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In den letzten Jahren ist in der Kunst ein Trend zum großen Ölbild zu beobachten. In diesem Kontext, insbesondere im Leipziger, fallen schon rein formal und technisch gesehen die Zeichnungen von Christian Weihrauch auf. Sie könnten leicht im Bilderreigen großer Gesten übersehen werden, denn sie sind kleinformatig und fordern zum intensiven Sehen auf. Dabei offenbart sich uns Christian Weihrauch als ein fabulierender Zeichner, der sich auf ein Abenteuer einlässt wenn er mit dem Setzen der ersten Striche beginnt und dem Assoziieren wohlwollend, aber nicht ungezügelt freien Lauf lässt. Der zum Teil langwierige Arbeitsprozess fördert aus den Tiefen des ikonografischen Unbewussten poetische Sinnbilder hervor. Diese können Fundstücke aus romantischen Landschaften, aus den Gemälden von Breughel oder Skurriles aus dem Fotofundus und aus der Postkartenwelt sein. Vagabundierende Gestalten von einst und aus dem Heute verweilen in der Szenerie und aus dem Stamm eines Baumes erscheinen traumversunkene Gesichter. Gleich einem Palimpsest überlagern sich Bedeutungsebenen und Bildgespinnste, die an gutmeinende Träume erinnern. Einige seiner Titel, wie etwa „Tierdame“ (2003), bezeugen die phantastischen Metamorphosen innerhalb des Floralen, Anthropomorphen und des Urbanen. Die Bezeichnung anderer Blätter wiederum verschweigen das zu Sehende - wie zum Beispiel im „Glas II“.

Diese Bleistiftzeichnung suggeriert einen zylindrischen Umriss, in dem sich eine rätselhafte Landschaft mit Hütten, Turm und Wanderweg öffnet und oben auf einer Anhöhe steht eine mönchsartige Gestalt; sie hat etwas Baumartiges geschultert, das wiederum ein masken-haftes Gesicht trägt. Dagegen lebt in der Zeichnung „Badeanzug“ subtilster Humor auf, denn er ist mit südlichen Urlaubsverheißungen dekoriert, mit einem Segelboot, Palmen und mit blauem Wasser. (Dieses Prinzip der Körperbebilderung auf der zweiten Haut des Menschen, auf seiner Bekleidung, erinnert an Ganzkör-pertattoos - denn dort ist der Bildträger mobil und formal eingeschränkt.) Ebenso kann es sachlich zugehen, wenn der Zeichner uns Nahaufnahmen eines Mantels oder eines Hemdes vorstellt.

Für die Ausstellung im PackHof konzipiert er, für ihn ungewöhnlich, größere Bilder. Er konfrontiert uns mit der Figur des Vagabunden, die aus dem Roman von Kurt Kluge „Der Herr Kortüm“ sein kann, und mit architektonischen Konstrukten, die den Dreißiger- und Sechzigerjahren entstammen und im Bezug zu seinem Großvaterhaus stehen. Auch hier wandelt sich unvorhersehbar die Erzählstruktur. Einmal ist sie geradlinig, dann wiederum verzweigt sie sich oder bricht abrupt ab, um mit einem anderen Inhalt fortzufahren. Es können zentralperspektivische Nahaufnahme erscheinen, die sich irgendwann in den fernsichtigen Ebenen des real Irrealen wiederfinden. Doch in allen Blättern ist eine Diskrepanz zwischen dem surrealen Durchdringen, dem Neben- und Übereinander von Motiven und dem diszipliniert geordneten Setzen diffizilster Schraffuren und Strichlagen zu erleben. Die von ihm verwendeten farbigen Stifte bedingen eine pastellhafte Sanftheit, die vom Braunerdigen bis zum Regenbogenspektrum oszilliert. Das Weiß des Blattes ist ein ort- und zeitloses Terrain, das gleichsam, indem es sich ausbreiten würde, das grafische Gebilde überblenden könnte. So wird es zu einem subtilen Memento mori, zu einem Innehalten um die fragilen Konstellationen auch als solche des gefährdeten Augenblicks zu würdigen.

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Christian Weihrauch
Vagabunden
Ort: PackHof
Kurator: Armin Hauer