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Janet Cardiff & George Bures Miller (1957 in Brussels, Kanada; 1960 in Vegreville, Kanada) entwickelten in den letzten zwei Jahrzehnten gemeinsam eine beeindruckende Werkfolge und sie ergänzen einander auf kongeniale Art. In ihren Werken kombinieren sie Bild, Video und Ton sowie architektonische und skulpturale Rauminstallationen, welche die Betrachter auf eine faszinierende und verwirrende Reise einladen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei der Ton und eine spezielle stereofone Aufnahme- und Wiedergabetechnik, die ein übersteigertes räumliches Hören und Empfinden auslösen. Die Installation evoziert Gedanken und Assoziationen, die sich untrennbar mit persönlichen Erfahrungen zu einer immer neuen Fiktion verweben.

Janet Cardiff & George Bures Miller wurden in den wichtigsten internationalen Ausstellungshäusern präsentiert, so u. a. im PS1 New York, im Musée d’Art Contemporain Montreal, im Astrop Fearnley Museum Oslo, im Castello Rivoli in Turin, im Portikus Frankfurt und in der Whitechapel Art Gallery in London. Zu den bekanntesten Arbeiten zählt ihr preisgekrönter Beitrag zur Biennale 2001 in Venedig „The Paradise Institute“, der auch in Bregenz gezeigt wird. Für das Kunsthaus Bregenz erarbeiteten Cardiff & Miller drei neue Werke, die teilweise direkt die Architektur von Peter Zumthor einbeziehen und in diese eingreifen. Wie in den vergangenen Jahren Anish Kapoor und Jenny Holzer waren auch sie bereit, in Kooperation mit der Johanniterkirche in Feldkirch eine ortsbezogene Arbeit für den Kirchenraum auszuwählen. „The Forty-Part Motet“ (2001), eine Bearbeitung des Chormusikstücks „Spem in Alium“ von Thomas Tallis wird mittels 40 Lautsprechern im historischen Kirchenschiff den BesucherInnen ein eindrückliches Raum- und Hörerlebnis ermöglichen.

Ein altmodisches Klavier steht in der Mitte des Raumes. Der Tastatur gegenüber befinden sich zwei kleine Lautsprecher. Eine mechanische, Playola genannte Vorrichtung, die das Klavier spielt, ist auf den Tasten montiert. Aus einem der Lautsprecher kommt Janet Cardiffs Stimme, aus dem anderen die von George Bures Miller. Die beiden Stimmen diskutieren, welche Art von Musik geeignet sein könnte für einen Film, den sie zu planen scheinen. Aber es wird nie klar, um welchen Film es sich handelt, worum es darin geht. Janet Cardiffs Stimme beschreibt zum Beispiel folgende Szene: „Sie geht eine Gasse hinunter. Die Kamera folgt ihr in einer Weitwinkeleinstellung und geht dann in eine Nahaufnahme über.“ Die von den oberhalb befestigten mechanischen Magnetspulen bewegte Tastatur reagiert auf ihre Stimme und lässt einige Akkorde einer unheimlichen Musik erklingen. Die vierhändige Klavierkomposition setzt sich fort, während Cardiff & Miller weitere Szenen aus dem hypothetischen Film beschreiben und das Klavier entsprechend antwortet. Die Gesamtwirkung der Inszenierung ist gespenstisch.

Die BetrachterInnen nähern sich einem einfachen Pavillon aus Sperrholz, sie steigen eine Treppe hinauf und betreten ein opulentes, schummrig beleuchtetes Interieur mit einem roten Teppich und zwei Reihen von samtbezogenen Sitzen. Nachdem sie Platz genommen haben, blicken sie über die Balustrade auf eine Miniaturnachbildung eines prachtvollen alten Kinos. Die BetrachterInnen setzen Kopfhörer auf, und die dreizehnminütige Projektion beginnt.

Der Film schafft mit seinem Soundtrack die eine Ebene der Illusion, das Hörgeschehen verursacht durch ein angenommenes Publikum eine weitere. Der Film ist ein aus Thriller, Film noir, Sciencefiction und Experimentalfilm bestehender Genremix. Das Besondere dieser Installation ist der „stereofone Raumklang“. Das Gefühl des Isoliertseins im Kino, das jeder vielleicht verspürt, wird von Störungen aufgebrochen, die offensichtlich aus dem Zuschauerraum kommen. Ein Mobiltelefon im Publikum klingelt. Eine Freundin flüstert einem ganz nah ins Ohr: „Hast du den Herd ausgeschaltet, bevor wir gegangen sind?“ Fiktion und Realität gehen ineinander über, während das Versunkensein im Film unterbrochen wird und Bruchstücke anderer Realitäten einfließen.

Die BesucherInnen betreten einen niedrigen Raum, von dem eine Treppe nach oben führt. Das schmale Stiegenhaus ist aus Holz, die Tapeten erinnern an ein altes amerikanisches Hotel. Oben angekommen, erreicht man einen Steg über den geätzten Glasplatten der Tageslichtdecke. Eigenartige Geräusche wie in einem alten Industriegebäude sind zu hören. Wenn man dem Weg über der Glasdecke folgt, entdeckt man eine Öffnung. Der Blick fällt durch einen tiefen Schacht auf einen sehr kleinen Raum am Ende, der weiter unten zu liegen scheint. Das räumliche Vorstellungsvermögen des Besuchers ist verwirrt, weil er ja weiß, dass er gerade noch ein Stockwerk tiefer war und dort unmöglich ein Raum sein kann. Ein Sessel und ein Plattenspieler sind die einzigen Gegenstände in diesem kleinen Raum. Vom Plattenspieler ertönt der Klang einer vergessenen Schallplatte, bei deren Abspielen die Nadel hängen geblieben ist.

Cardiff & Miller beschreiben diese Arbeit folgendermaßen: „R. Dennehy verbrachte den Großteil seines Lebens in Salmon Arm, Kanada. Wir wissen nicht sehr viel über ihn. Wir wissen, dass er irgendwann Opernplatten sammelte. Besonders angetan hatten es ihm die großen Tenöre. Diese Fakten kennen wir, weil wir alle seine Schallplatten (die mit seinem Namen versehen waren) in einem Secondhand-Laden in Salmon Arm in British Columbia gekauft haben.

Was uns interessiert, ist dieses extreme kulturelle Nebeneinander von Oper und der kleinen Westernstadt, in der R. Dennehy lebte/lebt. Woran dachte er, während er diese Platten hörte, die in fremden Städten am anderen Ende der Welt aufgenommen worden waren? Hatte er eine Ausbildung als Sänger? Wollte er an der Oper Karriere machen? Hatte er eine Geliebte verloren und fand Trost in der Musik? Träumte er davon, diese weit entfernten Opernhäuser eines Tages zu besuchen? Wir stellen uns vor, dass er beim Zuhören mitsingt und so seine eigene Oper einer Verlagerung von Zeit und Raum erschafft.

Wir entwarfen einen kleinen Raum für die Oper seines Lebens. Es gibt 24 altmodische Lautsprecher, aus denen verschiedene Lieder, Geräusche und Arien und gelegentlich Popsongs erklingen. Fast zweitausend Schallplatten sind überall im Raum gestapelt, und acht Plattenspieler scheinen alle gleichzeitig zu spielen, manchmal im Samplingverfahren, beschleunigt und dann verlangsamt, so wie ein zeitgenössischer DJ arbeiten würde. Der Schatten eines Mannes, der sich im Rhythmus der Musik bewegt, wird auf einen Screen im Zentrum der Anordnung von Plattentellern projiziert, als wäre er der DJ. Seine Stimme ist das Einzige, was aus dem Raum hinausprojiziert wird. Vor ihm befindet sich ein Mikrofon. Er spielt eine Reihe von Platten. Dazu spricht und singt er mit sich selbst. Vielleicht singt er für seine Sammlung von Stimmen, vielleicht auch für eine bestimmte Frau? Die Musik wechselt von ergreifenden Arien zu einer Kakophonie von Stimmen und Rhythmen. Vielleicht erfindet er eine Beziehung zu allen diesen Stimmen und Figuren und schafft so eine Arie für sein Leben.

Das Publikum kann den Raum nicht betreten, nur durch staubige Fenster und Löcher in den Wänden hineinschauen. Durch das Licht verändert sich die Stimmung des Raumes vom nostalgischen Schauplatz eines alten Mansardenzimmers zu einem Nachtklub oder einer Theaterbühne. Sequenzen von farbigem Licht bewegen sich durch den Raum, die sich einschalten und wieder verlöschen, sich verstärken und abschwächen oder pulsieren, um die Stimmung und den Rhythmus der Musik zu betonen.“

Johanniterkirche Feldkirch The Forty-Part Motet, 2001

Im Rahmen der Kooperation zwischen dem Kunsthaus Bregenz und der Johanniterkirche Feldkirch wird „The Forty-Part Motet“ in dem historischen Kirchenraum der Johanniterkirche installiert. Die Arbeit gibt über 40 Lautsprecher eine Bearbeitung von Thomas Tallis aus dem 16. Jahrhundert stammender polyphoner Komposition „Spem in Alium“ wieder, wobei jede Stimme des 40-köpfigen Chors der Salisbury Kathedrale einzeln aufgenommen wurde. Durch die Wahl des Standortes und durch die Bewegung im Raum verändert sich das Hörerlebnis für die BesucherInnen. Cardiff & Miller platzieren die 40 Lautersprecher im Kirchenschiff so, dass die einzelnen Stimmen und die Gesamtheit des Chores die „skulpturale“ Qualität des Musikstücks hervortreten lassen.

„The Forty-Part Motet” (2001) von Janet Cardiff Eine Bearbeitung von „Spem in Alium nunquam habui“ (1575) von Thomas Tallis „The Forty-Part Motet” von Janet Cardiff wurde ursprünglich von Field Art Projects in Zusammenarbeit mit dem Arts Council of England, dem Salisbury Festival, BALTIC Gateshead, der New Art Gallery Walsall und dem NOW Festival Nottingham produziert.

Gesungen vom Salisbury Cathedral Choir Aufnahme und Postproduktion: SoundMoves Herausgegeben von George Bures Miller Produziert von Field Art Projects

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Janet Cardiff & George Bures Miller. The Secret Hotel
Kurator: Rudolf Sagmeister