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documenta 12

Orte: Kunsthalle Fridericianum; documenta-Halle; Orangerie; Bergpark Wilhelmshöhe; Schloss Wilhelmshöhe

Gut dreieinhalb Jahre wurde an der documenta 12 gearbeitet und über 500 Kunstwerke sind nun in Kassel versammelt. Zu den Hauptstandorten Museum Fridericianum, Neue Galerie, documenta-Halle und Aue-Pavillon kommen das Schloss Wilhelmshöhe und der Bergpark, das Kulturzentrum Schlachthof, eine Straßenbahn der Linie 4 sowie elBulli in Spanien hinzu. Das Budget von 19 Millionen Euro, das sich zur Hälfte aus den Beiträgen der Stadt Kassel, des Bundeslands Hessen und der Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch die Kulturstiftung des Bundes) speist und zur anderen Hälfte aus dem Verkauf von Eintrittskarten, konnte mit Unterstützung internationaler Stiftungen und unserer Sponsoren, darunter die Hauptsponsoren Saab Deutschland GmbH und Sparkassen-Finanzgruppe, konsolidiert werden. Es ist zu erwarten, dass Stadt und Umland auch aufgrund des Besucherstroms ein Vielfaches der Investitionen einspielen werden. Der Initiative der neuen „Stützen der documenta“ ist es zu verdanken, dass ein temporäres Gebäude, der Aue-Pavillon, entworfen von Lacaton & Vassal und entwickelt von Tim Hupe Architekten, mit einer Fläche von fast 10.000 m2 an einem der schönsten Orte der Stadt errichtet werden konnte. Seit etwa einem Jahr steht ein Initiativkreis der documenta mit Rat und Tat beiseite. Durch den documenta 12 Beirat ist es gelungen, die Ausstellung mit der Stadt zu vernetzen. Im Rahmen von documenta 12 magazines sind Netze mit nahezu 100 Redaktionen auf der ganzen Welt geknüpft worden. Anfangs etwas spärlich besetzt, ist unser Team inzwischen auf über 650 Personen angewachsen.

Soweit die Fakten. Nun zur Poetik der documenta 12: Wir begreifen die Ausstellung als ein Medium. Damit bewegen wir uns weg von der Repräsentation der „besten KünstlerInnen der Welt“ hin zur Produktion eines Erfahrungsraums, in dem es möglich wird, die Begriffe „Kunstwerk“ und „Publikum“ aneinander zu schärfen. Was ist zeitgenössische Kunst, was ist ein zeitgenössisches Publikum, was ist die Gegenwart? Die Erfahrung von Kunst ist stets die Erfahrung eines Lebenszusammenhangs. Wollen wir dieses Verhältnis neu bestimmen, so brauchen wir ein Mittel, das uns unserem unmittelbaren Lebenszusammenhang entrückt. Die ästhetische Erfahrung, die dort beginnt, wo Bedeutung im herkömmlichen Sinne endet, kann ein solches Mittel sein.

Unsere drei Leitmotive, die Frage nach der Moderne, nach dem bloßen Leben und nach der Bildung haben uns anfangs ermöglicht, eine Ausstellung, die erst im Entstehen begriffen war, zu denken und zu diskutieren. Inzwischen haben sich die Fragestellungen überlagert; an verschiedenen Stellen blitzen thematische Schwerpunkte hervor, doch in der Regel sind Werke und Werkgruppen auf mehr als eines der drei Leitmotive zu beziehen.

Hinzugekommen ist das Interesse an der „Migration der Form“, ein Motiv, das zweierlei meint. Zum einen geht die Ausstellung auf historisch belegbare Formenschicksale ein und unterstützt damit die These, dass die Globalisierung keine Erfindung der Neuzeit ist. Zum anderen werden einzelne Werke formalästhetisch zueinander in spekulative Bezüge gesetzt.

Uns geht es dabei nicht um die korrekte Interpretation, sondern darum, das einzelne Werk aus seiner Überdeterminierung durch überkommene Zuschreibungen zu befreien und den Blick der BetrachterInnen zu öffnen. Oftmals werden der einen oder dem anderen Hintergrundinformationen fehlen. Wir privilegieren die direkte Erfahrung vor dem Kunstwerk, nicht weil wir meinen, dass sie ausreiche, um zu einem Urteil zu kommen, sondern vielmehr wissen wir, dass selbst den ExpertInnen unter uns das notwendige Wissen fehlt, einem jeden Werk wirklich gerecht zu werden. Und das ist auch nicht durch dicke Wälzer oder lange Texttafeln zu kompensieren, die dann in der Ausstellung in Konkurrenz zum Kunstwerk treten.

Wir verbinden die Erfahrung der eigenen Lücken mit der Forderung nach Bildung, einer Bildung, die zwischen staatlicher Verantwortung und Selbstsorge austariert werden will. Als ephemere Institution kann die documenta 12 nur ihr Scherflein dazu beitragen, dieses aber dann in Form eines dafür umso avancierteren Vermittlungsprogramms. Als Teil der Ausstellung versteht die Vermittlung ihre Arbeit mit dem Publikum auch jenseits von Serviceleistung und Ökonomie als eine Möglichkeit, die Poetik der documenta 12 aufzunehmen und weiterzureichen.

Ruth Noack und Roger M. Buergel im Juni 2007

Roger M. Buergel, künstlerischer Leiter – Ruth Noack, Kuratorin Künstlerischer Leiter der documenta 12 ist der Ausstellungsmacher und Autor Roger M. Buergel. Zusammen mit der Kunsthistorikerin Ruth Noack als Kuratorin wird er, dem Anspruch der documenta gemäß, Kunst aus unterschiedlichen Geografien und unterschiedlichen Epochen zeigen. Dabei werden die Werke nicht bezugslos aneinandergereiht, sondern ästhetisch zueinander ins Verhältnis gesetzt, damit ein produktiver Austausch zwischen Werk, Raum und Publikum entsteht.

Die Leitmotive: drei Fragen an die Kunst und ihr Publikum Um einen solchen produktiven Austausch anzustoßen, stellt die documenta 12 der Kunst – aber auch ihrem Publikum – drei Fragen: Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das bloße Leben? Und, in Bezug auf die Bildung: Was tun? Das heißt: Ist die Menschheit imstande, über alle Differenzen hinweg, einen gemeinsamen Horizont zu erkennen? Ist die Kunst das Medium dieser Erkenntnis? Was ist zu tun, was haben wir zu lernen, um der Globalisierung seelisch und intellektuell gerecht zu werden? Ist das eine Frage ästhetischer Bildung? Was macht das Leben eigentlich aus, wenn man all das abzieht, was nicht wesentlich zum Leben gehört? Hilft uns die Kunst, zum Wesentlichen zu gelangen?

Doch nicht nur die Ausstellung selbst, sondern auch die sie als Medium begleitenden Organisationsformen – documenta 12 magazines, documenta 12 Beirat sowie die Aktivitäten der KunstvermittlerInnen –, das documenta 12 Filmprogramm und nicht zuletzt die Ausstellungsarchitektur stellen für diese Leitmotive und Fragen einen vielstimmigen Resonanzraum her.

Räume für Kunst – Ausstellungsarchitektur der documenta 12

Die documenta 12 erstreckt sich in Kassel über fünf Ausstellungsorte auf einer Achse zwischen den beiden Parklandschaften, der Karlsaue und dem Bergpark: Sie umfasst u.a. das Museum Fridericianum, das Schloss Wilhelmshöhe, die Neue Galerie, die documenta-Halle und den temporär erbauten Aue-Pavillon.

Die documenta 12 kennt kein programmatisches Statement, kein architektonisches Raster, mit dem die Gebäude und die Kunst überzogen werden. Stattdessen werden singuläre Lösungen entwickelt, die dem Museum Fridericianum, der Neuen Galerie und der documenta-Halle entsprechen. Der Aue-Pavillon ist eine in sich singuläre Lösung. Er antwortet auf den temporären Wunsch nach einem großzügigen Ausstellungsraum, eingebettet in die Aue. Alle vier genannten Gebäude sind aber nicht nur Räume für Kunst, sondern kommunizieren, ja praktizieren eine Vorstellung von Öffentlichkeit.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die ästhetische Erfahrung und die für sie notwendigen Räume – nicht die Bauten. Anstriche, Teppiche und Vorhänge sind die einfachsten Mittel, um räumliche Inszenierungen zu schaffen, die von begrenzter Dauer sind. Farbigkeit hilft, die latenten atmosphärischen Stereotypien der zeitgenössischen Kunstbetrachtung zu lockern.

documenta 12 magazines – eine Plattform und drei Hefte

Für das Publikationsprojekt documenta 12 magazines wurden unter der Leitung von Georg Schöllhammer seit Januar 2006 nahezu 100 Publikationen unterschiedlicher Formate, Reichweiten und Schwerpunktsetzungen aus aller Welt eingeladen, gemeinsam über Motive und Themen der documenta 12 nachzudenken. Kunst-, Kultur- und Theoriemedien haben die Fragen der Ausstellung zu den ihren gemacht, sie in ihren Redaktionen diskutiert und sie an AutorInnen und KünstlerInnen weitergegeben.

Eine Auswahl der Bild- und Textproduktionen erschienen im Vorfeld der Ausstelung in drei Ausgaben der Zeitschrift documenta 12 Magazine. Modernity?, Life! und Education: sind Ende Juni dann zusammengefasst als Reader erhältlich. Zudem ist ab dem 16. Juni das Online-Journal der documenta 12 magazines für die Öffentlichkeit über die Internetseite www.documenta.de zugänglich. Das Journal beinhaltet alle Texte, die im Zuge des Publikationsprojektes entstanden sind. Über „Print-on-Demand“ können sich die interessierten LeserInnen ihr individuelles Magazin selber zusammenstellen.

documenta 12 Beirat

Die documenta 12 will ihr Publikum darin unterstützen, die ausgestellten künstlerischen Arbeiten auf das eigene Leben zu beziehen. Das gilt besonders für das lokale Publikum in Kassel, das aufgrund der langen Geschichte der Ausstellung in der Stadt ganz besondere Beziehungen zur documenta hat.

Seit Beginn des Jahres 2006 kommt der documenta 12 Beirat regelmäßig in Kassel zusammen. Er besteht aus rund 40 lokalen ExpertInnen, die Erfahrungen und Perspektiven aus formaler und informeller Bildung, Stadtplanung, Arbeitswelt, Wissenschaft, sozialer Arbeit, politischen Organisationen, religiösen und kulturellen Lebenswelten sowie Kinder- und Jugendarbeit mitbringen. Zusammen mit KünstlerInnen und dem Team der documenta 12 setzen sie sich mit der Bedeutung der Leitfragen in Kassel auseinander und verknüpfen diese mit den Mentalitäten und Themen vor Ort. Um die Ausprägungen der Leitmotive konkret zu machen und sie als Impulse für die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu nutzen, entwickeln die Beiratsmitglieder eigene, praxisbezogene Aktivitäten, an denen sich das Publikum auch während der Ausstellung beteiligen kann.

Kunstvermittlung der documenta 12

Im Unterschied zur Tendenz, Kunstvermittlung als Dienstleistung und Marketinginstrument zu verstehen, wird sie bei der diesjährigen Weltkunstausstellung als Anwältin der Kunst und als Gegenüber des Publikums auftreten. Denn die Bedeutung eines Kunstwerks ist nicht gegeben, sie muss immer wieder hergestellt werden in einem potenziell unabschließbaren Prozess, der vielleicht mehr mit Bereitschaft als mit Kennerschaft zu tun hat.

Die documenta 12 bietet den BesucherInnen verschiedene Führungen, Formen und Formate von Kunstvermittlung an, die dieses Engagement unterstützen und zu gemeinsamer Erfahrung und Auseinandersetzung mit Kunst einladen. Die Führungen durch die Ausstellung, die (mindestens) zwei Stunden dauern, werden immer wieder an Palmenhainen pausieren. Darunter kann man sich einen markierten Bereich innerhalb des Ausstellungsraums vorstellen, welcher der gemeinsamen konzentrierten Betrachtung und Beschäftigung mit Kunst gewidmet ist. Die BesucherInnen können sich von der Vermittlung informative Inspiration erwarten, aber keine definitive Wahrheit. Dass Kunst sich nie gänzlich erklären lässt, gehört zu den Erfahrungen, die die documenta ihrem Publikum auch diesmal zumuten wird. Schließlich liegt ja gerade darin ihre Kraft.

documenta 12 Halle – Produktionsraum für Beirat, magazines und Vermittlung

In der documenta 12 Halle werden verschiedene Organisationsformen des Mediums Ausstellung – documenta 12 magazines, documenta 12 Beirat sowie die Aktivitäten der KunstvermittlerInnen – als unterschiedliche Ebenen der Vermittlung zusammenfließen und sich der Öffentlichkeit präsentieren. Aus der Zusammenarbeit von internationalem Redaktionsnetzwerk, lokalem Engagement und Vermittlung der Ausstellung entwickelt sich dort über 100 Tage ein kollektiver Bildungsprozess. In den täglich um 13 Uhr stattfindenden Lunch Lectures – Präsentationen, Vorträgen, Diskussionen, Workshops – ist das Publikum zur Teilnahme an diesem Arbeitsprozess eingeladen. Daneben werden das Foyer und das Café Orte der Entspannung und der spontanen Begegnung sein. Auch WLAN-Hotspots und das Pressezentrum befinden sich in der Halle.

Zweimal Leben – das documenta 12 Filmprogramm

„Der Ort des Films auf der documenta 12 ist das Kino: eine schlichte Antwort auf die Debatten der letzten Jahre, wie Laufbilder im Kunstkontext wohl am besten darstellbar wären.“ (Alexander Horwath)

Das von Alexander Horwath, Leiter des Österreichischen Filmmuseums, kuratierte documenta 12 Filmprogramm zeigt 50 Programme aus der „zweiten Hälfte des Kinos“, von den 1950er Jahren bis heute, jeweils an zwei unterschiedlichen Tagen während der Laufzeit von documenta 12. Schauplatz ist das Gloria Kino in Kassel. Die Auswahl hat das ganze Kino im Blick: alle Gattungen und Genres - populärer Spielfilm, Avantgardefilm, Dokumentarfilm, Kunstfilm (im Sinne des europäischen Autorenfilms) - den "Normalfall des Kinos" eben.

documenta 12 Aufführungen

Montag, 2., Dienstag, 3. und Mittwoch, 4. Juli

Musikalische Szenen: Alice Creischer, Christian von Borries, Andreas Siekmann

Auf einmal und gleichzeitig. Eine Machbarkeitsstudie

In einem kollektiven Arbeitsprozess haben die KünstlerInnen Alice Creischer und Andreas Siekmann gemeinsam mit dem Komponisten und Dirigenten Christian von Borries fünf musikalische Szenen und ein Libretto konzipiert: Auf einmal und gleichzeitig. Eine Machbarkeitsstudie handelt von der arbeitsbefreiten Gesellschaft und demonstriert die (Vor-)Bedingungen unserer Konsumwelt. Das Stück kommt unter Beteiligung des Landesjugendsinfonieorchesters Hessen sowie weiteren DarstellerInnen in der Shopping Mall am Königsplatz zur Aufführung. Uhrzeit: jeweils 17:00 Uhr Ort: City-Point, Kassel

Donnerstag, 16., Freitag, 17. und Samstag, 18. August

Performance: Yvonne Rainer, RoS Indexical und AG Indexical, with a little help from H.M.

Yvonne Rainer ist auf der documenta mit zwei Tanz-Performances vertreten. Ihr Stück RoS Indexical versteht sich als eine Überarbeitung der kontroversen Premiere von Stravinskys Le Sacre du Printemps am Théâtre des Champs-Elysées in Paris 1913 und wird als Koproduktion von PERFORMA und documenta 12 in Kassel uraufgeführt. Für ihre Performance AG Indexical, with a little help from H.M. greift Yvonne Rainer auf den Ballettklassiker Agon von Balanchine/Stravinsky aus dem Jahr 1957 zurück und analysiert, würdigt und parodiert das große Vorbild. Uhrzeit: jeweils 21:00 Uhr Ort: tif – Theater im Fridericianum, Kassel Samstag, 22. September Modenschau: Oumou Sy Oumou Sy gehört heute zu den herausragenden Persönlichkeiten der afrikanischen Modewelt. Die Autodidaktin beherrscht verschiedene Techniken des Färbens, Webens und Stickens und verbindet traditionelle afrikanische Muster, Stoffe und Formen mit westlichen Elementen und Motiven zu innovativen, eleganten oder witzigironischen Kreationen. Ihre Modenschau mit historischer Haute Couture, Königsgewändern und Kostümen des Karnevals von Dakar bildet den krönenden Abschluss der documenta 12. Uhrzeit: 21:00 Uhr Ort: wird noch bekannt gegeben

Lunch Lectures und Filmprogramm während der 100 Tage

Das „Museum der 100 Tage“ ist nicht nur eine Ausstellung, sondern begreift sich in seiner zwölften Ausgabe auch als Medium, als Ort, an dem sich unterschiedliche Produktionsformate verdichten. Ausdruck wird ihnen in den täglich stattfindenden Lunch Lectures und dem documenta 12 Filmprogramm verliehen. Täglich vom 16. Juni – 23. September 13:00 Uhr Lunch Lecture, Foyer der documenta-Halle, Du-Ry-Straße 1, Kassel 20:30 Uhr Filmprogramm, Gloria Kino, Friedrich-Ebert-Straße 3, Kassel Um den entstehenden inhaltlichen Bezügen Raum zu geben, wird das Programm der Lunch Lectures erst im Laufe der 100 Tage erarbeitet: Ein wöchentlicher „Menüplan“, veröffentlicht über die Webseite der documenta 12 sowie durch das flexible Leitsystem, wird über die Veranstaltungen der jeweils kommenden Woche informieren.

Detaillierte Informationen zum documenta 12 Filmprogramm entnehmen Sie bitte der beiliegenden Filmprogrammbroschüre. Einen ausführlichen Katalog zum documenta 12 Filmprogramm gibt es für 2 EUR auf dem Ausstellungsgelände sowie im Gloria Kino zu kaufen.

Biografien Roger M. Buergel und Ruth Noack

ROGER M. BUERGEL, künstlerischer Leiter der documenta 12 *1962, Ausstellungsmacher und Autor, zwei Kinder Erhielt den Walter Hopps Award for Curatorial Achievement, The Menil Collection, Houston (Texas, 2003). Kuratierte Gouvernementalität. Kunst in Auseinandersetzung mit der internationalen Hyperbourgeoisie und dem nationalen Kleinbürgertum (Alte Kestner Gesellschaft Hannover, 2000); The Subject and Power – the lyrical voice (CHA Moskau, 2001).

RUTH NOACK, Kuratorin der documenta 12 *1964, Kunsthistorikerin, zwei Kinder Studium der Kunstgeschichte, audiovisuellen Medien und der feministischen Theorie in den USA, England, Deutschland und Österreich. Vortragstätigkeit ab 1990, Veröffentlichungen ab 1992. Kuratierte ab 1996 feministische Veranstaltungen zu Kunst und Film. Lehrte ab 2000 an der Universität Wien, der Universität für Angewandte Kunst, Wien (Filmtheorie) und der Universität Lüneburg. Diente 2002-03 als Präsidentin der AICA Österreich.

Gemeinsam kuratierte Ausstellungen: Loci (Ausstellungsreihe in Privaträumen in Bremen, Hamburg, Berlin, 1992-93); Szenen einer Theorie. Das Kunstwerk als Agent filmischer Diskurse (Depot Wien, 1995); Dinge, die wir nicht verstehen (Generali Foundation Wien, 2000); Formen der Organisation/Organisational Form (Kunstraum der Universität Lüneburg, Galerija ?kuc Ljubljana und Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 2002-03); Die Regierung (Ausstellungsreihe, Kunstraum der Universität Lüneburg, MACBA-Museu d’Art Contemporani de Barcelona, Miami Art Central Miami, Secession Wien und Witte de With Rotterdam, 2003-05).

Leitmotive der documenta 12

documenta 12 orientiert sich an drei Leitmotiven. Es ist kein Zufall, dass diese Leitmotive als Fragen formuliert sind, schließlich machen wir die Ausstellung, um etwas herauszufinden. Hier und dort können diese Motive zueinander in Beziehung treten, einander überlagern oder auch zerfallen – wie bei einem Musikstück. Ist die Moderne unsere Antike? So lautet die erste Frage. Es ist recht augenfällig, dass die Moderne oder – vielleicht besser – ihr Schicksal einen starken Einfluss auf zeitgenössische KünstlerInnen ausübt. Ein Teil der Faszination mag daher rühren, dass niemand so genau weiß, ob die Moderne nun ein abgeschlossenes Kapitel darstellt oder nicht. Nach den totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts (den gleichen Katastrophen, die sie ins Werk setzte) scheint die Moderne in Trümmern zu liegen und vollkommen kompromittiert: sowohl durch die gnadenlos einseitige Umsetzung ihrer universalen Forderungen (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) als auch durch die simple Tatsache, dass Moderne und Kolonialismus historisch Hand in Hand gehen. Dennoch ist das Vorstellungsvermögen vieler Menschen von modernen Formen und Visionen tief durchdrungen und das bedeutet nicht nur Bauhaus, sondern auch Konzepte der Moderne wie „Identität“ oder „Kultur“, die aus der aktuellen Diskussion nicht wegzudenken sind. Kurz, es scheint, als stünden wir zugleich außerhalb und innerhalb der Moderne. Als seien wir einerseits von ihrer tödlichen Gewalt angewidert und andererseits von ihrem zutiefst unbescheidenen Anspruch auf Universalisierbarkeit angezogen. Gibt es, allen Widerständen zum Trotz, doch so etwas wie einen gemeinsamen Horizont für die Menschheit – ein Leben, das weder durch Differenz noch durch Identität bestimmt ist?

Was ist das bloße Leben? Diese zweite Frage gilt der absoluten Verletzlichkeit und Ausgesetztheit menschlichen Lebens. Sie richtet sich auf den Teil unserer Existenz, den keine wie auch immer geartete Sicherheitsmaßnahme je schützen wird. Doch wie in der Sexualität können absolute Verletzlichkeit und unendliche Lust unbehaglich dicht beieinander wohnen. Das bloße Leben kennt eine apokalyptische und unmissverständlich politische Dimension, an deren Ende die Folter und das Konzentrationslager stehen. Es lässt sich auf diesen apokalyptischen Aspekt aber nicht reduzieren, denn es kennt auch eine lyrische oder sogar ekstatische Seite – eine Freiheit für neue und unerwartete Möglichkeiten (in zwischenmenschlichen Beziehungen ebenso wie in unserem Verhältnis zur Natur oder, noch allgemeiner, zur Welt, in der wir leben). Mitunter gelingt es der Kunst, die Trennung zwischen schmerzvoller Unterwerfung und jauchzender Befreiung vergessen zu machen. Doch was bedeutet das für ihr Publikum und dessen moralische Standards?

Die letzte Frage gilt der Bildung: Was tun? – KünstlerInnen bilden sich selbst, indem sie Formen und Inhalte durcharbeiten; das Publikum bildet sich, indem es Dinge ästhetisch erfährt. Wie man der jeweils singulären Erscheinung dieser Dinge gerecht wird, ohne sie in Schubladen zu stecken, ist eine der großen Herausforderungen, denen sich eine Ausstellung wie die documenta zu stellen hat. Aber es geht noch um mehr. In der Kunst und ihrer Vermittlung spiegelt sich der globale Prozess kultureller Übersetzung, der wiederum die Chance einer allumfassenden öffentlichen Debatte bietet. Ein Publikum zu bilden bedeutet, nicht nur Lernprozesse anzustoßen, sondern für eine Öffentlichkeit tatsächlich zu sorgen. Heute erscheint ästhetische Bildung als die einzig tragfähige Alternative zu Didaktik und Akademismus auf der einen und Warenfetischismus auf der anderen Seite.

Roger M. Buergel, Dezember 2005

Räume für Kunst – Ausstellungsarchitektur der documenta 12

Begreift man wie die künstlerische Leitung der documenta 12, Roger M. Buergel und die Kuratorin, Ruth Noack, eine Ausstellung weniger als Schauraum, sondern als Medium, als Möglichkeitsraum, den Kunst und Publikum miteinander teilen, dann wird das Verhältnis von Ausstellung und Architektur interessant. Versteht man die Ausstellung als Komposition, durch die sich eine Öffentlichkeit (ästhetisch) bilden kann, dann werden Ausstellungsdisplay und Installationsdesign wichtig. Kurz, wenn es um die Bildung eines Publikums geht, kommt man um die Frage der Ausstellungsarchitektur nicht herum.

Die documenta 12 kennt kein programmatisches Statement, kein architektonisches Raster, mit dem die Gebäude und die Kunst überzogen werden. Stattdessen werden singuläre Lösungen entwickelt, die dem Museum Fridericianum, der Neuen Galerie und der documenta-Halle entsprechen. Der Aue-Pavillon ist in sich eine singuläre Lösung. Er antwortet auf den temporären Wunsch nach einem großzügigen Ausstellungsraum, eingebettet in die Aue. Alle vier genannten Gebäude sind aber nicht nur Räume für Kunst, sondern kommunizieren, ja praktizieren eine Vorstellung von Öffentlichkeit.

Das Museum Fridericianum aus dem späten 18. Jahrhundert ist von seiner Anlage her ein herrschaftlicher Repräsentationsbau. Die Idee „Museum“ hatte ihre eigene Form noch nicht gefunden. Für die documenta 12 wurden aus diesem Haus sämtliche „falschen“ Wände entfernt, mit denen man seit Jahrzehnten das Gebäudeinnere, insbesondere die Fensterseiten verstellt hatte, um Hängefläche zu gewinnen. Mit Hilfe farbiger Wände wurden die einzelnen Stockwerke klarer definiert, um dem Besucherstrom die Orientierung im Gebäude zu erleichtern. Im Eingangsbereich wurde eine zentrale Treppe geschaffen, die das Erdgeschoss mit dem ersten Stock verbindet. Dieser Eingriff knüpft an die ehemals existierende, in den 1980er Jahren entfernte, zentrale Treppe als dem eigentlichen Rückgrat des Gebäudes an. Die Neue Galerie, entstanden unmittelbar nach der Reichsgründung 1871, kann einen gewissen wilhelminischen Muff nicht verleugnen. Dazu kommt eine Innenraumgliederung mit kleinen Sälen und Kabinetten, welche die bürgerliche Doppelmoral, das intime Abhängigkeitsverhältnis von ostentativer Zurschaustellung und beinharter Verdrängung widerspiegelt. Es erwies sich als Herausforderung, das Gebäude, das in seinen Proportionen eher dem individuellen Connaisseur Rechnung trägt, einem Besucherfluss zu öffnen; dazu wurde der zentrale Eingang wieder in die zur Aue gelegene Gebäudemitte versetzt. Die großen Säle zur Rechten wurden ohne Trennwände gestaltet.

Die documenta-Halle steht für das 20. Jahrhundert, genauer für dessen zweite Hälfte, und für eine gewisse Unentschiedenheit hinsichtlich des Verhältnisses von Kunst und Diskurs. Eine lang gezogene Lobby, an die eine Raumfolge grenzt, mündet in einen riesigen Raum, den man eher mit einer Squashhalle mit entsprechendem Freizeitverhalten assoziieren wird als mit einem Kunstraum. An diesen fügen sich noch zwei weitere Kabinette.

Die documenta 12, die mehr als ein Schauraum sein möchte, macht die documenta- Halle zum Produktions- und Kunstraum zugleich. Im Foyer und den Kabinetten arbeiten documenta 12 Beirat, documenta 12 magazines und Kunstvermittlung kollektiv weiter – zusammen mit dem Publikum. In der enorm hohen Halle finden Kunstwerke einen besonderen Raum.

Der Aue-Pavillon schließlich ist ein dezidiert zeitgenössisches, aber auch temporäres Gebäude, für welches das Pariser Büro Lacaton & Vassal eine Vision sowie den konkreten Grundriss geliefert hat. Dieser Raum ist weniger Architektur als – wie sein Vorbild, der Paxton’s Crystal Palace – ein Stück Ingenieurskunst. Der Pavillon steht in enger Korrespondenz zur Orangerie und zur Gartenarchitektur der Aue. Anders als bei der Orangerie und dem Crystal Palace sind an die Stelle exotischer Gewächse und avancierter Industrieprodukte im frühen 21. Jahrhundert symbolische Werte – Kunst – getreten. Die Gliederung im Innenraum verknüpft drei Typen von Display. Im ersten Drittel werden die Objekte beinahe isoliert und bekommen nur die Unterstützung, die sie unbedingt benötigen. Das zweite Drittel erschließt sich als Labyrinth, als verschlungenes Wandsystem, das auf die Achsen der Gartenanlage reagiert, diese Achsen aber zum Zwecke unvorhersehbarer Begegnungen aufbricht. Das letzte Drittel zeigt einen White Cube, der ebenfalls gebrochen ist, da sich eine seiner Wände, eine Panoramaglasfassade, zur Orangerie hin öffnet. In unseren Architekturdiskussionen haben wir einerseits an Bodes documenta- Konzeptionen angeschlossen, andererseits an Displaymodelle, wie sie Frederick Kiesler in den USA oder Lina Bo Bardi in Brasilien entwickelt haben. Die Gesamtleitung der Architektur liegt bei Tim Hupe Architekten, Hamburg.

Ruth Noack/Roger M. Buergel April 2007

documenta 12 magazines

Wie erlangt die documenta Kenntnis von spezifischem Wissen auf der Welt? Und wie kann sie dieses Wissen vermitteln? Und wie macht man eine Großausstellung, ohne auf Repräsentation zu setzen, sondern auf produktive Produktionsformate und Formalisierungen? Wenn man sich nicht auf weltreisende KuratorInnen und den globalisierten Kunstmarkt oder das Ausstellen geopolitischer Identitäten und exotischer Positionen verlassen will, bedarf es anderer Formen, um lokales Wissen produktiv zu machen.

Eine mögliche Form wurde mit dem Publikationsprojekt documenta 12 magazines gefunden: Nahezu 100 Publikationen unterschiedlicher Formate, Ausrichtungen und Schwerpunktsetzungen, Kunst-, Kultur- und Theoriemedien aus aller Welt wurden seit Januar 2006 eingeladen, gemeinsam über Motive und Themen der documenta 12 nachzudenken. Sie haben die Fragen der Ausstellung zu den ihren gemacht, sie in ihren Redaktionen diskutiert, sie an AutorInnen und KünstlerInnen weitergegeben. Entstanden sind seither mehr als 300 Beiträge, Aufsätze, Interviews, Glossen oder Bildessays. Entstanden ist auch ein Raum für Austausch, Debatte, Kontroverse und Übersetzung, kurz ein vielschichtiger „Kommunikationsprozess, der jede Menge Staub und Dinge zum Vorschein kommen lässt, die wir für die Ausstellung brauchen können. Themenstellungen oder Dringlichkeiten, die im Verborgenen schlummerten und mit denen wir nicht gerechnet hätten“, wie Roger M. Buergel formuliert. Diesen Kommunikationsprozess führt das Projekt documenta 12 magazines in der documenta 12 Halle weiter. Dort werden während der 100 Tage die beteiligten Zeitschriften vorgestellt. RedakteurInnen und AutorInnen treten in den Lunch Lectures in einen Dialog mit den AusstellungsbesucherInnen. Im documenta-Archiv steht ein Leseraum für die Lektüre der Magazine offen.

Das Online-Journal von documenta 12 magazines ist ab dem 16. Juni für die Öffentlichkeit über die Internetseite www.documenta.de zugänglich. Das Journal beinhaltet alle Texte, die im Zuge des Publikationsprojektes entstanden sind. Interessierte LeserInnen können sich ihr individuelles Magazin selbst zusammenstellen. Ein Newsletter informiert über neu erscheinende Beiträge und im Archiv lassen sich die Diskussionen der am Projekt beteiligten EditorInnen nachverfolgen.

Das Material, das die drei Hefte Modernity?, Life! und Education: im Vorfeld der Ausstellung hervorbrachten, soll den LeserInnen und den BesucherInnen der documenta 12 zur Navigation dienen. Die Magazine legen Fährten, eröffnen Perspektiven und verbinden damit auch die Ausstellung mit ihrem Publikum.

Redaktionsteam: Georg Schöllhammer, Heike Ander, Cordula Daus, Maria Derntl, Fouad Asfour, María Berríos, Cosmin Costinas, Hu Fang, Keiko Sei, Kerstin Greve, Astrid Poyer, Moritz Reischel

documenta 12 Beirat

Seit Beginn des Jahres 2006 kommt der documenta 12 Beirat regelmäßig in Kassel zusammen. Er besteht aus rund 40 lokalen ExpertInnen, die Erfahrungen und Perspektiven aus formaler und informeller Bildung, Stadtplanung, Arbeitswelt, Wissenschaft, sozialer Arbeit, politischen Organisationen, religiösen und kulturellen Lebenswelten sowie Kinder- und Jugendarbeit mitbringen. Zusammen mit dem Team der documenta 12 setzen sie sich mit der Bedeutung der Leitfragen in Kassel auseinander und verknüpfen diese mit den Mentalitäten, Kontexten und Themen vor Ort.

Aus den Diskussionen des Beirats um die Bedeutung der Leitmotive für Kassel haben sich eine Reihe von Themen kristallisiert, die lokalspezifische Anordnungen der Leitmotive darstellen. So führt beispielsweise die Frage nach der Moderne unweigerlich zurück zu Kassels Geschichte als Industriestadt, die sowohl Wohlstand und sozialen Aufstieg als auch Rüstungsproduktion und Zerstörung hervorgebracht hat. Der Wiederaufbau der Stadt erfolgte wiederum aus dem Geiste des modernen Rationalismus. Ebenso rührt die Frage nach dem bloßen Leben an diesem historischen Trauma, ist aber gegenwärtig genauso aktuell, wenn etwa die hohe Erwerbslosigkeit oder die prekäre Situation von MigrantInnen zu beschreiben ist. Die Bildungslandschaft in Kassel ist im Umbruch – am deutlichsten wird dies an der Umstrukturierung der Universität von einer integrativ angelegten Gesamthochschule hin zu einer Eliteschmiede sichtbar – jedoch haben zahlreiche Gruppen, Initiativen und Netzwerke längst begriffen, dass auch ihre gelebte kollektive Praxis eine Organisationsform der Bildung und der Selbstsorge ist.

Die Arbeit des documenta 12 Beirats setzt sich in der Stadt fort: Um die Ausprägungen der Leitmotive konkret zu machen und sie als Impulse für die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu nutzen, entwickeln die Beiratsmitglieder praxisbezogene und diskursive Aktivitäten, die sie in ihren eigenen Formaten umsetzen. So widmen sich einige StadtplanerInnen und GeografInnen dem Zustand des öffentlichen Raums, ein Netzwerk von Kinder- und Jugendinitiativen plant einen Aktionssommer zu den Leitmotiven, Erwerbslose nehmen die Leitmotive zum Anlass, um miteinander an einer Neubewertung der Krise der Arbeitsgesellschaft zu arbeiten, und dem Zusammenhang von Bildung, Migration und Ausgrenzung wird eine eigene Veranstaltungsreihe gewidmet.

Nicht zuletzt sind die Beiratsmitglieder auch AnsprechpartnerInnen und UnterstützerInnen für KünstlerInnen, die ihre Arbeit in Kassel oder mit Bezug auf diesen Ort entwickeln, indem sie Verbindungen herstellen, Zugänge schaffen und ihr lokales Wissen in den Prozess der documenta 12 einspeisen. Bereits in den Monaten vor Eröffnung der Ausstellung zogen die Aktivitäten des Beirats in Kassel Kreise. Daraus ergaben sich erste Impulse für eine Debatte um die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Leitfragen. Diese sollen das Publikum der documenta 12 ermutigen, die Leitfragen und schließlich auch die Kunst auf sich selbst und ihr Umfeld, auf ihr eigenes Leben zu beziehen.

Der documenta 12 Beirat wurde in Zusammenarbeit mit dem Kasseler Kulturzentrum Schlachthof e.V. gegründet und wird in dieser Kooperation entwickelt und begleitet. Entwicklung: Ayse Güleç (Sprecherin documenta 12 Beirat) und Wanda Wieczorek (Assistenz künstlerische Leitung)

Aktivitäten des documenta 12 Beirat

Die Diskussionen um die Bedeutung und Ausprägung der documenta 12 Leitmotive in Kassel werden von den Beiratsmitgliedern in ihre eigenen Formate übersetzt. So können die Themen und Anliegen vor Ort den Resonanzraum des translokalen Horizonts der Weltkunstausstellung bilden, damit diese sowohl für eine lokale als auch für eine breitere Öffentlichkeit anschaulich werden. documenta hier mit uns!

In Kassel hat sich zur Documenta11 im Jahre 2002 ein Kinder- und Jugendnetzwerk gebildet, um die Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Stadt umfassender repräsentieren und unterstützen zu können. Das Engagement der TeilnehmerInnen entstand aus dem Wunsch, Anknüpfungspunkte zur Weltkunstausstellung zu ermöglichen. Mitglieder des Netzwerks arbeiten daher von Beginn an im documenta 12 Beirat mit. Dieses Netzwerk wird die documenta 12 dazu nutzen, die bestehenden Aktivitäten fortzuführen und mit dem gesellschaftlichen Anliegen der documenta als Bildungsinstitution zu verbinden.

Bereits im Jahr 2006 hat das Kinder- und Jugendnetzwerk Kassel unter dem Motto Around the World – Welten im Koffer Aktionen realisiert. Entlang der Metapher des Koffers wurden mit Kindern und Jugendlichen die Leitfragen der documenta 12 nach dem bloßen Leben und der Bildung bearbeitet. Die Kinder und Jugendlichen füllten die Koffer mit ihren Sichtweisen, Erfahrungen und Gedanken: Rechte, Bedürfnisse, Vorstellungen und Forderung nach Teilhabe, aber auch die eigene gesellschaftliche Position ließen sich mit dem Medium des Koffers thematisieren. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung wurden der Öffentlichkeit im Oktober 2006 präsentiert und bilden die Grundlage für die weitere Beschäftigung der Kinder und Jugendlichen mit den Leitmotiven der documenta 12 in diesem Jahr.

Zentrum dieser unter dem Motto documenta hier mit uns! gebündelten Aktivitäten ist die netzWERKstatt, ein Ladenlokal in der Innenstadt. Zudem wird ein Stadtplan erstellt, der die unterschiedlichen Orte und Aktivitäten von und für Kinder und Jugendliche in Kassel verzeichnet, und als Poster in der Stadt plakatiert. netzWERKstatt, Steinweg 31, 34117 Kassel

Eröffnung am 20. Juni, 18:00 Uhr www.documenta-hiermituns.de

Die unsichtbare Stadt – sichtbar machen

Das Leitmotiv der Moderne wirft die Frage nach einem möglichen gemeinsamen Horizont der Menschheit auf – und diese ist gekoppelt an die Frage nach dem weltweiten Umgang mit den endlichen Ressourcen. Die Aktivität Die unsichtbare Stadt – sichtbar machen nimmt sich dieses Themas an und setzt als Ausgangspunkt das unterirdische Versorgungssystem für Strom, Wasser und Gas in Kassel.

Die im Stadtraum sichtbaren Zeichen der Leitungsnetze und der unterirdischen Infrastruktur führen von der ökonomischen und sozialen Bedeutung für das moderne Leben auch zu der politischen Frage nach den Eigentumsverhältnissen. Ehemalige Versuche zur Privatisierung der Wasserversorgung und aktuelle Verhandlungen über den Verkauf der Städtischen Werke AG in Kassel sind lokale Beispiele für Konflikte um Ressourcenversorgung, die auf andere Orte und globale Prozesse übertragbar sind.

Der lokale Umgang mit Ressourcen, die internationale Verflechtung der Versorgungssysteme und die Frage nach den Eigentumsverhältnissen wurden mit politischen Initiativen, Jugendgruppen, StadtplanerInnen, WirtschaftsvertreterInnen sowie im Rahmen der umweltpolitischen Bildungsarbeit diskutiert. Diese Auseinandersetzung mündet unter anderem in eine Ausstellung, die in der Städtischen Werke AG realisiert und über den documenta-Sommer zu einer Arbeitsplattform ausgebaut wird.

Ausstellung

Städtische Werke AG, Königstor 3–13, 34117 Kassel 13. Juni bis 21. September 2007 Mo–Mi: 09:00–15:30 Uhr, Do: 09:00–17:00 Uhr, Fr: 09:00–13:00 Uhr

Mach-Was-TRäume

Die westliche Moderne ist geprägt von Industrialisierung und der Entwicklung von Massenproduktion. Diese Geschichte ist ambivalent – sowohl Wohlstand und soziale Verbesserungen als auch Krieg und Zerstörung sind mit ihr verbunden. Die Geschichte Kassels lässt beide Aspekte deutlich zutage treten: Florierende Metallunternehmen wie Henschel produzierten neben Lokomotiven auch Rüstungsmaterial. Diese Kriegsproduktion war ein Grund dafür, dass Kassel im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde. Die Zerstörung und der (nicht vollendete) Wiederaufbau der 1950er Jahre haben die alte Stadtstruktur in großen Teilen aufgelöst und prägen bis heute die architektonischen und verkehrstechnischen Handlungskonzepte der Stadtverwaltung.

Eine Folge dieser fragmentierten Baugeschichte ist eine Art „Verinselung“ der Stadt, in der die Freiflächen und öffentliche Plätze keine Verbindung mehr zu ihrer Umgebung herstellen, sondern vielmehr als geografische und sogar als soziale Barrieren wirken. Die Aktivität Mach-Was-TRäume des documenta 12 Beirats zielt auf diese ungenutzten und trennenden Freiflächen. Verbunden mit der Leitfrage Was tun? stoßen sie einen sozialen Prozess an, der in eine Veränderung des öffentlichen Raums münden soll: Einige exemplarische Freiflächen werden mit einer deutlich sichtbaren Markierung hervorgehoben und dadurch als gemeinschaftliche Orte innerhalb der Gesellschaft markiert. Zusammen mit AnwohnerInnen und anliegenden Institutionen setzt die Arbeitsgruppe einen Prozess der Aktivierung in Gang, mit dem kollektive Teilhabe und Nutzung provoziert werden sollen.

www.mach-was-traeume.de

Salon des Refusés

Nicht nur die anhaltenden und sich verschärfenden Diskussionen um Stellenabbau, Manager-Gehälter und Hartz IV machen deutlich: Die Selbstdefinition unserer Gesellschaft anhand der Erwerbsarbeit steckt in einer tiefen Krise.

Dieses Erbe der Moderne zeigt sich mehr und mehr als Falle, die sowohl individuelle Lebenskrisen als auch kollektive Verunsicherung verursacht. Doch die aktuellen Diskussionen um die Zukunft der Arbeit bleiben meist dem Mythos ihres Gegenstands verfallen und lösen sich zu selten von der Fixierung auf Erwerbsarbeit als (alleinige) Rechtfertigung für individuelle und kollektive Ermächtigung. Da die Erwerbsarbeit – zumindest in Deutschland – nach wie vor der wichtigste Bezugspunkt für Identitätsbildung ist, wird für immer mehr Menschen ein positiver Selbstentwurf erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.

Die seit den 1970er Jahren in den westlichen Gesellschaften erfolgten Umbrüche und Umstrukturierungsprozesse der Arbeit haben auch in Kassel und in der Region zu einem starken Abbau von Arbeitsplätzen geführt: Hohe Arbeitslosenzahlen und die damit verbundene und im Stadtbild deutlich sichtbare Armut verweisen auf die Krise der Arbeitsgesellschaft und machen sie zu einem ständigen Begleiter und (negativen) Identitätsstifter vieler BewohnerInnen der Stadt.

Eine Arbeitsgruppe des documenta 12 Beirat wird sich diesem drängenden Thema mit einer eigenen Aktivität widmen: Im Geiste der historischen „Arbeiter-Hochschulen“ wird ein Salon des Refusés gegründet, in dem Erwerbslose und Erwerbstätige gemeinsam das Thema der Krise der Erwerbsgesellschaft erforschen und bearbeiten. Diese Auseinandersetzung bleibt nicht bei den lokalen Gegebenheiten stehen, sondern nimmt vielmehr die internationale Vernetzung der documenta 12 zum Anlass, die lokale Krise der Arbeit zusammen mit den Gästen der documenta 12 im Verhältnis zu globalen Veränderungen der Arbeit zu analysieren. Indem lokale Beispiele aus verschiedenen Ländern von konkreten Akteuren miteinander in Beziehung gesetzt werden, kann die hiesige Situation als Element globaler Umverteilungsprozesse erfahren werden – und damit öffnen sich auch dem Individuum Perspektiven auf globale Handlungsoptionen.

Salon-Gespräche mittwochs um 17:00 Uhr, Ort wird bekannt gegeben

Bildung, Migration, Ausgrenzung

Das Beherrschen der deutschen Sprache wird zunehmend als wichtiger Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe betrachtet. Damit einher geht die Forderung nach Monolingualität, die mit großem gesellschaftlichem Anpassungsdruck vermittelt wird. Dieser Prozess beginnt im frühen Kindergartenalter und setzt sich an den weiterführenden Schulen fort. Schulische Bildung kann daher insbesondere für Kinder aus Migrantenfamilien ausgrenzend sein, da mit der monolingualen Ausrichtung andere (Sprach-)Kompetenzen, Fertigkeiten und spezifisches Wissen nicht wahrgenommen und systematisch abgewertet werden.

An den Hochschulen wird diese Tendenz weiter verstärkt: Der forcierte Wettbewerb drängt die Institutionen und die Akteure in immer stärkerem Maße zur Exzellenz. Diesen zunehmenden Anforderungen steht jedoch eine steigende Anzahl junger Menschen gegenüber, die das Bildungssystem bereits frühzeitig ausgeschlossen hat. In der Kasseler Nordstadt lässt sich dieses Nebeneinander der Bildungswelten exemplarisch beobachten: Auf dem Universitäts-Campus werden Spitzenforschung betrieben und der Wissenschaftsnachwuchs ausgebildet. In direkter Nachbarschaft zur Universität bietet das Kulturzentrum Schlachthof Alphabetisierungs-, Sprach- und sogenannte Integrationskurse für MigrantInnen an. Direkt daneben befindet sich weiterhin eine große Berufsschule aus den 1970er Jahren, die heute als ein Auffangbecken und eine „Warteschleife“ für junge Menschen dient, die aufgrund mangelnder Qualifikation vom Arbeitsmarkt nicht oder nur in geringer Anzahl benötigt werden.

Diese sozialräumliche Konstellation wird der documenta 12 Beirat zum Ausgangspunkt einer Veranstaltungsreihe machen, die während der documenta 12 zusammen mit den ansässigen Bildungsinstitutionen und VermittlerInnen aus dem Team der documenta 12 realisiert wird: Auf dem zentralen Platz zwischen Universität, Berufsschule und Kulturzentrum wird ein „Bildungszelt“ installiert, das einen Ort für die Auseinandersetzung mit den Themen Bildung, Migration und Ausgrenzung bietet. Veranstaltungen dienstags und donnerstags um 17:00 Uhr auf dem Platz vor dem Kulturzentrum Schlachthof, Mombachstraße 12, 34121 Kassel.

ExperimentExkursionen

Am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel beschäftigen sich StudentInnen der Geografie seit zwei Jahren mit der Entwicklung neuer Exkursionsformate. Aus einer humangeografischen Perspektive wird dort Raum nicht nur als ein phänomenologisches oder rein formales Problem, sondern auch als Produkt gesellschaftlicher Machtverhältnisse gesehen.

Im Vordergrund steht dabei die Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten der „Sichtbarmachung“ sozialer Handlungsräume. Die Gruppe ExperimentExkursionen will durch experimentell durchgeführte Exkursionen das brachliegende Feld der Exkursionsforschung theoretisch und methodisch bearbeiten und dies im Rahmen der documenta 12 thematisch zuspitzen.

Für den Sommer sind drei Exkursionen zu den Leitmotiven der documenta 12 geplant, die in Zusammenarbeit mit dem Vermittlungsteam und dem documenta 12 Beirat entwickelt werden und die den Ausstellungs- und den Stadtraum miteinander in Beziehung setzen. Sie identifizieren Orte oder Situationen, an denen die Leitmotive der documenta 12 spezifisch nachvollziehbar werden. Damit schaffen sie die Voraussetzung für den „translokalen Übersetzungsprozess“, den die Rezeption der Kunst erfordert und der für die Einlösung des bildungspolitischen Anspruchs der documenta 12 wesentlich ist.

Kunstvermittlung

Die Kunstvermittlung bekommt auf der documenta 12 einen besonderen Stellenwert und eine eigene Architektur. Im Unterschied zu der Tendenz, Kunstvermittlung als Dienstleistung und Marketinginstrument zu verstehen, wird sie als Anwältin der Kunst und als Gegenüber des Publikums auftreten. Die BesucherInnen sind dazu eingeladen, teilzuhaben an der Komposition der Ausstellung, den Verbindungen zwischen den Arbeiten nachzugehen und vor allem selbst neue Beziehungen herzustellen.

Die ästhetische Bildung beginnt dabei vielleicht weniger mit dem Aneignen von faktischem Wissen als mit dem Einbringen der eigenen emotionalen und intellektuellen Ressourcen. Dass wir „angesichts der zeitgenössischen Kunst zunächst alle Idioten“ sind (Roger M. Buergel), ist, so merkwürdig das klingen mag, vielleicht eine Voraussetzung, um sich auf ästhetische Erfahrung einzulassen. Denn die Bedeutung eines Kunstwerks ist nicht gegeben, sie muss immer wieder hergestellt werden in einem potenziell unabschließbaren Prozess, der vielleicht mehr mit Bereitschaft als mit Kennerschaft zu tun hat.

Die Kunstvermittlung der documenta 12, die von Ulrich Schötker geleitet und von Carmen Mörsch wissenschaftlich begleitet wird, möchte Zugänge erleichtern, ohne den BesucherInnen die Zumutungen zeitgenössischer Kunst zu ersparen. Sie interessiert sich für das Wissen der Beteiligten anstatt diese als Unwissende zu unterschätzen und sie reflektiert die eigene Position und ihre Methoden. Diese gemeinsame Auseinandersetzung braucht Zeit und Raum; die Führungen auf der documenta 12 dauern deshalb (mindestens) zwei Stunden. Und im neu errichteten Aue-Pavillon gibt es dazu eine eigene Architektur, die für diese Rexflexion einen Raum schafft: Palmenhaine. Darunter kann man sich einen markierten Bereich innerhalb des Ausstellungsraums vorstellen, welcher der gemeinsamen konzentrierten Betrachtung und Beschäftigung mit Kunst gewidmet ist.

Die Kunstvermittlung beginnt nicht erst mit der Ausstellung: In Allianz mit dem documenta 12 Beirat und documenta 12 magazines wurde bereits im Vorfeld intensiv daran gearbeitet, eine Öffentlichkeit für die Ausstellung zu bilden. Dazu gehörte, Personen und Gruppen mit ihren speziellen Interessen anzusprechen, das Verhältnis zu den Leitmotiven herauszuarbeiten und eine Reflexion über Kunst und ihre Vermittlung anzuregen.

Die Welt bewohnen

Schülerinnen und Schüler führen Erwachsene durch die documenta 12

Ein besonderer Bestandteil der documenta 12 ist das seit Oktober 2006 stattfindende und von Sonja Parzefall entwickelte Vermittlungsprogramm Die Welt bewohnen. Eine Gruppe von ca. 70 SchülerInnen aus verschiedenen Schulen Kassels im Alter zwischen 13 und 19 Jahren befasste sich bereits im Vorfeld der Ausstellung mit den Leitmotiven und den künstlerischen Positionen der documenta 12, aber auch mit der Frage, was es eigentlich bedeutet, Vermittlung zu betreiben und Wissen weiterzugeben. In einer Mischung aus Vorträgen zu einzelnen Aspekten der Ausstellung, Workshops, der Diskussion mit KünstlerInnen und hauptsächlich der kontinuierlichen gemeinsamen Arbeit in Kleingruppen er- und bearbeiten die SchülerInnen unter Berücksichtigung ihrer Interessen, Fragen und Anliegen gemeinsam das thematische Feld der documenta 12. Das ermöglicht ihnen, eine eigene und durchaus auch kritische Position gegenüber der Ausstellung zu entwickeln und einzunehmen. Die Möglichkeit, sich selbst (bewusst) zu der Ausstellung zu verhalten, befähigt die beteiligten SchülerInnen in einem weiteren Schritt, in der Ausstellung die Rolle der VermittlerInnen für ein breites Publikum zu übernehmen und eigene „Führungen“ in selbst konzipierten Vermittlungsformaten und mit eigenen, inhaltlichen Schwerpunkten anzubieten.

Indem die beteiligten SchülerInnen in der Ausstellung eine SprecherInnenposition, die sonst meist nur Erwachsenen vorbehalten ist, erhalten, wird damit ein spezifisches Wissen sichtbar, das sonst eher im Verborgenen bleibt. In ihrer Rolle als SchülerInnen sind die meist unbefragten Jugendlichen ExpertInnen für Fragen der Bildung, da sie damit täglich in der Schule umgehen (müssen). Zugleich sind sie aber auch BewohnerInnen Kassels mit eigenen Begehren und Perspektiven auf die lokale Situation. Diese zweifache ExpertInnen-Perspektive der Jugendlichen erlaubt es zum einen, die Ausstellung auf ihre Bedeutung bezüglich dieses spezifischen Wissens zu befragen. Zum anderen bietet die Ausstellung mit der Einbindung der Jugendlichen einen Ort für die Weitergabe genau dieser Perspektiven an eine breite Öffentlichkeit.

Führungen mit S-Guides

Um nicht zuletzt dem Medienverhalten gerade einer jüngeren Generation gerecht zu werden, gibt es auch die Möglichkeit, sich mit Audio-Führungen durch die Ausstellung begleiten zu lassen. Auf den S-Guides finden sich drei Führungen entlang der Leitfragen sowie eine essayistische Tour der künstlerischen Leitung. Dafür stehen gegen eine Leihgebühr iPods zur Verfügung. Darüber hinaus kann man sich die Audio-Dateien auch ganz bequem von der Website auf den eigenen MP3-Player herunterladen.

Dieses Format wird durch die Sparkassen-Finanzgruppe ermöglicht, die zum dritten Mal Hauptsponsor der documenta ist und in besonderem Maße einen Beitrag zur Realisierung von Projekten im Bereich Kunstvermittlung und Bildung leistet.

„Aushecken“ – Raum für Schulkinder und Jugendliche auf der documenta 12

Bislang galt bei der Planung eines Besuchs der Weltkunstausstellung zumeist die Devise: „documenta-Zeit ist Großelternzeit.“ Großeltern, Tanten und andere KinderbetreuerInnen können diesmal gleich mit nach Kassel reisen und entspannt die Ausstellung besuchen, denn für Schulkinder und Jugendliche wird es ein eigenes Vermittlungsprogramm geben.

Gleich neben dem neuen Ausstellungsgebäude der documenta 12, dem Aue-Pavillon, können sich Schulkinder und Jugendliche, Schulklassen sowie lokale und anreisende Kinder- und Jugendgruppen in einem barocken Heckenkabinett des Parks mit den Werken und Themen der Ausstellung auseinandersetzen. In diesem geschützten Areal kann im Rahmen des angebotenen Programms gezeichnet und aquarelliert, gefilmt und fotografiert, herumspaziert, gedacht und diskutiert werden. Hier bereitet man sich gemeinsam auf den Ausstellungsbesuch vor oder lässt ihn nachwirken. Auch kann so manches zur documenta 12 gemeinsam ausgeheckt werden. Dabei sind immer wieder Überraschungsgäste zu erwarten, darunter sicher auch die/der eine oder andere KünstlerIn der documenta 12.

Dieses neue Vermittlungsangebot, das dem Team der documenta 12 ein besonderes Anliegen war, wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. Und das sehr unbürokratisch: „Ich freue mich sehr, dass neben der klassischen documenta-Förderung aus dem Haushalt des Kulturstaatsministers nun dieses Extra-Programm durch eine Förderung von 110.000 Euro so schnell auf den Weg gebracht werden konnte“, so der Kasseler CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Jürgen Gehb. „Zwischen dem Erstkontakt und dem Zuwendungsbescheid des Ministeriums vergingen weniger als zwei Monate. Dies zeigt, wie überzeugend die Ideen des documenta-Programms für Kinder und Jugendliche waren und wie schnell gute Ideen auch unterstützt werden.“

Ort: Heckenkabinett an der Fuldaseite der Orangerie, neben dem Aue-Pavillon. Konzept: Claudia Hummel, Annette Krauss, Ute Marxreiter, Ulrich Schötker, what>, (Herman Labro, Rika Colpaert)

Informationen zu den Programmangeboten für die jungen Tagesgäste sowie zu den Führungen und Aktivitäten für Schulklassen, Kinder- und Jugendgruppen und Buchungen entnehmen Sie bitte der Internetseite www.documenta.de

documenta 12 Halle – Produktionsraum für Beirat, magazines und Vermittlung

Die documenta 12 begreift sich als ein Medium – die Ausstellung wird nicht nur als Repräsentationsfläche, sondern als Produktionsformat gedacht, das sich zeitlich und räumlich über den reinen Ausstellungsraum erstreckt. Um die Produktion dieses erweiterten Ausstellungsraums kollektiv zu organisieren, hat die documenta 12 zwei Modelle entwickelt, die bereits seit Beginn des Jahres 2006 komplementär zueinander arbeiten: das Redaktionsnetzwerk von documenta 12 magazines und den in Kassel verankerten documenta 12 Beirat. Beide unterstützen den Transfer lokalen Wissens zwischen Menschen an verschiedenen Orten der Welt, der Kunst und ihrem Publikum. Dieser Transfer wird mit Beginn der Ausstellung um eine weitere Dimension ergänzt: die Kunstvermittlung der documenta 12, die das Publikum dazu anregen wird, in der Auseinandersetzung mit den künstlerischen Arbeiten seine eigenen intellektuellen und ästhetischen Ressourcen ins Spiel zu bringen. Diese verschiedenen Produktionsformate werden sich während der Laufzeit der Ausstellung im Sommer 2007 vor Ort verdichten. Der Raum für die Verdichtung ist die documenta-Halle. Hier werden über 100 Tage EditorInnen des Magazin-Netzwerks mit Mitgliedern des Beirats und VermittlerInnen zusammentreffen und miteinander arbeiten. Es gilt, die verschiedenen Ebenen der Auseinandersetzung mit den Leitmotiven der documenta 12, die Magazine, Beirat und Vermittlung jeweils gefunden haben, zusammenzubringen, kollektiv weiterzuentwickeln und diesen Bildungsprozess gemeinsam mit dem Publikum zu gestalten.

Die documenta-Halle wird daher ein öffentlich zugänglicher Ort der gemeinsamen Bildungsarbeit, der Dokumentation und der Präsentation sein. Die rund 100 am Netzwerk beteiligten Magazine werden im oberen Bereich der Halle präsentiert, darunter viele Medien, die außerhalb ihres eigenen Distributionsraums schwer oder gar nicht erhältlich sind. Zudem werden etwa 140 der mitwirkenden EditorInnen während der hundert Tage in Kassel und in der Halle zu Gast sein. Der Beirat entwickelt seine Aktivitäten in die Stadt hinein und bespielt dort während des Sommers verschiedene Orte. Mit einem Wegweiser-System werden diese Aktivitäten an die Halle angebunden, damit das Publikum den Weg in die Stadt, zu ihren Themen und BewohnerInnen findet.

Die 50 VermittlerInnen führen zusätzlich zum buchbaren Führungsangebot eigene Sonderprojekte durch, in denen neue Formen und Inhalte der Kunstvermittlung zusammen mit ausgewählten Gruppen erarbeitet und umgesetzt werden. Diese Praxisformen entfalten sich in der documenta-Halle und werden ebenso als Ressource eingebracht.

Auch das Publikum laden wir ein, an diesem kontinuierlichen Arbeits- und Bildungsprozess teilzunehmen. Daher findet täglich um 13 Uhr eine einstündige Lunch Lecture im Foyer der documenta-Halle statt. Hier präsentiert die Trias aus Magazin-Netzwerk, Beirat und VermittlerInnen ihre Arbeitsergebnisse und diskutiert mit dem Publikum sowie der erweiterten Öffentlichkeit. Gespräche mit KünstlerInnen der documenta 12 sowie Präsentationen von geladenen Gästen und Initiativen finden hier ebenso statt.

Um den entstehenden inhaltlichen Bezügen Raum zu geben, wird das Programm der Lunch Lectures erst im Laufe der 100 Tage erarbeitet: ein wöchentlicher „Menüplan“, veröffentlicht über die Webseite der documenta 12 sowie durch das flexible Leitsystem, wird über die Veranstaltungen der jeweils kommenden Woche informieren.

Der Produktionsraum documenta-Halle wird durch eine der Öffentlichkeit zugängliche Lounge im Foyer erweitert, in der neben Arbeit auch Ruhe, Entspannung und Erfrischung ihren Platz haben, sowie ein Café im unteren Hallenbereich. Zudem schließt das Pressebüro für JournalistInnen direkt an die Arbeitsräume an.

Zweimal Leben – Das Filmprogramm der documenta 12

Der Ort des Films auf der documenta 12 ist das Kino: eine schlichte Antwort auf die Debatten der letzten Jahre, wie Laufbilder im Kunstkontext wohl am besten darstellbar wären. Der Film hat im Laufe seiner Existenz nicht nur seine „Kunstfähigkeit“ – neben anderen Fähigkeiten – unter Beweis gestellt, sondern mit dem Kino auch eine starke Präsentationsform und einen starken sozialen Raum herausgebildet. Diese Form und dieser Raum beruhen auf den technischen Besonderheiten des Mediums. Sie ermöglichen jene spezifische und intensive Wahrnehmungsweise, der der Film seinen historischen Erfolg verdankt.

Konkreter Schauplatz ist das Gloria Kino in Kassel, das 1955, im selben Jahr wie die erste documenta, eröffnet wurde. Damit ist auch der historische Rahmen der Filmauswahl benannt: die „zweite Hälfte des Kinos“, deren Beginn ungefähr mit dem Beginn des Aufklärungsmediums documenta und des Massenmediums Fernsehen zusammenfällt. Ein Moment, in dem Film auf vielfältige Weise über sich selbst nachzudenken beginnt.

Ein ästhetischer Übergang, der dem Film ein Bewusstsein seiner Geschichtlichkeit und seiner Zeitlichkeit hinzufügt. Ein Prozess, in dem das Verhältnis zwischen Leinwandgeschehen, Zuschauer und dem Sehen selbst an Selbstverständlichkeit verliert. Die frühesten der ausgewählten Werke stammen aus den Jahren 1952–1955 (sie hätten auf der ersten documenta laufen können), die jüngsten aus dem Jahr 2007. Der längste Film, Ken Jacobs’ Star Spangled to Death, ist zugleich jener, der in sich – dank einer aberwitzigen Produktionsgeschichte – fast exakt den Zeitraum der Schau abbildet: Die ersten Szenen wurden 1957 gedreht, die letzten Aufnahmen und die Fertigstellung fallen in das Jahr 2004.

Insgesamt sind im Filmprogramm der documenta 12 94 KünstlerInnen vertreten. Die Linien, die zwischen ihren Werken verlaufen, die Echos und „Gespräche“, die zwischen ihnen hörbar werden, ergeben nicht „die Geschichte des Films seit 1950“, sondern im besten Fall ein paar Geschichten über den modernen Film. Im Zeitalter von Second Life (auf dem Computer zu Hause) und einer allumfassenden Regentschaft der Laufbilder mögen diese Geschichten daran erinnern, dass das Versprechen des Kinos auf ein zweites Leben weder ein Spiel noch ein totalitärer Traum ist. Es ist vielmehr eine Schwelle zwischen dem einen Leben, das wir „haben“, und dem Vorschein von etwas Anderem – größtmöglicher Freiheit in Gemeinschaft.

Der „Normalfilm“ oder „Normalfall des Kinos“, den diese Auswahl im Rahmen einer Kunstausstellung präsentieren möchte, hat nichts mit „Mainstream“ oder „Kinoalltag“ zu tun. Gemeint ist eher, was normal sein sollte: das ganze Kino, alle Gattungen und Genres – populärer Spielfilm, Avantgardefilm, Dokumentarfilm, Kunstfilm (im Sinne des europäischen Autorenfilms) – auf einer einzigen Betrachtungsebene vereint, nicht säuberlich getrennt nach den Regeln des Marktes oder entlang der selektiven Blicke des Kunstbetriebs auf „Künstlerfilme“. Normalfall meint auch: Kino/Film als Ereignis, als Aufführung, als Performance mit einer spezifischen, vom Zuschauer nicht steuerbaren Dauer.

An 100 Tagen documenta 12 finden 100 Aufführungen statt. Gezeigt werden 50 abendfüllende Programme, jedes davon zweimal. Film wird nicht als Objekt zum Mitnachhausenehmen oder Vorbeiflanieren vorgestellt, sondern als ein räumlich und zeitlich bestimmter Akt der Anschauung und des Austauschs mit der Welt. Alexander Horwath, Direktor des Österreichischen Filmmuseums