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Wenn man Doug Aitkens Installationen betrachtet, so wird deutlich, daß sie vergegen-wärtigen, wie der Übergang vom industriellen zum digitalen Zeitalter - von Maschinen, die eine Verlängerung der Muskulatur darstellen zu solchen, die das Nervensystem erweitern - die Art verändert in der wir atmen, gehen, betrachten und zuhören. In den elektronischen Topographien des Künstlers scheinen sich Natur und Technik gegenseitig unter unseren Füßen und über unseren Köpfen zu erobern, und so auch die Bilder und Sounds. Im Zentrum von Aitkens Ausstellung im Hauptraum der Secession, die ältere und neue Arbeiten in einer Installation mit dem Titel Glass Horizon vereint, steht ein großes X sich über-kreuzender Flächen, auf denen vier Projektionen fast 40 Jahre Popgeschichte zu einer Serie von Bildsequenzen von Zuschauern verdichtet, die sich schreiend und stampfend in einen Zustand der lärmenden Raserei versetzen. Hysteria (1998) erzählt von Ekstase und Leere, mit Publikum aus den sechziger Jahren, das in einem polytonalen Schrei der Befreiung aus der Starre der Nachkriegs-Kleinfamilie zu erwachen scheint, bis ihr Kreischen am Ende des Jahrzehnts in ein Implosionsvakuum gesaugt wird: bei einem Rolling Stones-Konzert in Altamont erstachen als Sicherheitsleute eingesetzte Hell's Angels-Mitglieder einen Fan. Und dann beginnt die Popgeschichte von Neuem, so als ob nichts passiert wäre.

Die Lärmkaskaden von Hysteria durchdringen unweigerlich die anderen Arbeiten, die durch die Polypropylenflächen wie eine verschwommene Erinnerung schimmern; sie erhöhen den angespannten Druck von Glass Horizon I und II (2000) rechts und links davon. Ein bei Nacht erleuchteter Tennisplatz, ein nackter Protagonist, der Tennis spielt; ein abstrahiertes organisches Muster von Straßen und Häusern, die wie Überreste einer fremden Zivilisation auf einem anderen Planeten wirken. Der Zeitfluß ist unterbrochen, "Flexibilität" kollabiert in zwanghafter Bewegung.

Die alles durchdringende Fragmentierung von Bild und Klang schließt in der Installation These restless minds (1998) im hinteren Teil des Ausstellungsraumes. Die Arbeit verwandelt das in Aitkens Arbeit unterschwellig präsente Thema der Flexibilisierung der sozio-ökonomischen Sphäre in einen konkreten und manischen Zahlenschwall. Um ein Gesamtbild zu erhalten, müssen die Betrachter beständig um von der Decke abgehängte Monitore kreisen, auf denen Auktionatoren aus dem amerikanischen Mittelwesten zu sehen sind, die wahrscheinlich normalerweise Kühe oder Gebrauchtwagen verkaufen. Geld ist das ausschliessliche Thema ihres endlosen und unglaublich schnellen Redens und Rufens, das die Silben zu einem einzigen durchdringenden Klirren verschmelzen lässt, während offenbar niemand anwesend ist, um überhaupt ein Gebot abzugeben.

Internationale Bekanntheit erlangte Doug Aitken mit der Videoinstallation Electric Earth (1999), die letztes Jahr auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde. Diese Arbeit vermittelt ein ähnliches Gefühl von hyperaktiver Stagnation mit ihrem einzelnen Protagonisten, der durch verlassene Strassen streift und versucht, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen, indem er zu ihren Rhythmen tanzt.

Im Gegensatz zum romantischen Verständnis von Landschaft als Reflexion des individuellen Charakters werden Aitkens Protagonisten durch ihre Bewegung Teil der elektrifizierten Landschaft; sie versuchen, sich deren Gegebenheiten anzupassen und nicht umgekehrt. In Arbeiten wie These Restless Minds oder Glass Horizon I und II geht es nicht um das elegante Meistern der sozialen Schwerkraft einer massenmedialisierten Welt, sondern um den Versuch, mit den absurden stereotypen Gesten der Medienwelt zu arbeiten, gleichzeitig mit und gegen deren Konvention.

Den Abschluß von Aitkens Konzept bildet die nächtliche Projektion eines Augenpaares auf die Fassade der Secession, dessen Blick müde wird, die Bilder werden körniger, es blinzelt - so als würde Aitkens unheimlicher Palast des Pop und der Rastlosigkeit sich zwingen, die Augen offen zu halten, als versuche er uns daran zu erinnern, dass Kunst niemals schlafen darf.

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Doug Aitken
glass horizont