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Mario Navarro: Meine Arbeiten entwickeln sich meist aus fragilen Materialien, die wenig kosten und kaum Gewicht haben und folglich sehr beweglich und leicht aufzubauen sind. Ich habe mit ganz unterschiedlichen Materialien und Techniken gearbeitet, darunter Wandbilder in Kohle, Skulpturen, Videos und Interventionen im öffentlichen Raum, denen als Objekt immer ein Gefühl von Unabhängigkeit anhaftet. Seit geraumer Zeit unterstelle ich all meine Arbeiten einer Idee, die meine Art der Kunstproduktion zusammenfasst und verdeutlicht: „The New Ideal Line“ – ursprünglich der Titel eines Cartoons aus dem frühen 20. Jahrhundert, erschienen im Katalog der Ausstellung „Cartoons About Modern Art“ (Tate Gallery, London, 1973). Die Bedeutung, die ich diesem Begriff zugeordnet habe, bezieht sich insbesondere auf die Form, in der Chile seit den frühen Neunzigern, der Zeit nach der Diktatur, gezielt „illusorische“ Versprechungen gemacht hat, was die Überwindung von Unterentwicklung und den unmittelbaren Zugang zur Modernität der ersten Welt angeht. „The New Ideal Line“ (T.N.I.L.) soll der Weg dahin sein, die Zukunft, das Moderne. Meine Reaktion auf all diese Versprechungen stützt sich auf ihre permanente Unfähigkeit, selbst das kleinste, persönliche und subjektive Hindernis zu überwinden, wodurch die Instabilität sowie die periodischen Brüche dieser massiven, geradlinigen Zielrichtung sichtbar werden. T.N.I.L. bietet die Möglichkeit, das Layout flexibler zu gestalten, Verbindungen hinzuzufügen, sowohl parallel als auch transversal, eigens entworfen, um ihren Ursprung zu brechen. Von daher arbeitet „The New Ideal Line“ gegen sich selbst, gegen ihre Quellen und gegen ihren Ursprung. Zusammengefasst ist das die ideale Linie: ein politisches Aushandeln und ein gemeinsam beschlossener Weg.

In seinen Arbeiten untersucht Mario Navarro sein eigenes Lebensumfeld auf politische und identitätsbezogene Aspekte. Ein Beispiel dafür ist sein Projekt über den 1970er Chevrolet Opala, ein für normale Leute unerschwinglicher Wagen, aber das Symbol für Polizei und Sicherheitsdienste und darüber hinaus für die gesellschaftliche und politische Schwächung durch die diktatorische Maschinerie Chiles. Eines seiner Projekte im öffentlichen Raum ist eine in einem Wohnwagen untergebrachte Radiostation, die Verbindungen zwischen politischen, auf das Wohnviertel bezogenen und künstlerischen Werten schaffen soll. Für eine seiner jüngsten Ausstellungen baute Mario Navarro einen roten Container, den er auf einer rotierenden Achse positionierte. Gefangen in seinem eigenen absurden Drehmoment beschwört der Container als solches gleichzeitig die permanente Bewegung tausender ähnlicher Strukturen in der ganzen Welt herauf. Eine seiner neuen Arbeiten beschäftigt sich mit dem kybernetischen Ansatz der Sozialökonomie zur Organisation und Regulierung der Wirtschaft in den 1970er Jahren zur Zeit der Diktatur in Chile.

Mario Navarro, geboren 1970, lebt in Santiago de Chile, unterrichtet an der Facultad de Artes – Pontificia Universidad Catolica de Chile in Santiago de Chile.

Jens Kastner, Soziologe und Kunsthistoriker, ist Lehrbeauftrager am Zentrum für Lateinamerikaforschung (Cela) der Universität Münster.

Pressetext

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Mario Navarro: The new Ideal Line