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Vier Künstler – Isaac Julien, Keith Piper, Lisl Ponger und Tim Sharp – zeigen im Haus der Kulturen der Welt vom 17. September bis 15. November Multimedia- und Filminstallationen sowie fotografische Arbeiten im Rahmen der Programmreihe BLACK ATLANTIC (Kurator: Shaheen Merali). Die Arbeiten, darunter zwei Auftragswerke des HKW, die hier erstmals zu sehen sind, spiegeln die Dynamik und die Verbindungslinien der Schwarzen Kulturen zwischen den Amerikas, Afrika und Europa. Sie thematisieren Herrschaftsstrategien über Menschen, Land und Bodenschätze – Prozesse also, die die Geschichte Afrikas und der afrikanischen Diaspora durch Sklaverei, Rassismus und Kolonialismus in besonderer Weise geprägt haben. Vorwiegend mit Mitteln des bewegten Bilds unternehmen sie Expeditionen um den atlantischen Ozean und in den Migranten-Alltag in Europa.

- Das Herbstprogramm im Haus der Kulturen der Welt hat seinen Ausgangspunkt in den Bezugssystemen und Netzwerken der afrikanischen Diaspora. Black Atlantic - so der Titel der Veranstaltungsreihe mit Konzerten, Theater, Tanz, Literatur, bildender Kunst, Film und Konferenzen - steht für die Dynamik, die vielfältigen Strömungen und weit verzweigten Verbindungen einer schwarzen Kultur zwischen den Kontinenten. Geprägt wurde der Begriff von dem britischen Soziologen Paul Gilroy, mit dem das Haus der Kulturen der Welt auch die Gesamtkonzeption für das Projekt entwickelt hat. Die Middle Passage, die Verschleppung und Verschiffung von Sklaven aus Afrika in die "Neue Welt" stellt ebenso einen Beginn wie auch ein Ende dar. Die moderne afrikanische Diaspora hat eine Kultur entwickelt, die auf vielfältige Weise vorherrschende westliche Kultur- und Kunstbegriffe hinterfragt - sowohl durch eine dem Sklavenhandel geschuldete Erfahrung kultureller "Entwurzelung", als auch dank ihrer Beiträge zur globalen (Pop-)Kultur. Black Atlantic beschreibt keine eindeutig abzugrenzende Region oder eine bestimmte Periode, sondern einen mehrdimensionalen Raum, der mehr durch Bewegung und Vernetzung als durch feste Orte bestimmt ist. Für Paul Gilroy steht der Atlantik, der Ozean, für einen negativen Kontinent, der es ermöglicht, soziale, historische und kulturelle Verbindungslinien zwischen den Amerikas, Afrika und West-Europa aufzuspüren.

Hintergrund für das Projekt Black Atlantic ist die Vernetzung der afrikanischen Diaspora und die Suche nach schwarzen Identitäten, die auf die Behauptung eines eindeutigen Wesenskerns verzichten. Das Projekt erkundet die künstlerische Umsetzung dieser Suche und die Bedeutung der Kunst für die vielfältigen Bezugssysteme. Verschleppung, Verstreuung und die kollektiven wie individuellen Traumata, entstanden durch rassistische Unterdrückung, haben Künstler dazu herausgefordert und inspiriert, neue ästhetische Techniken und Strategien zu entwickeln. Auch wenn sie von großer Bedeutung sind, stellen etwa geschriebene Texte nicht den beherrschenden Motor der wandernden Kulturen des Black Atlantic dar: Das geschriebene Wort war den schwarzen Sklaven lange Zeit auf Todesstrafe verboten, weshalb musikalischer Ausdruck eine zentrale Stellung erlangte. So hat Musik auch anderes künstlerisches Schaffen stark beeinflusst. Mit den Geschichten um den sound und das sounding des Black Atlantic verflechten sich Traditionen visueller Kultur, die mit der Grenze des Sichtbaren spielen ebenso wie literarische Ausdrucksweisen, die um die Grenzen des Sagbaren wissen. Diese Künste der Dunkelheit lassen sich als starke Gegenkultur der westlichen Moderne verstehen.

Das Projekt Black Atlantic hat auch das Ziel, gängige Ideen von Moderne zu hinterfragen und eine "Gegen-Geschichte" zur westlichen Geschichtsschreibung zu entwerfen: Wie etwa steht es um die „Modernität“ von Institutionen wie dem Sklavengefängnis und der Plantage? Es geht von der These aus, dass zentrale Konflikte der Moderne zurückzuführen sind auf den Sklavenhandel und den Anfang der kolonialen Ausbreitung Europas. Deutsche koloniale Geschichte spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Projekts, ebenso wie die Geschichte schwarzer Präsenz in Deutschland und in Berlin. Warum etwa ist die Geschichte von Schwarzen in dieser Stadt kaum dokumentiert, obwohl sie Schauplatz einer der größten Konferenzen zur geopolitischen Gestaltung kolonialer Territorien war? Black Atlantic wird sich an die Frage herantasten, wie Deutschland sich seiner verdrängten kolonialen Geschichte stellen könnte.

Indem das interdisziplinäre Projekt am Haus der Kulturen der Welt die Musik zur leitenden Kunstform erklärt, trägt es ihrer historischen Dimension Rechenschaft. Allerdings geht es um Musik in einem weiter gefassten Sinne, nämlich als "Sound", "Sounding", "Sonic": Es geht um "Landschaften", in denen den verdrängten Geschichten, den widerständigen Realitäten und dissidenten Identitäten Stimmen gegeben werden.

Strukturiert wird Black Atlantic durch drei thematisch konzipierte „Akademien“, in denen jeweils eine Kunstform die führende Rolle übernimmt und zugleich gespiegelt wird in anderen Formen, seien es Filme, Diskussionen, Lesungen oder Konzerte. Ein durchlaufendes Filmprogramm verbindet die drei Akademien ebenso wie ein umfangreiches Musikprogramm, das mit Auftritten schwarzer Stars des Pop, Jazz, Blues und Gospel besondere Highlights setzt. Die visuelle Kunst ist nicht durch eine Ausstellung im traditionellen Sinne vertreten, sondern durch große multimediale Installationen, die das ganze Haus "bespielen" und über die bildende Künstler mit anderen Künstlern in Austausch treten.

An das Eröffnungswochenende schließt sich unmittelbar die erste Akademie zum Thema countermemory an. Sie basiert auf einem Projekt des brasilianischen Tänzers und Choreographen Ismael Ivo, der durch die Verbindung von Erzählung und in den Körper eingeschriebener performativer Erinnerung sinnlich wahrnehmbar das Thema befragt.

Die zweite Akademie Congo Square thematisiert unter der Leitung des Jazz-Gitarristen Jean-Paul Bourelly wenige Wochen später künstlerisch-musikalisch den Gedanken des Netzwerks, der für das Projekt Black Atlantic grundlegend ist. Dort wird auch der Frage nach dem fundamentalen Einfluss der "Schwarzen Musik" auf die "westliche" Kultur nachgegangen.

Die dritte Akademie mit einem intensiven Konferenzprogramm widmet sich dem Verhältnis von Moderne und Terror und greift Themen wie "Rassismus und Menschenrechte", "Kolonialismus, Imperialismus und kollektives Gedächtnis" und "Herero-Genozid" auf. Pressetext

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Black Atlantic - Travelling Cultures, Counter-Histories, and Networked Identities
Konzerte – Tanz-Performances – Multimedia-Installationen – Lesungen –
Diskussionen – Workshops
Projektleiter: Peter C. Seel

>>> www.blackatlantic.com

Ausstellung im Rahmen der Programmreihe BLACK ATLANTIC:
mit Isaac Julien, Keith Piper, Lisl Ponger, Tim Sharp
Kurator der Ausstellung: Shaheen Merali