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Gäbe es eine allgemeine Theorie der Gesten, eine semiologische Disziplin, welche gestatten würde, Gesten zu entziffern, dann wäre Kunstkritik nicht, wie heute, eine Sache der Empirie oder der "Intuition" oder ein kausales Wegerklären der ästhetischen Phänomene, sondern eine exakte Analyse der zu Gemälden erstarrten Gesten. In Ermangelung einer solchen "Choreographologie" ist es vielleicht die bessere Strategie, die Geste selbst zu beobachten, so wie sie sich konkret vor uns und daher in uns ereignet: als ein Exempel der Freiheit. Vilem Flusser

Ausgangspunkt der Bildproduktion Charline von Heyls ist der malerische Schaffensprozess und die Frage nach den Mitteln der Malerei. Charakteristisch für ihre aus Gesten und Bewegungen entwickelte Bildsprache ist dabei, dass sich ihre Aktionen - im Gegensatz zum europäischen und amerikanischen abstrakten Expressionismus - weder als Zeichen oder Schrift formulieren, noch der Pinselstrich selbst zum Motiv erhoben wird. Nicht die Materialität des Werkzeugs oder sein Einsatz als Verlängerung des Körpers, sondern die dahinterstehende Bewegung, die Bewegung der Entscheidungen, ist das eigentliche Thema ihrer Bilder. Die vielfältigen, oftmals widersprüchlichen Schritte zur Bildfindung und Bildwerdung sind in jedem Werk präsent.

Für ihre Ausstellung in der Secession kombiniert Charline von Heyl Gemälde und Zeichnungen des letzten Jahres. Die Zeichnungen - schwarz-weiße Collagen, in denen Fragmente gefundener Zeichnungen und Fotos ausgewählt, kopiert, zusammengeklebt und mit Tuschzeichnungen kombiniert zu rhythmisierten Strukturen verarbeitet werden - sprechen eine schnellere und direktere Sprache, verbinden in ihrer Vitalität und Dramatik jedoch ebenso wie die Malerei große Spontaneität mit einer kalkulierten Ausarbeitung.

Die Bilder Charline von Heyls beziehen ihre Spannung aus dem Zusammenspiel von positivem und negativem Raum, dem Wechsel von Hell und Dunkel und den unzähligen Schichten, die kontrastierend aus Grund und Gegenstand aufgebaut sind. Im Nachvollzug des Bildraums als Handlungsraum stößt der/die BetrachterIn dabei häufig auf unerwartete, ihn/sie herausfordernde Ambivalenzen: bewegungsfördernde und retardierende Momente werden gegeneinander ausgespielt und oft bis ins Paradoxe gesteigert; ein dunkles, dreckiges Farbschema verkehrt sich ins Grelle oder Zarte; vor und zurückspringende Farbflächen wirbeln durch den Raum, dynamisieren die Bildtiefe und kommen plötzlich zum Stillstand. Solcherlei Umkehrpunkte zeugen von einer Haltung, die die Malerei den Entscheidungen und Ereignissen des Tuns ausliefert, immer bereit ist, Widersprüche ins Werk zu setzen und das Erreichte aufzugeben, um neu zu beginnen.

Diese Dialektik bestimmt mitunter auch die Präsentationsform der Arbeiten. So werden zum Beispiel die farbigen Zeichnungen im Grafischen Kabinett wie Poster gehängt, so dass die edle Materialität der Ölfarbe und die Unverfrorenheit der Installation miteinander in einen spannungsreichen Dialog treten.

Im Bestreben, jedweder Form einer begrifflichen Darstellung zu entkommen, entwickelt Charline von Heyl eine Komplexität, die Zweifel und Euphorie, Rauschzustände und nüchternes Erkennen miteinander verbindet. Von den Bildern geht ein Geheimnis aus, das trotz intensiver Wahrnehmungsarbeit nie ganz gelüftet werden kann. Pressetext

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Charline von Heyl
Galerie, Grafisches Kabinett

30.06.04, 18 Uhr Ausstellungsgespräch mit Charline von Heyl und Isabelle Graw