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Kunsthalle Vogelmann

Mit seinen beiden Reisen 1494 und 1506 begründete kein Geringerer als Albrecht Dürer (1471-1528) die Italiensehnsucht deutscher Künstler. Sie blieb bis ins 20. Jahrhundert wirksam, wobei die Affinität zu Land, Leuten und mediterraner Lebensart vom Klassizismus bis hin zu den programmatisch „Deutschrömer“ genannten Künstlern um Arnold Böcklin (1827–1901) und Anselm Feuerbach (1829–1880) besonders ausgeprägt war. Seit Dürer beruhte die Faszination Italiens auf dem Ineinandergreifen zweier unterschiedlicher Aspekte: Der Begegnung mit und dem Studium von herausragenden Kunstwerken sowie dem Topos eines freiheitlichen, selbstbestimmten Lebens in klimatisch begünstigter und landschaftlich reizvoller Umgebung. Diese sogenannte „Grand Tour“ sollte auch Generationen europäischer Bildungsreisender nach Italien führen. Eine Tradition, die in die Gründung von deutschen, auf die schönen Künste zielenden Bildungseinrichtungen mündete wie die Villa Romana in Florenz und die Villa Massimo in Rom, die beide bis heute existieren.

Joseph Beuys (1921–1986), der seine Kunst explizit mit einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel verband, war von Italien und insbesondere dem wirtschaftlich benachteiligten und ursprünglicheren Mezzogiorno, als Region eines in seiner Heimat (noch) nicht realisierbaren Kunst- und Lebensideals ganz besonders fasziniert. Als junger Soldat, für mehrere Monate auf einer Luftwaffenbasis in Foggia, Apulien, stationiert, hatte er das Land kennen und lieben gelernt. „Italien ist wunderschön“, schrieb er 1943 begeistert an seine Eltern. Dort reifte auch sein Entschluss, eine Laufbahn als Künstler einzuschlagen. In seinem frühen zeichnerischen Werk haben Natur und Landschaft Italiens unübersehbare Spuren hinterlassen. Als er dreißig Jahre später erstmals mit seiner ersten Einzelausstellung nach Neapel in die Galerie Lucio Amelios (1931–1994) in diese Region zurückkehrt, ist dies Auftakt einer bis zu seinem Lebensende anhaltenden und sich in vielfältigen Projekten manifestierenden fruchtbaren Zusammenarbeit.

Damit reiht sich Beuys ein in eine Tradition, die in der „Italienischen Reise“ Johann Wolfgang Goethes ihren wohl berühmtesten literarischen Niederschlag fand. Goethe, der ebenso wie Leonardo in der Werkkonzeption von Joseph Beuys eine ideengeschichtlich zentrale Rolle einnimmt, hatte sich als Dichter, Kunstfreund, Zeichner aber auch als Naturforscher nach Italien begeben, „in dem klaren Bewußtsein, daß für ihn zwischen den Gebieten der Naturwissenschaft und der Kunst ein völliger Zusammenhang bestehe.“ Auch Beuys’ anthropologisch geprägtes Natur- und Kunstverständnis und seine besondere Affinität zu Lebensformen und Mythen vergangener Kulturen erhielten in der 3000 Jahre alten Kulturgeschichte der zwischen Orient und Okzident angesiedelten Region ganz besondere Nahrung. Dazu traf er auf ein geistiges und politisches Klima, das seinem künstlerischen Denken kongenial entgegenkam. Hier entstanden seine bekanntesten Editionen wie La Rivoluzione siamo Noi (1971) oder die Capri-Batterie (1985), aber auch beindruckende Hauptwerke wie die Straßenbahnhaltestelle (1976), Olivestone (1984) und seine letzte vier Wochen vor seinem Tod im Museo Capodimonte in Neapel präsentierte Rauminstallation Palazzo Regale (1985).

Zwischen 1971 und 1985 ist Joseph Beuys mit mehr als dreißig Ausstellungen, Aktionen, und Vorträgen landesweit in Italien präsent. Ermöglicht und begleitet haben dies zahlreiche italienische Mitstreiter wie u.a. die Barone Durini in Bolognano, die das agrarökologische Langzeitprojekt Difesa della Natura lancierten. Hierzu zählen auch der Politaktivist Bruno Corà, Kunstkritiker und Ausstellungsmacher wie Michele Bonuomo oder Achille Bonita Oliva und vor allem der germanophile Galerist, geschätzte Freund und leidenschaftlich engagierte Wegbereiter Lucio Amelio. Das anlässlich des verheerenden Erdbebens (23. November 1980) in seinen Galerieräumen gezeigte fragile Bild latenter Gefährdung Terremoto in Palazzo (1981) „steht“, wie Beuys einmal bezogen auf seine gesamte in Italien entstandene Arbeit formulierte, „mit der Katastrophe in Beziehung, die ein permanenter Zustand des Südens ist.“ Neben dem Hauptwerk dieser Ausstellung geben rund hundert Exponate, frühe Landschaftsdarstellungen, Arbeiten auf Papier, Objekte und Multiples aufschlussreiche Einblicke in eine für Joseph Beuys seit Kriegstagen bestehende tiefe Verbundenheit mit einem Land, die er 1985 im ironischen „Dadaduktus“ in die Worte fasste: „Nimm Foggia ernst, es lohnt sich.“

Die Schau „Joseph Beuys und Italien“ knüpft an die Eröffnungsausstellung der Kunsthalle Vogelmann „Beuys für Alle“ (2010) an und findet zum 20-jährigen Bestehen der Ernst Franz Vogelmann-Stiftung statt.

Konzeption und Realisation: Rita E. Täuber

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Kerber-Verlag mit Textbeträgen von Bruno Corà, Marc Gundel, Magdalena Holzhey, Stefan Nienhaus, Petra Richter, Beat Stutzer, Rita E. Täuber und Kirsten Claudia Voigt, ca. 260 Seiten. Der Katalog erscheint auch gesondert in englischer Sprache.