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Was ist Realität und wo überlagern sich ihre Abstraktion, Original und Kopie? Die Grenzen sind heute fließend und lösen sich immer weiter auf. Mit der Ausstellung „Risse in der Wirklichkeit – Gavin Turk / Jens Wolf“ präsentiert Marta Herford zwei Künstler aus der eigenen Sammlung, deren Werke in dialogischer Form miteinander korrespondieren: Gavin Turk aus der Generation der Young British Artists und Jens Wolf, ein Vertreter der neuen Abstraktion in der Malerei. Fast vierzig Werke, darunter großformatige Gemälde, filigrane Skulpturen und eine temporäre Wandarbeit, die eigens für die Ausstellung entstanden ist, eröffnen einen Raum, um über Aneignung und Nachahmung nachzudenken und dabei immer wieder erstaunliche Bezüge zur Kunstgeschichte aufzuzeigen. Konzepte der Autorschaft und Originalität werden hier von beiden Künstlern mit einem ironisch-kritisch Unterton hinterfragt.

„Alle Kunst ist auf die eine oder andere Art Aneignung – schon deshalb, weil sie im Kontext der Kunst gesehen wird.“ Gavin Turk

Der britische Künstler Gavin Turk beschäftigt sich mit so unterschiedlichen Arbeitstechniken, Ausdrucksformen und Themen, dass man dahinter nur schwerlich die Handschrift eines einzelnen Künstlers vermuten würde. Mythos und Inszenierung spielen in seinem Werk eine entscheidende Rolle. Bekannt wurde Turk mit seiner Graduierungsausstellung am Royal College of Arts in London. In einem leeren, weißen Raum montierte er ein blaues Keramikschild mit der Aufschrift „Borough of Kensington, Gavin Turk, Sculptor, worked here, 1989–1991“ (Stadtbezirk Kensington, Gavin Turk, Bildhauer, arbeitete hier 1989–1991). Mit dieser Geste inszenierte er sich als bereits verstorbener, renommierter Künstler. Immer wieder bringt Turk seine Person in sein Werk mit ein, beispielsweise wenn er bekannte Persönlichkeiten wie etwa Elvis Presley lebensecht als Wachsfigur nachformt und deren Antlitz mit seinem eigenen verschmelzen lässt. Durch diese Selbstinszenierung schafft er einen Mythos um sich als Künstlerfigur.

Auch spielt die Idee des Ready-mades eine wichtige Rolle: In Glasvitrinen präsentiert die Ausstellung scheinbar profane Alltagsgegenstände wie eine Toilettenpapierrolle, Plastikbecher oder ein Auspuffrohr. Erst durch genaues Hinsehen oder beim Lesen der Werkangaben fällt auf, dass es sich um perfekt bemalte Bronzegüsse handelt. Scheinbar zufällig sind weitere Bronzen einer Feuerstelle und eines Schlafsacks am Boden im Raum verteilt. Zudem finden sich ganz konkrete Bezüge zu Künstlern wie Josef Albers, dessen farbenfrohe Satztische – entworfen 1926 für die Villa Möllenhoff – Turk nachbaute, um darauf weitere Abgüsse von Farbtuben auszustellen. Die Installation „Telesthesia“ schließlich überträgt das Selbstportrait „La Clairvoyance“ (Das Hellsehen, 1936) des Surrealisten René Magritte in den dreidimensionalen Raum. Hierbei werden nicht nur Autorschaft und Authentizität teilweise ironisch nachgezeichnet, sondern mit der Übernahme dieser künstlerischen Ideen stellt Turk die traditionelle Vorstellung von Original und Kopie in Frage.

„Ich möchte mit der Aneignung auf meine Inspirationsquellen hinweisen und einen Ausschnitt der Geschichte der geometrischen Malerei aufzeigen.“ Jens Wolf

Mit „Risse in der Wirklichkeit“ zeigt Marta Herford aber auch den Maler Jens Wolf in seiner ersten Museumsausstellung. Er studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Mit Gavin Turk verbindet sein Werk unter anderem die Frage nach der Aneignung und Auseinandersetzung mit kunsthistorischen Vorbildern. Wolfs kleinformatige, geometrische Gemälde nehmen Josef Albers Farb- und Formstudien „Homage to the Square“ (Huldigung an das Quadrat, ab 1950) als Thema wieder auf. Durch die Ineinanderschachtelung von Quadraten ergründete Albers seinerzeit die grundsätzliche Wirkung von Farbe. Jens Wolf übernimmt das Motiv, zieht es aber zu einem Rechteck. Feine Bleistiftlinien, kleine Unebenheiten oder ein Übermalen der Kanten der Rechtecke sind bei genauem Hinschauen zu erkennen. Teilweise sind die Bildkanten der Sperrholzplatten abgesplittert, die so die Geschlossenheit des Formats auflösen. Die präzise Malweise und die klaren Formen werden so durch konstruierte Fehler unterbrochen. Vorbilder für Wolf, die in weiteren ausgestellten Werken nachklingen, sind u.a. die Hard Edge-Künstler Frank Stella oder Kenneth Noland, deren geometrische Formen und hart aufeinander treffende Farbflächen er in seinen Werken wieder aufgreift. Ausgehend von Motiven zweier so genannter Patternboards – einer Art Vorlagenbild, das Wolf für fast alle seine Werke anfertigt – entstand darüber hinaus ein neues Wandbild für die Marta-Ausstellung, das eine starke räumliche Wirkung erzeugt. Mit Silberfolie und Stoff übertrug Wolf ein raffiniertes Bewegungsspiel aus Stufen und Flächen auf die Wand, das den Raum neu ausrichtet.