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"Aschemünder" bildet den Auftakt der Kooperation zwischen Sammlung Goetz und Haus der Kunst. In den 14 kabinettartigen Räumen des Luftschutzkellers im Haus der Kunst zeigt Ingvild Goetz bis 2014 regelmäßig eine Auswahl aus ihrer Sammlung von Film- und Medienkunst. Als erste Präsentation greift "Aschemünder" das von den Räumen vorgegebene Thema auf: Die ausgewählten Filme beschäftigen sich mit Kriegserlebnissen und Kriegsfolgen, reflektiert sowohl aus der Sicht des Militärs als auch aus der Sicht einzelner Überlebender der Zivilbevölkerung.

Psychische Folgen Die Werkauswahl erlaubt keine klare Unterteilung in Filme über Täter auf der einen und Filme über Opfer auf der anderen Seite. Vielmehr haben die Angehörigen von Militär und Zivilbevölkerung eine große Gemeinsamkeit: Beide leiden noch Jahre nach Kriegsende unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und sind mit den psychischen Folgen ihrer Erlebnisse allein.

Diese Störung hindert diejenigen, die an Kriegshandlungen beteiligt oder deren Zeuge sie waren daran, in den Alltag zurückzufinden. Sie ist bei mehreren Filmen das zentrale Thema: Überlebende, deren Gesichter gezeichnet sind, schildern ihre Erinnerung an ein Massaker an der kolumbianischen Bevölkerung in selbst komponierten Sprechgesängen (Bocas de Ceniza von Echavarría); ein ehemaliger Heckenschütze verbringt die Nächte mit Kriegsspielen vor der Playstation - schlaflos, weil vor seinem inneren Auge immer wieder das Gesicht seines ersten Opfers erscheint (Anri Sala); Dorfbewohner in Ruanda versuchen nach dem Massaker der Hutu an den Tutsi, ihr Leben als Farmer wieder aufzunehmen (Marcel Odenbach).

Handlungsführung Manche Regisseure führen zwei Handlungen parallel und kontrastieren auf diese Weise Krieg und Alltag. So spricht parallel zum schlaflosen Heckenschützen, dem die Erinnerung an sein erstes Opfer keine Ruhe lässt, ein Liebhaber von Zierfischen über seine Angst vor der Stille: Er fürchtet, dass seine Fische mitten in der Nacht sterben, weil sich die geräuschvolle Sauerstoffpumpe des Aquariums plötzlich abschaltet (Anri Sala). Soldaten beschreiben ihre Erinnerungen an einen Hinterhalt, während sich das dazu passende Computerbild einer Trainingssoftware aufbaut; parallel dazu führt ein militärischer Ausbilder die Vorzüge einer solchen Software vor, mit der man Sandstürme und unterschiedliche Tageszeiten simulieren kann (Harun Farocki). Das polizeiliche Fahndungsfoto eines IRA-Terroristen wird mit dessen Selbstcharakterisierung unterlegt, die das Klischee vom Straftäter bedient ("I am barbaric ... I am essentially evil"); parallel dazu zitiert derselbe Sprecher aus einem Reiseführer, der die landschaftliche Schönheit von Irland lobt (Willie Doherty).

Oft sprechen die Opfer von oder Teilnehmer an Kriegshandlungen selbst vor der Kamera. Diese Unmittelbarkeit des Erzählens wird durch ästhetische Kunstgriffe gebrochen: durch die Übersetzung von Erinnerung und Trauma in rhythmischen Sprechgesang, durch Untermalung mit Barockmusik oder Elektromusik. Die Brechung schleicht sich mitunter subtil und unerwartet ein. In "A Tank Translated" (Omer Fast) z.B. verändern sich lediglich die Untertitel: Worte kommen dazu, verschwinden, oder verändern sich: aus "cannon" wird "camera", aus "tank" wird "take", aus "shoot" wird "shot", aus "passes" wird "poses". Plötzlich ist das Vokabular für Krieg das vom Showbusiness. Zugrunde liegt ein Text, in dem ein Pop- oder Rocksänger seine Bühnenerlebnisse beschreibt: das Hochgefühl vor der Menge zu stehen, das süchtig machen kann, die Männlichkeitsgesten und Kraftmeierei. Raffiniert konstruiert ist der Film von Sven Johne über die letzten Wochen der DDR. In einem mit Studiotechnik überladenen Raum sitzen sich ein Interviewer (im Halbschatten) und ein Augenzeuge (fachmännisch ausgeleuchtet) gegenüber. Doch der Augenzeuge kommt nie zu Wort. Es ist allein der Interviewer, der die aufgeheizte Stimmung von 1989 und die Leipziger Montagsdemonstrationen mit Worten heraufbeschwört. Der 'Interviewte' ringt zunehmend um seine Fassung. Der Betrachter fragt sich, welche Glaubwürdigkeit ein von professionellen Fernsehkameras gezeichnetes Bild hat, wenn der Augenzeuge nicht einmal angehört wird.

Familienleben In den Filmen von Mona Hatoum und Tracey Moffatt ist Krieg und Entwurzelung die Vorgeschichte für den familiären Alltag. Beide Filme tragen autobiografische Züge, und in beiden spielt die Bindung zur Mutter eine zentrale Rolle. Mona Hatoum lebt im Exil in London. In Briefen, die vom Unterschied der Geschlechter, von der Ehe, von der Sehnsucht nach der Tochter handeln, beantwortet die Mutter Fragen ihrer Tochter. Eine weibliche Stimme liest aus den Briefen vor, und die eingeblendete arabische Handschrift ist mit Fotos unterlegt. Sie zeigen die Mutter in intimen häuslichen Situationen, im Bad und bei der Körperpflege. Diese Bilder sind Stellvertreter für die Nähe, die zwischen Mutter und Tochter möglich ist. Bei der Australierin Tracey Moffatt sind die Gefühle zwiespältig. Die Mutter, eine Greisin mit heller Haut, sitzt im Rollstuhl. Ihre Pflegerin ist die Tochter - eine dunkelhäutige Aborigine, als Kind im Rahmen des Foster-care-Programs von ihren leiblichen Eltern getrennt und in einer Pflegefamilie aufgewachsen. Als Erwachsene kämpft sie mit den emotionalen Folgen dieser Entwurzelung und empfindet für die Pflegemutter Hassliebe: Weiterhin für sie sorgen zu müssen ist ebenso unerträglich wie durch den Tod von dieser Pflicht befreit zu sein.

Landschaften William Kentridge registriert die Veränderungen, die der Krieg an die Meeresküste trägt. Auf dem Balkon eines Hotels stehen statt Touristen mit Fernglas nun Militärs mit Feldstecher. Das Meer spült abgemagerte Kühe an Land. Am Ende kehrt das normale Strandleben zurück, und mit ihm ein Zeitungsleser im Nadelstreifenanzug. Die Landschaft ist allegorisch: Der Krieg kommt und geht wie Ebbe und Flut, das Meer selbst bleibt unveränderlich. Der Film besteht aus den für Kentridge typischen animierten Sequenzen von Kohle- und Pastellzeichnungen. Krieg und Landschaft sind auch bei David Claerbout und Hans Op de Beeck das zentrale Thema. Claerbout hat ein historisches Foto aus dem Vietnamkrieg nachkoloriert. Nur das Licht über den bewaldeten Hängen verändert sich, und auf diese Weise dehnt sich der Moment, in dem ein abgeschossenes Flugzeug vom Himmel stürzt. Op de Beeck zeigt, welche Wunden der Krieg in eine Landschaft schlagen kann: von Bäumen in Gartenanlagen, die wie im Barock beschnitten sind, bleiben nur verkohlte Stämme.

Mit den Gesichtern von Verstorbenen, die sich wie eine Tuschezeichnung auflösen und im Abfluss verschwinden, und einem Stillleben mit Obst, das sich im Zeitraffer mit graugrünem Schimmel überzieht, setzen Óscar Muñoz und Sam Taylor Wood Zeichen allgemeiner Vergänglichkeit.

Die Werkauswahl wurde von Ingvild Goetz getroffen.

Der Katalog zur Ausstellung erscheint dt./engl., bei Hatje Cantz; mit Texten von Ingvild Goetz, Chris Dercon, Sabine Brantl, Karin Hunsicker, Gregor Jansen, Katrin Kaschadt, Nicolas de Oliveira/Nicola Oxley, Volker Pantenburg, Jan Seewald, Susanne Touw, Stephan Urbaschek, Isabelle Verreet, Eva Wattolik, Ulrich Wilmes

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Aschemünder
Sammlung Goetz im Haus der Kunst
Kurator: Ingvild Goetz

Künstler: Hans Op de Beeck, David Claerbout, Willie Doherty, Juan Manuel Echavarria, Harun Farocki, Omer Fast, Mona Hatoum, Sven Johne, William Kentridge, Tracey Moffatt, Oscar Muñoz, Marcel Odenbach, Anri Sala, Sam Taylor-Wood, Zhou Hongxiang