstler eine Reihe seiner Fotografien in ein Foyer gehängt, das zu einer Cinemathek führt, die in ihrer Form und ihren Proportionen einen ähnlichen Raum auf der dritten Etage des Gebäudes exakt rekonstruiert. Wenn man den Raum betritt, kommt er einem zugleich sehr bekannt und ein klein wenig beunruhigend vor. Warum sollte eine Rolltreppe in solch einem offenen, modernen Gebäude in eine abgeschlossene architektonische Kapsel führen? Wichtiger noch, warum genau befindet sich die Cinemathek hier auf der zweiten Etage, wenn wir uns doch vage erinnern, dass sie in einem anderen Teil des Gebäudes untergebracht ist? Das subtile architektonische Mimikry, das hier am Werk ist, bewirkt eine beinahe unmerkliche psychische Verstörung im Betrachter, die ergänzt und verstärkt wird durch den Verdopplungseffekt, den der Künstler in seinen großformatigen Farbfotografien, die diese Ausstellung in der Ausstellung bevölkern, aufzeigt. Es stellt sich die Frage, warum ein Künstler, der sich entschieden hat, vor allem mit Fotografie und Film zu arbeiten, sich so sehr mit architektonischer Räumlichkeit befasst? Diese Frage wäre selbstverständlich zwingend, wenn es sich um einen Künstler handelte, der ausschließlich Fotograf ist. Die Antwort ist allerdings viel komplexer, da Thomas Demand paradoxerweise ein Künstler ist, dessen Arbeit eine neuere Version der von der amerikanischen Kunsthistorikerin Rosalind Krauss sogenannten "Skulptur im erweiterten Feld" verkörpert. Sie hat diesen Begriff entwickelt, um der Vielfalt der Konzeptkunst der 60er und 70er Jahre gerecht zu werden, die etablierte Grenzen zwischen den traditionellen Medien der Malerei, Skulptur und Fotografie in Frage stellte und zuweilen bewusst ablehnte. Demand stellt plastisch virtuelle Räume her, die im weiteren Verlauf ihrer Fertigstellung eine fotografische Form annehmen. Vielleicht besser gesagt, er ist ein Künstler, der sich auf dem Territorium zwischen der Dreidimensionalität der Objektwelt (ein Bereich, der auch die Architektur einschließt) und der Flachheit der Bildwelt piktoraler Reproduktion bewegt. An dieser Schnittstelle von Fläche und Volumen findet Demands Arbeit sowohl formal als auch inhaltlich ihren architektonischen Schwerpunkt.

Seitdem Demand Mitte der 90er Jahre in der zeitgenössischen internationalen Kunstszene bekannt wurde, hat er eine einzigartig hybride künstlerische Methode entwickelt, nach der er bis ins Detail Bilder rekonstruiert, die er dem riesigen fotografischen Archiv unserer Kultur entnimmt. Er repliziert sie in seinem Atelier als lebensgroße plastische Tableaux aus Papier und Pappe, den vergänglichsten aller Baumaterialien. Diese außergewöhnlich prekären und sorgfältig ausgeleuchteten Strukturen übernehmen die Rolle einer Kulissenarchitektur, die nur so lange existiert, bis sie auf Film gebannt sind. Danach werden sie zerstört und leben nur in Form des zweidimensionalen Gedächtnisses weiter, dessen Halbwertzeit die großformatigen Abzüge festlegen.

Auf den ersten Blick erscheinen Demands Arbeiten als exzessiv hyperreale Abbildungen der banalen Architektur unserer Alltagswelt. In diesen Bildern bewegen wir uns durch eine Vielzahl gespenstisch bekannter und doch völlig anonyme Szenarien: von einem leeren Treppenhaus in einer namenlosen Einrichtung (ist es ein Krankenhaus, eine Schule, ein Gefängnis?) zu einem Allerweltsflur in einem durchschnittlichen Wohnblock, um uns dann in einem verwüsteten Büro oder am leeren Set eines Fernsehstudios wieder zu finden. Bei näherer Betrachtung werden diese Bilder allerdings langsam instabil, da die Nähte zwischen den sorgsam zusammengefügten Oberflächen hervortreten. Was auf den ersten Blick eine Welt von solider Struktur zu sein schien, stellt sich als Scheinwelt heraus. Diese Instabilität rührt zunächst her vom absichtlich handwerklichen Aussehen der Rekonstruktionen. Wir erwarten nicht, in etwas hineingezogen zu werden, was letztlich virtuelle Architektur aus Papier ist. Das allein genügt, dass wir unsere ausgeprägte visuelle Gewissheit in Zweifel ziehen. Doch liegt in den Fotografien auch ein psychisches Unbehagen, eine Beklommenheit, die gleichermaßen von dem mehrdeutigen Inhalt der Arbeiten, der nicht ganz in unsere Wahrnehmung eindringt, ausgeht wie von ihren Verfahrensweisen, die kurz vor einem Trompe l'oeil Halt macht.

Es stellt sich heraus, dass Demands Tableaux größtenteils auf gefundenen Fotografien völlig unscheinbarer Orte basieren, die durch irgendeine Wendung des Schicksals und der Geschichte für einen Moment kulturelle Bedeutung angenommen haben. In Archiv (1995) rekonstruierte Demand zum Beispiel eine Fotografie von Regalen der deutschen Filmemacherin Leni Riefenstahl, die bekannt wurde als Regisseurin des berüchtigten Films Triumph des Willens, einer vorgeblichen Dokumentation des Nürnberger Parteitags der Nazis 1936. Doch wie bei allen seinen Arbeiten liefert uns der Künstler keine dieser Informationen. Stattdessen werden wir mit einer harmlosen Szene konfrontiert, die Regal um Regal mit Archivkartons zur Aufbewahrung von 16 mm Filme zeigt. Bis unter die Decke und am Boden gestapelt, sind die Kartons unbeschriftete und unverkennbar stumme Zeugen der unbekannten visuellen Geschichte in ihrem Innern. Obwohl der Künstler mit dem Erbe minimalistischer Skulpturen gespielt haben mag als er die geometrische Perfektion dieser Behälter entworfen hat, enthält er sich doch aller kunstgeschichtlicher Bezüge, da diese Formen zu beinahe anthropomorphen Zeichen für verlorenes Leben und vergessene Geschichte werden.

In einer anderen Arbeit führt uns Demand in den Gang vor dem Apartment des berüchtigten amerikanischen Serienmörders Jeffrey Dahmer in Milwaukee. Flur (1996) ist das Abbild eines typischen amerikanischen Wohnblocks, wie er buchstäblich überall auf der Welt zu finden ist. Seine einheitlich gelben Türen werden spärlich von Neonlichtern an der Decke beleuchtet, die ein kaltes, blasses Licht in eine dunkle Ecke werfen. Der Raum tritt gleichsam in den Hintergrund des Bildes zurück. Wie in allen Arbeiten Demands ist hier definitiv etwas nicht in Ordnung, aber irgendwie beschwört dieses Bild nicht dasselbe frenetische Pathos herauf wie der berühmteste Flur der Filmgeschichte – in Stanley Kubricks Overlook Hotel in The Shining – .Dies ist der Schauplatz amerikanischer Nachkriegskonformität unter dem Deckmantel öffentlicher Standardbauweise und Vorstadt-Häuserzeilen. Es handelt sich um jene Art wenig bemerkenswerter Orte, die von Menschen bewohnt werden, die, wenn sie entdecken, dass ihr Nachbar Kannibalismus praktiziert hat, bemerken, "was für ein netter, ruhiger Junge er war". Ist dies eine krasse, architektonische Abbildung der Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt sie in ihrem Buch Eichmann in Jerusalem beschreibt? Es wäre falsch, bezüglich ihrer Quellen zuviel in diese Bilder hineinzulesen. Obwohl jedes von ihnen auf Themen mit psychologischem Potential basiert, entbehren sie doch jedes sichtbaren Hinweises auf die Bedeutung ihrer Szenerie wie auch jeder erkennbaren Spur menschlicher Gegenwart. Demand selbst bietet dem Betrachter wenig Ansatzpunkte zur Interpretation. Seine allgemeinverbindlich gehaltenen Titel sind ebenso stumm wie die leeren Papieroberflächen seiner plastischen Konstruktionen. Diese Fotografien werden zu hilfreichen Metaphern für Demands Arbeiten im Allgemeinen, denn obwohl ihr Inhalt aus bestimmten kulturellen Kontexten abgeleitet ist, weisen sie nur entfernt Spuren ihres Ursprungs auf. Stattdessen äußern sie sich zu der Frage, wie Geschichte und Gedächtnis Gestalt annehmen und zu der Art und Weise wie historische Ereignisse Orte prägen können. In Demands architektonischen Räumen scheint fast ein aktives Vergessen im Nietzschen Sinne am Werke zu sein, da alle Spuren der ursprünglichen Bedeutung des Bildes in seiner Transformation ins Papiermodell gelöscht werden.

Demands Praktik der handwerklichen Rekonstruktion von scheinbar anonymen Momenten unserer bildlichen Geschichte zu lebensgroßen Papiermodellen schließt an die Pionierleistungen zur fotografischen Appropriation einer Künstlergeneration der 80er Jahre an. In den Arbeiten von Barbara Kruger, Sherrie Levine und Richard Prince sah man das Bemühen um die Bewältigung einer übersättigten Bilder-Welt, die sich mit dem virulenten Aufstieg der Massenmedien entwickelt hatte. Diese Künstler wollten der schon im Übermaß fotografierten Welt nicht noch mehr Bilder hinzufügen. Sie entschieden sich daher, innerhalb der existierenden Medienlandschaft eine Umwertung und neue Ausrichtung vorhandener Bilder vorzunehmen. Prince wandte eine Strategie an, die er "rephotography" nannte und nach der er schlicht Bilder aus Zeitschriftenwerbung abfotografierte. So fotografierte er immer wieder den Cowboy der Marlboro Zigarette, schnitt ihn zurecht, beraubte ihn jeglicher unterstützenden Sprache, um ihn aus den Fesseln der Werbeagenturen der Madison Avenue zu befreien. Demands Werk hat eine gewisse Affinität zu den Arbeiten von Prince, insofern er seine Bilder ebenfalls aus dem Bilderstrom der Medien bezieht und eine Art Refotografie betreibt. Im Unterschied zu Prince, der schlicht das fotografische Register wechselt, weisen Demands Arbeiten jedoch den verlangsamenden Zwischenschritt auf, in dem das Quellenmaterial einer plastischen Metamorphose unterzogen wird.

Es herrscht häufig Verwirrung bezüglich Demands künstlerischen Werdegangs, weil er Fotografie in seinen Arbeiten einsetzt und an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat, an der der legendäre Fotograf Bernd Becher unterrichtet. Becher und seine Frau Hilla, die zusammen in über vier Jahrzehnten eine beinahe obsessive fotografische Taxonomie anonymer Industriearchitektur erarbeitet haben, wird häufig das Verdienst zugesprochen eine ganze Generation von deutschen Fotografen der 80er Jahre wie wie Andreas Gursky, Thomas Ruff und Thomas Struth auf den Weg gebracht zu haben. Obwohl Demands Interesse an Architektur einen solchen Schluss nahe zu legen scheint, hat er doch im Gegensatz zu den genannten Künstlern weder bei den Bechers studiert noch teilt er ihren wenn auch konzeptuellen, so doch streng dokumentarischen Ansatz. Oberflächlich betrachtet hat Demand mit Gursky, Ruff und Struth die Präferenz für großformatige und mit Plexiglas ummantelte Fotografien gemein. Die Unterschiede sind jedoch entscheidender. Wenn man einmal von den Bezügen zu solchen Künstlern wie Richard Prince absieht, ist der konzeptuelle Impetus für Demands Arbeit seit den 90er Jahren eher plastischer denn fotografischer Natur. In dieser Hinsicht hat er deutlich mehr Berührungspunkte mit Künstlern wie Peter Fischli und David Weiss, Robert Gober oder Charles Ray als mit seinen Fotografen-Kollegen.

Beim Betrachten von Demands Arbeit wird man an die Skulptur von Fischli und Weiss Empty Room (1995-96) erinnert, einer Gruppe banaler Alltagsgegenstände, die aus Polyurethan geschnitzt und in Trompe l'oeil bemalt sind. Robert Gobers Serie handgefertigter, mutierter Variationen über das häusliche Abwaschbecken aus der Mitte der 80er Jahre gehört in dieselbe Kategorie. Demand teilt mit diesen Künstlern neben der beinahe obsessiven Sorgfalt im Handwerklichen eine unausgesprochene Verpflichtung gegenüber dem, was der russische Theoretiker Viktor Shklovsky 1917 die "defamiliarization" des Alltäglichen genannt hat, die für ihn das einzig wahre Ziel der Kunst darstellte Jeder einzelne dieser Künstler nimmt Shklovskys Herausforderung an, gewöhnliche und alltägliche Dinge zu transformieren, indem er sie gegen sich selbst wendet, um sie damit zu verfremden. Eines der herausragenden Beispiele dieser Technik aus den letzten zehn Jahren ist Charles Rays Skulptur eines verunglückten Autos, Unpainted Sculpture (1997), eine monochrom graue Fiberglasnachbildung eines 1991er Pontiac Grand Am. Diese Skulptur ist das Gespenst seines vormaligen Gegenstands, ein stummes, konzeptuell flaches Objekt, das einerseits hinreichend bekannt ist, doch andererseits nicht länger als Auto betrachtet werden kann. Demand verwendet eine ähnliche Strategie des verfremdenden Mimikry. Seine Version des gewohnten Alltagslebens entzieht seinen Gegenständen ebenfalls alle Energie und lässt schlichte architektonische Gehäuse übrig, in denen es spukt.

In der Tat hat der Kurator und Kunsthistoriker Francesco Bonami eine derartige Interpretation von Demands Arbeit Scheune (1997) vorgeschlagen. Er behauptet, dass der Raum in dieser Fotografie von einer spektralen Präsenz heimgesucht wird. Wie alle Arbeiten Demands hat Scheune eine gewisse Unergründlichkeit. Hier präsentiert der Künstler eine unheimliche Rekonstruktion eines abgedunkelten, ländlichen Interieurs. Nur durch zwei Fenster und die Ritzen zwischen den Wandbrettern dringt Licht, was der Scheune einen bedrohlichen Eindruck verleiht, der durch die klaustrophobische Perspektive noch verstärkt wird. War dies der Tatort eines schrecklichen Verbrechens? Ist es der Schauplatz einer buchstäblichen Verkörperung im Geiste des amerikanischen Horror-Genres, das auf Edgar Allan Poes Der Untergang des Hauses Usher zurückgeht? Es fällt schwer, nicht die eigenen Obsessionen in die Leere von Demands Räumen zu projizieren, da sie uns sowohl psychisch als auch physisch in Bann ziehen. Es stellt sich jedoch heraus, dass hier eine Fotografie des letzten Ateliers von Jackson Pollock auf Long Island als Vorlage diente, das Demand in einer Zeitschrift gefunden hat – was wiederum eine neue Assoziationskette auslöst, die über die Beziehung von Fotografie und Malerei, moderner Kunst, Hans Namuths berühmte Fotos von Pollock bei der Arbeit und so fort führt.

Etwas in diesem Bild erinnert an die architektonischen Obsessionen des früh-expressionistischen deutschen Kinos der 1910er und 1920er Jahre. Vielleicht sind es die Chiaroscuro-Lichteffekte oder der schiefe Blickwinkel der Kamera, der auf eine Ecke der Scheune gerichtet ist. Vielleicht ist es nicht der Geist Pollocks, der in diesem Raum spukt, sondern das, was der Historiker Anthony Vidler das "architektonisch Unheimheimliche" genannt hat, eine psychische Dissonanz, die nicht allein aus dem überdeutlichen Inhalt von Demands Ausgangsmaterialien, sondern von der Verdopplung der architektonischen Form herrührt. Hier haben wir eine Art Doppelgänger-Architektur, die die schreckliche Figur des bösen Zwillings, ein Motiv aus der Romantik, heraufbeschwört. Wie Charles Rays Geisterauto sind Demands Kopien letztlich überhaupt keine Kopien, und der Spuk findet einzig auf der phänomenologischen Ebene, nicht auf einer metaphysischen statt. Es gibt hier keinen expressionistischen Sturm und Drang, nur kühle, klinische Maskerade, die zur Verdopplung von Architekturelementen in einer von Demand rekonstruierten Welt führt.

Im Licht dieses künstlerischen Programms wird allmählich klar, warum Demand/Brandlhuber für die Präsentation der Arbeiten in Sao Paulo ein kleines Gebäude im Gebäude des Niemeyer-Pavillons konstruiert haben. Wenn man mit der Rolltreppe nach oben in die Installation fährt, betritt man einen Raum, der auf ebenso subtile Weise artifiziell ist wie die Arbeit, die in ihm untergebracht ist. Wir sehen uns konfrontiert mit Space Simulator (2003), einer Fotografie von Demands Rekonstruktion eines Raumfahrtsimulators, den die NASA in den 1960er Jahren gebaut hat, eines Vorläufers der virtuellen Militärtechnologien des 21. Jahrhunderts. Auffällig ist die Ironie der Architekturverdopplung, die Demand vornimmt, indem er ein Objekt fotografiert, das seinerseits einen Innenraum schafft, der Raumfahrt simulieren sollte. Weiterhin befindet sich in seinem "Deutschen Pavillon" die Arbeit Küche (2004) das Bild eines kleinen, wenig bemerkenswerten Ofens und eines Abwaschbeckens, die leicht von oben aufgenommen sind. Es handelt sich um ein Bild, das in Zusammenhang mit Saddam Husseins so genanntem Erdloch steht, eines seiner unterirdischen Verstecke während der amerikanischen Invasion von 2003. Dies ist eine völlig andere Art von Innenraum, der Gegenpol zu Space Simulator auf der Skala des Heldentums, aber auch ein Raum, der seinen Bewohner aus dem Strom der Alltagserfahrung ausgrenzen wollte, ebenso wie der Raumsimulator eine virtuelle Welt für seine Astronauten schaffen sollte. Beide Räume könnten sich als Ort für eine Licht-Schatten-Projektion eignen, wie Platon ihn im Höhlengleichnis beschreibt, und das selbst zu einer Metapher für die viel spätere Entwicklung des Kinos werden sollte.

Die Innenräume der virtuellen Realität haben ihren Vorläufer im Kino, das ihnen um ein Jahrhundert vorausging, und es ist signifikant, dass das zentrale Element von Demands Installation eine Cinemathek ist, die einen neuen Film des Künstlers zeigt, der Trick heißt und auf einem frühen Film der Lumiere-Brüder basiert, zweier der prominentesten Pioniere des kommerziellen Kinos. Der Film rekonstruiert eine Sequenz aus einem der ersten Lumiere Filme, in dem ein Mann eine Zirkusnummer vorführt, bei der er zeitgleich eine Reihe Schalen und Teller auf einer Tischplatte dreht. Demand führt diesen Trick dem Betrachter vor, bedient sich aber dabei der technischen Möglichkeit, die Kamera anzuhalten, und schafft so die Illusion einer unmöglichen, spektakulären Leistung. Demands Neuschöpfung isoliert den Moment des Drehens, lässt ihn sich in einer Schleife endlos wiederholen und ihn so in sich ruhen. Der Künstler hat angedeutet, dass seine Wahl auf diesen Film gefallen sei, da dieser in eine Phase der Filmgeschichte fällt, in der sich das Medium im Übergang von der Dokumentation zur Narration befand. Wie die sich in perfekter Balance drehenden Teller sind wir in der Mitte einer Geschichte gefangen, ohne Anfang und Ende. Jede von Demands Arbeiten, sei sie fotografisch oder filmisch, ist genau an diesen Punkt der Ungewissheit lokalisiert.

Demands Bilder atmen zugleich denotative Stabilität und Verfall, eingefroren von seiner Kamera, eingefangen kurz bevor sie in eine Kette multipler Assoziationen zerfallen. Es sind flüchtige Bilder mit Konnotationen der Vergänglichkeit, die aus einem Zustand der Anonymität im allgemeinen Strom von Geschichte und Medien erweckt werden. Ihre Vertrautheit basiert auf dem Zusammenspiel von persönlicher und öffentlicher Erinnerung in unserer Kultur, die vermittelt und geschaffen wird von der Flut fotografischer Bilder. Dies ist Demands Arbeitsfeld, auf dem, wie er es ausdrückt, "Fotografie weniger von der Repräsentation handelt als von der Konstruktion von Gegenständen […]. Ich glaube, das ist ein zentraler Punkt meiner Arbeit: den Status des Bilds neu zu überdenken, indem man einen einzelnen Moment der Perfektion produziert". In seiner filmischen und fotografischen Rekonstruktion der von ihm gewählten Gegenstände spielt Demand die Rolle eines Archäologen des Visuellen, dessen seltsame architektonische Verdopplung der Welt Robert Smithsons Definition der Entropie als "ruins in reverse" eine neue Bedeutung verleiht. Aus dem Inneren des Magens des Architekten sucht er diese verlorenen Räume wiederzuerrichten, seinen eigenen Momenten der Perfektion neues Leben einzuhauchen.

Douglas Fogle Shklovsky schrieb: "Gewöhnung verzehrt Arbeit, Kleidung, Möbel, die eigene Ehefrau und die Angst vor Krieg. 'Wenn das gesamte komplexe Leben vieler Menschen unbewusst vor sich geht, dann sind diese Leben so als hätten sie gar nicht stattgefunden.' Und Kunst existiert, damit man das Gefühl zu leben zurückgewinnt; sie existiert, damit man Dinge fühlt, um einen Stein steinig zu machen. Das Ziel der Kunst besteht darin, den Dingen das Gefühl zu verleihen, wahrgenommene, nicht bekannte zu sein. Die Technik der Kunst besteht darin, Gegenstände 'unbekannt' zu machen, Formen sperrig zu machen, die Dauer der Wahrnehmung zu verlängern, weil der Prozess der Wahrnehmung ein ästhetischer Zweck an sich ist und verlängert werden muss. Kunst ist das Erfahren eines Gegenstandes als kunstvoll; der Gegenstand ist nicht wichtig." Engl. in: Viktor Shklovsky, "Art as Technique", in: Charles Harrison und Paul Wood (Hrsg.), Art in Theory 1900-1990, Oxford, Blackwell 1993, S. 274-278. Dt.: Hg. Charles Harrison u.a., Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, 2 Bde., Hatje Cantz, 1998. Francesco Bonami, "Fantômes", in: Thomas Demand, Fondation Cartier pour l'art contemporain, Paris, London, Thames & Hudson, 2000, S. 12-30. Vic Muniz und Thomas Demand, "A Conversation", in: Stephan Berg, Thomas Demand, Kat.Ausst. Kunstverein Freiburg, 1998, S. 42.

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26. Biennale São Paulo 2004 - "Freie Territorien"
Kurator: Alfons Hug
Kommissare der Länder: Ute Meta Bauer, Helmut Friedel, Katya Garcia-Anton ...

150 Künstler aus 62 Ländern:
Karim Ainouz & Marcelo Gomes, Jaime Avila, Cornelius Augustt Azzaglo, Massimo Bartolini, David Batchelor, Rachel Berwick, Ingrid Book & Carina Heden, Tiago Bortolozzo, Juan Britos, Fernando Bryce, Edward Burtynsky, Miguel Calderon, Geysell Capetillo, Mama Casset, Chelpa Ferro, Chen Shaofeng, Paulo Climachauska, Walmor Correa, Jonas Dahlberg, Thomas Demand, Jean Depara, Angela Detanico & Rafael Lain, Mark Dion, Heri Dono, Leandro Erlich, Inka Essenhigh, João Paulo Feliciano, Felten & Massinger, Livia Flores, Samuel Fosso, René Francisco, Carlos Garaicoa, Simryn Gill, Henrik Håkansson, Patrick Hamilton, Naoya Hatakeyama, Juan Fernando Herran, Arturo Herrera, Sergej Jensen, Eduardo Kac, Albena Kazakova, Toba Khedoori, Vera Lutter, Jorge Macchi, Maxim Malhado, Fabiano Marques, Milton Marques, Lars Mathisen, Julie Mehretu, Aernout Mik, Frederic Moser / Philippe Schwinger, Zwelethu Mthethwa, Muntean / Rosenblum, Victor Mutale, Moataz Nasr, Neistat Brothers, Otobong Nkanga, Albert Oehlen, Melik Ohanian, Ieda de Oliveira, Catherine Opie, Rosana Palazyan, Jorge Pardo, Bruno Peinado, Pavel Pepperstein, Eileen Perrier, Jorge Queiroz, Hans Hamid Rasmussen, Rassim , Neo Rauch, Navin Rawanchaikul, Caio Reisewitz, Lois Renner, Matthew Ritchie, Julian Rosefeldt, Carlos Runcie-Tanaka, Song Dong, Tom Sachs, Abderramane Sakaly, Wilhelm Sasnal, Martin Sastre, Thomas Scheibitz, Santiago Sierra, Alec Soth, Simon Starling, Thomas Struth, Peter Szarka, Su-Mei Tse, Piotr Uklanski, Eulalia Valldosera, Pablo Vargas-Lugo, Francesco Vezzoli, Laura Vinci, Yin Xiuzhen, Xu Bing, Veronika Zapletalova, Krzysztof Zielinski ...