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Heiliger Sebastian: Schutzheiliger der Soldaten, der Homosexuellen, der Pest und AIDSkranken; Personifizierter Sebastian: sadomasochistische Ikone, todesverliebter androgyner Dandy, Verkörperung des exemplarisch leidenden Künstlers. Skandalträchtiger Sebastian: Seine reizende und sinnliche Darstellung von Fra Bartolomeo wurde von Mönchen abgehängt, aus Angst sie könnte bei Frauen sündige Gedanken hervorrufen. Auch die Uraufführung der Oper “Le Martyre de Saint Sébastien” von Gabriele D’Annunzio und Claude Debussy provozierte 1911 in Paris, da Ida Rubinstein, eine jüdische Frau, den christlichen Heiligen spielte. Der Erzbischof drohte mit Exkommunikation. Der Kampf um Macht, Aufbegehren, Verbot und Glaube, der dem Mythos des Heiligen Sebastian zugrunde liegt, spinnt sich bis ins 20. Jahrhundert fort und schildert ein grenzüberschreitendes Drama "zwischen der Säkularisierung des Heiligen und der Sakralisierung des Profanen" (Joachim Heusinger von Waldegg).

Der Mythos des Heiligen Sebastian wird in der Ausstellung aus dem Blickwinkel zeitgenössischer Künstler beleuchtet. Dabei trifft der Blick auf historische Höhepunkte wie die Uraufführung des Martyriums des Heiligen Sebastian von 1911 und den Sebastianmaler par excellence: Guido Reni. Dieser malte seinen Helden höchst ambivalent: Auf den ersten Blick sieht man einen anämischen Jüngling, der sich lethargisch dem Leid hingibt. Doch dahinter werden die Konturen eines Hedonisten im prallen Fleische seiner masochistischen Lebenslust sichtbar. Das Motiv des nach oben blickenden Sebastian, der seine Schmerzen ekstatisch und wie in Trance genießt, spiegelt sich in Arbeiten von Luigi Ontani, Kishin Shinoyama, dem Filmemacher Bavo Defurne und dem Fotografen Eikoh Hosoe wieder. Hosoe figuriert in der Serie Barakei (Von Rosen getötet) den japanischen Schriftsteller und Überästhet Yukio Mishima als Sebastian. Auch Paul Schrader (Mishima) und David Wojnarowicz beziehen sich auf Mishima. Dessen autobiographischem Roman Geständnis einer Maske zufolge, hatte er sein Coming Out vor Renis Sebastian erlebt. Nach dem Platzen seiner faschistischen Träume beging er Seppuku, um seinem Idol endgültig nachzufolgen.

Den "Künstler als exemplarisch Leidenden" (Susan Sontag) stellt Chris Burden u. a. in seinen Performances Doorway to Heaven und Shoot dar. Dort lässt sich der Künstler unter Beschuss setzen. Die Lust am Schmerz und die Lust am Schmerzen Bereiten, zeigt Kirby Dicks Dokumentarfilm Sick. The Life and Death of Bob Flanagan, Supermasochist, indem das Leben von Bob Flanagan und seiner Lebensgefährtin und Peinigerin Sheree Rose beschrieben wird. Sadomasochistische Züge mit direktem Sebastianbezug sind auch in den Arbeiten von Ron Athey und Joel Peter Witkins Queer Saint evident: Witkin’s Sebastian ist eine fragmentierte Figur, skelettartig und seiner Fleischlichkeit beraubt. Er erschreckt als märtyrisches Mahnmal und konterkariert die ästhetischen Darstellungen homosexueller Fantasien.

Die unterschiedlichen geschlechtlichen Zuschreibungen des Heiligen Sebastian, wie sie auch in den Gender Studies diskutiert werden, sind ebenfalls Thema der Ausstellung: Louise Bourgeois zeigt in ihren Sainte Sebastiénne Arbeiten, sowie in diversen Drucken und einer Skulptur von 2002, die in dieser Ausstellung erstmals zu sehen ist einen weiblichen Sebastian. Der Bogen spannt sich weiter über die androgynen Sebastian Verkörperungen Francesco Clementes bis zum schönen Jüngling und Dandy bei Luigi Ontani. Die Vielfalt der Gesichter Sebastians ist Grund für dessen diverse subkulturelle Aneignungen. Soziale Gruppierungen wie Homosexuelle und die AIDSSzene in den 1980er Jahren identifizierten sich immer wieder mit dem Heiligen Sebastian, der als Pestheiliger Leid an sich zieht, um andere zu erlösen (David Wojnarowicz). Sebastian durchläuft die Polarität der Welt, er existiert zwischen Begierde und Enthaltung, zwischen Leid und Erlösung, zwischen Schmerz und Ekstase, zwischen Tod und Leben, zwischen männlicher und weiblicher Identifikation. Die Ausstellung Heiliger Sebastian. A Splendid Readiness for Death zeigt neben der Nachzeichnung der Geschichte des Sebastianmythos in Kunst und Film, die Faszination der Künstler am chamäleonartigen Wesen dieses Heiligen,eine Faszination der sich auch ihre zeitgenössischen Kollegen nicht entziehen können. (Pressetext)

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Heiliger Sebastian - A Splendid Readiness For Death
Ort: Halle 2
Kuratoren: Wolfgang Fetz, Gerald Matt
Teilnehmende KünstlerInnen: Ron Athey, Stephan Balkenhol, Louise Bourgeois, Chris Burden, Francesco Clemente, Bavo Defurne, Kirby Dick/Bob Flanagan, Cerith Wyn Evans, Gilbert & George, Eikoh Hosoe, Derek Jarman, Adi Nes, Luigi Ontani, Ana Maria Pacheco, Pier Paolo Pasolini, Paul Schrader, Kishin Shinoyama, Wolfgang Tillmans, Robert Wilson, Joel-Peter Witkin, David Wojnarowicz, Rona Yefman