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401contemporary freut sich, als erste Galerie außerhalb der Schweiz, Christoph Rütimanns Ausstellungsreihe Venedig im Boot nach Berlin zu bringen.

Rütimanns interdisziplinäre Arbeiten umfassen die Medien Zeichnung, Malerei, Fotografie, Video, Skulptur und Performance. Die Linie, die Spur, die Fläche - dies sind Kategorien der Wahrnehmung, die Rütimann untersucht, neu definiert und miteinander kombiniert, so dass unkonventionelle, befremdlich wirkende Betrachtungsweisen entstehen.

Venedig im Boot ist ein größeres Ausstellungsprojekt, mit dem Rütimann im letzten Herbst in Luzern begann und das nun in Berlin fortgesetzt wird. Kernstück der Ausstellung bildet ein genietetes Stahlboot, genannt Flieger, das in den 1920er Jahren als Lasten- und Beiboot zum Ausbau der Stadt diente. In der Ausstellung trägt es Rütimanns Videoprojekt, das er während eines Venedig-Aufenthaltes im Sommer 2009 erarbeitete und nun in verschiedenen Städten orts- und raumbezogen in Szene setzt.

Ähnlich der Handläufe Rütimanns, die im letzten Jahr in der Ausstellung Linie zu sehen waren, zeigen die Bootsfilme Stadterkundungsfahrten aus einzigartigen Blickwinkeln. Rütimann führt seine Kamera entlang von Bootskanten, Rändern und Rillen über die Wasserstraßen Venedigs und hinterlässt so eine Spur.

Die Gesamtheit dieser Spuren fügt sich schließlich zu einer imaginären Zeichnung um die Welt zusammen. Die Kamera tastet die gelaufenen Linien ihrer Umgebung ab und zeichnet den Prozess der Handläufe auf. Als Resultat der Performance bekommen wir schwindelerregende Perspektiven der Stadt Venedig zu sehen.Durch die Installation des Videos im Boot und die spezielle Ausrichtung im Raum reisen wir als Betrachter im Boot mit und folgen der Bewegung der Kamera über der Wasseroberfläche. Als Überbegriff für seine Handläufe wählte Rütimann den Titel Geh-Länder.

Bemerkenswert ist die Vielfalt der Bedeutungen der Linien, die Rütimann für seine Handläufe auswählte. Meist sind es vom Menschen festgelegte Linien, wie z.B. der Verlauf eines Gartenschlauchs, Brückengeländer, oder eine Reihung von Polizeischranken, die Rütimanns Kamera verfolgt. Der Sinn der Linie ist somit immer ein anderer - mal ist sie eine Grenze, mal eine Verbindung. Auch die Oberflächenstruktur der Umgebung spielt eine Rolle für den Verlauf der verschiedenen Linien, denn die Linien in unseren Lebensräumen weichen aus, passen sich an, verlaufen durch das und mit dem Geh-lände.

Rütimanns Polaroids setzen sich thematisch, sowie im Hinblick auf ihr Entstehen, von seinen sonstigen Arbeiten ab. Sie bilden eine Art Spielraum für Ideen, die aus der Reihe fallen, für Spontaneität und Verunsicherung. Hierbei ist die Zusammenstellung der Bildmotive als performativer Vorgang zu verstehen, d.h. der Prozess der Organisation der Gegenstände auf dem Hintergrund ist wichtiger Bestandteil des Kunstwerks.

Des Weiteren vermitteln uns die Sofortbilder ein ironisches Spiel mit den Gesetzmäßigkeiten der Malerei. Die Fotos zeigen eine Anordnung von Gegenständen vor einem Schneehintergrund. Das Weiß des Schnees erinnert an eine Leinwand, die Objekte wirken zweidimensional, wie gemalt.

Lediglich der oft harte Kontrast zwischen Hintergrund und Objekt und der Schlagschatten der Gegenstände lassen räumliche Tiefe erahnen und führen uns zurück zu den Grundbedingungen der Übertragung des dreidimensionalen Raums auf eine zweidimensionale Fläche, wie es die Malerei und die Fotografie leisten.

Rütimanns Raumzeichnung Linie von 2010 stellt eine lange Linienzeichung auf Papier dar, die von den Papierrändern jeweils unterbrochen und mit dem Medium des Films, der Arbeit zur Linienstraße in Berlin Mitte, in Verbindung gebracht wird. So werden die Fläche der Wand und die Fläche des Bildschirms thematisch verflochten und durch die Linie, die sich als Horizontale durch die Ausstellungsräume der Galerie zieht, visuell miteinander verbunden.

Das Papier dient hier als Nutzgrund für die Spur des zeichnerischen Aktes und stellt weniger ein autonomes Bild dar. Darüber hinaus ist die Linie ein indexikalisches Zeichen, welches die Bewegungen der gestaltenden Hand des Künstlers repräsentiert. Die minimalen Unregelmäßigkeiten, die im Verlauf der handgezogenen Linie auftauchen, untermalen diese Indexikalität und machen die Kraft der Linie aus.

Die Gerade, die „knappste Form der unendlichen Bewegungsmöglichkeit“ (Wassily Kandinsky, 1926), ist die Verschiebung eines Punktes durch den Einsatz einer äußeren Kraft. Ebenso ist die Endlose Linie eine Spur der Bewegung. So bringt Rütimann verschiedene Punkte bzw. Orte, sowie Perspektiven in einen neuen Zusammenhang, er zieht eine Verbindungslinie zwischen Medien, Räumen und Orten.

Die Spannung ist eine andere Art der Bewegung, eine der Linie immanente Kraft (Kandinsky). In der Waagen-Installation Rütimanns, Waagen verspannt von 2010, werden Gewicht und Zugkraft relativiert, indem eine Waage mithilfe von Waagenketten zwischen Boden und Decke verspannt wird. Obwohl die Waage ein Gewicht anzeigt, ist es eigentlich die Spannung, die gemessen wird. So werden physikalische Regeln augenzwinkernd hinterfragt und potentielle Kräfte im Raum aufgezeigt.

Im Untergeschoss der Galerie inszeniert der Künstler einen Blick auf Berlin um das Jahr 2000. Mehrere, quer im Raum verteilte, Monitore lassen spezielle Situationen der Stadt aufleuchten. Es entsteht ein fragmentiertes Berlin, eine bruchstückhafte Stadt, die von ihren heterogenen Ansichten lebt und nie als Ganzheit erfasst werden kann.

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1955 wird Christoph Rütimann in Zürich geboren. Heute lebt und arbeitet er in Müllheim im Schweizer Kanton Thurgau. Rütimanns Arbeiten zeugen von Esprit und Einfallsreichtum, seine Strategien sind so vielfältig wie die Medien, mit denen er arbeitet.

1993 vertritt er die Schweiz auf der Biennale in Venedig und wählt den unkonventionellen Ausstellungsort der Kirche San Staë am Canale Grande für die Installation seiner Schiefen Ebene. Zum Anlass der Ausstellung Besitzen in der Kunsthalle Bern lässt sich Rütimann auf einem Stuhl auf der Dachspitze des Museums nieder, und besetzt so den Ausstellungsraum.

2007 folgt eine Ausstellung in Thurgau mit dem Titel: In den Tönen. Hier experimentiert Rütimann mit Klängen und inszeniert seine monumentalen Stahlinstrumente.

Aus Rütimanns bedeutsamer Ausstellung Der große Schlaf und mehr: eine Werkschau, im Kunstmuseum St. Gallen, Schweiz, (2007) und der Ausstellung VERDACHT im Kunstmuseum Bonn, Deutschland, (2008), entsteht 2008 der gleichnamige Katalog: Der große Schlaf.

401contemporary ist eine Galerie für zeitgenössische, internationale Kunst. Neben der Etablierung junger Positionen liegt ein Schwerpunkt der Galerie auf der Präsentation von thematischen Gruppenausstellungen, die Künstler aus verschiedenen Generationen zusammenführen. 401contemporary wurde 2009 in Berlin von Ralf-Otto Hänsel gegründet und Anfang 2010 um einen Projektraum in London erweitert.

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Christoph Rütimann
VENEDIG IM BOOT - BERLIN