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Der Kunstverein ist in einem 1931 errichteten modernistischen Zweckbau untergebracht, dessen markanteste Gestaltungselemente, die tragenden Betonstützen, das Verwaltungsgebäude des ehemaligen Milchhofs von der Fassade bis hin zu den Innenräumen gliedern. Die Arbeiten der eingeladenen KünstlerInnen können direkt oder indirekt auf die klare, unprätentiöse Architektur bezogen werden, weil sie sich durch eine Entschiedenheit und Genauigkeit auszeichnen, die auch dem fast brutal zu nennenden aber fein proportionierten Erscheinungsbild des Milchhofs zu eigen ist. Außerdem bieten die Veränderungen, die das Gebäude im Laufe der Jahre durchgemacht hat, einen Anknüpfungspunkt für die Ausstellung. Heute dient es mehreren Firmen als Bürogebäude, was eine Vielzahl von Überschreibungen, unterschiedlichen Nutzungskonzepten und wenig homogenen Ausstattungen zur Folge hat. Dem bis ins Detail durchkomponierten idealistischen ersten Entwurf aus der Hand eines Architekten, steht hier demnach das alltägliche, realen Leben gegenüber und diesem Leben nähern sich die eingeladenen Künstlerinnen auf unterschiedliche Weise, sei es, dass sie sich für diese Art von Verschiebungen interessieren, dass sie sich mit dem Verhältnis individuellen Alltagsverhaltens zu gegeben Situationen beschäftigen, dass sie Sehgewohnheiten unterlaufen oder ihre eigenen Lebenswürfe in ihre künstlerische Praxis einfließen lassen.

Charles Atlas ist für seine Media-Dance Filme mit renommierten Tänzern und Performern bekannt, insbesondere für seine Zusammenarbeit mit Merce Cunningham, Michael Clark und Leigh Bowery. Im Kunstverein zeigt Charles Atlas die filmische Bewegungsstudie „Nevada“, bei der der Tänzer Douglas Dunn mit einer Holzplatte in Form des US-Bundesstaats Nevada experimentiert, als 16 mm Loop und mehrere hintereinander projizierte Videos, u. a. „Teach (Leigh)“ in dem Leigh Bowery einen Aretha Franklin Song „Take a Look“ synchronisiert, wobei er mit Sicherheitsnadeln an seinen Wangen befestigte falsche Lippen trägt, während die Bildfläche von mehreren vertikalen schwarzen Balken durchschnitten wird.

Nina Könnemann beobachtet in ihren Videos alltägliche Begebenheiten im öffentlichen Raum, beiläufig vorüber gehende Passanten, deren Bewegungen und Wege von der Architektur geregelt werden. Ihre Filme zeigen, wie sich nach und nach Verhaltensmuster herausbilden, die von der vorgegebenen Struktur abweichen. In ihre Beobachtungen schneidet Nina Könnemann inszenierte Situationen, die sich kaum wahrnehmbar von den realen unterscheiden. Die Kamera ist meist ruhig und konzentriert, wenn sie jedoch etwas Interessantes entdeckt, folgt sie plötzlich einem Objekt, einer Geste oder einer Farbe und öffnet damit den filmischen Raum. Im Kunstverein wird ein neues Video zu sehen sein.

Anita Leisz arbeitet mit einfachen Rigips- oder Holzplatten, die sie häufig zu schmalen, an Minimal Objekte erinnernde Quader zusammenfügt. Doch im Gegensatz zur Minimal Art sind ihre Arbeiten keineswegs neutral. Sie zeugen bei einer möglichsten Reduktion der Mittel von dem Entstehungsprozess und einer Vielzahl genauer Entscheidungen und Beobachtungen, die sehr wohl subjektiv sind. Die Skulpturen können abstrakt gelesen werden als auch auf Architekturelemente oder Figuren verweisen. Sie bestehen auf ihrer Eigenständigkeit und nehmen dennoch Kontakt zu ihrer Umgebung auf, positionieren sich zum Raum und zu den anderen Arbeiten und bringen den feinen Moment des Umschlags von autonomer zu kontextueller Skulptur genau auf den Punkt.

Steven Parrino war Künstler und Musiker und hat sich außerdem mehrfach als Kurator betätigt. Angesichts des immer wieder erklärten Todes der Malerei bekannte er sich Ende der 1970er Jahre zur Nekrophilie. Die Flachheit der Bilder attackierte er sozusagen wortwörtlich. Sorgfältig grundierte, monochrome Leinwände nahm er wieder vom Rahmen, um sie dann erneut aufzuspannen, allerdings schief und so rabiat verdreht, dass die ehemals perfekte, glatte Oberfläche zerstört wird und sich in Falten legt. Seine „disshaped canvases“ verweisen bei aller Direktheit auf mehr als nur sich selbst. Sie wenden sich der Realität der Schattenseiten Amerikas zu und sind in subkulturellen genauso wie kunsthistorischen Kontexten verankert.

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Atlas, Leisz, Könnemann, Parrino
Charles Atlas, Anita Leisz, Nina Könnemann, Steven Parrino
Kurator: Anette Freudenberger