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Eröffnung: Donnerstag, den 13. Dezember um 19.30 Uhr

Beständig sind Schichten von Gedanken, Bildern, Gefühlen sanft wie Licht auf dein Gehirn niedergesunken. Es schien, jede neue Schicht verdecke alle tieferen für immer. Und doch ist in Wirklichkeit keine ausgelöscht worden.1 Für den Kunstverein Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft haben die Künstlerin Nairy Baghramian und der Künstler Jan Timme eine Ausstellung entwickelt, die auf die spezifische Situation der Räume, die eine Verbindung von Innen- und Außenraum erlaubt, reagiert. Für die Ausstellung wurden Arbeiten versammelt und entwickelt, die auf poetische Weise Wahrnehmungsprozesse ins Zentrum stellen, Erinnerungen und Anklänge an kulturgeschichtliche Entwicklungen und Phänomene implizieren und zugleich die Rezeptionsgewohnheiten des Betrachters hinterfragen.

Im großen Raum des Kunstvereins wird eine Gemeinschaftsarbeit der Künstler mit dem Titel ”Everlasting layers of ideas, images, feelings, have fallen upon your brain softly as light. Each succession has seemed to bury all that went before. And yet, in reality, not one has been extinguished.” (2006) gezeigt. Ein Textfragment von Thomas de Quincy war titelgebend für diese Installation. Sie besteht aus einer mit zarten Papyrushalmen bedruckten Tapete und einer ausladenden Bodenskulptur, die formal modernistische Bezüge herstellt, dabei aber zugleich die Wahrnehmung von Raum und Zeit frei und poetisch darlegt. Die rhythmisierte und ausbalancierte Gemeinschaftsarbeit eröffnet den Blick auf das Hier und Jetzt des Exponierten. Inhaltliche Referenzen ergeben sich über die angelegten Formen, aber auch beispielsweise über die abgebildete Papyruspflanze. Diese dient als Verweis auf einen frühen Träger von Text, die Papyrusrolle, und führt somit direkt zu Thomas de Quincy und dessen Beschreibung des Palimpsests,2 die sich mit dem Auslöschen von Text und somit von Information beschäftigt. Mit ihrem Titel verweist die Arbeit auf Schichtungen und Ebenen der Wahrnehmung und deren Beeinflussung durch kollektive und individuelle Erinnerungen.

Für die Ausstellung hat Jan Timme (*1971 in Stuttgart, lebt in Berlin) zudem für den Eckraum des Kunstvereins die Wandund Lichtarbeit Nothing is written (UV), 2007 entwickelt. Mit Schwarzlicht beleuchtet wird der weiße mit UV aktiver Farbe aufgebrachte Schriftzug auf weißer Wand erst bei Einbruch der Dunkelheit sichtbar. Timme verweist auch hiermit auf Erinnerungsprozesse, auf das Verblassen und (wieder) Hervorholen – in diesem Fall von Text. Die inhaltliche Bedeutung des nächtlich aufscheinenden Textes seiner Arbeit schreibt sich unserer Wahrnehmung als abstraktes, tautologisches Paradoxon ein. Auch die präsentierte fotografische Arbeit des Künstlers kreist um grundlegende Elemente der Wahrnehmung: Licht und Schatten. Sie thematisiert die Bedeutung von Licht als Medium, das die Erkenntnis offenbart bzw. von der Relevanz, die der dazugehörige Schatten bedingt. Ein perfekt ausgeleuchtetes Foto zeigt einen scheinbar auf dem Kopf stehenden Bücherstapel mit Literatur zum Thema des Schattens. Ein Schatten, den der Stapel selbst normalerweise wirft, fehlt jedoch in diesem Bild. Dadurch befindet sich der Stapel in einem schwebenden Zustand.

Diese Arbeiten treffen auf die Skulpturen von Nairy Baghramian (*1971 in Isfahan, lebt in Berlin) die gleichfalls Setzungen vorgeben, die unsere genaue Betrachtung herausfordern und aushebeln. 1 Thomas de Quincy „Suspiria de Profunis – neue Folge der Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“,1845, zitiert aus Übersetzung der erweiterten Fassung, Henry Govens Verlag, Stuttgart, 1962, S. 230-231. 2 (griech. „wieder abgekratzt“). Eine Handschrift, auf der die ursprüngliche Schrift, bei Papyrus durch Abwischen beseitigt und durch eine jüngere ersetzt wird, um den kostbaren Schriftträger wieder zu verwenden. Frühere Schichten können durch technische Verfahren wieder sichtbar gemacht werden.

Wie bereits in der Gemeinschaftsarbeit ersichtlich arbeitet die Künstlerin mit präzise gewählten Materialien, die formal an modernistische Skulpturen erinnern, Ihnen jedoch nicht gänzlich entsprechen, da sie selbst bereits materialimmanente Kontexte und Zuschreibungen thematisieren, die in andere, poetische und auch fremde Bereiche führen. Ähnlich der Bodenarbeit, die Flächen aufspannt die wie mächtige und grazile Klappen den Boden anheben und sich gleichzeitig von diesem distanzieren, erweitert Baghramians Arbeit Image as Title (2005) diesen formalen Ansatz und spielt mit Erinnerungen an die Darstellung einer „Liegenden“ aus dem 19. Jahrhundert. Durch die Hinzufügung der Kopie einer historischen Fotografie, die zwei Frauen in liegender Pose zeigt, werden geschlechtsspezifische Zuschreibungen kommentiert und Fragen an die Rezeption der Dargestellten bzw. des dargestellten Objekts eröffnet. So hält auch die Schatulle (2004) mehrere Betrachtungsebenen bereit. Die Erinnerung an ein aus sakralen Zusammenhängen bekanntes Objekt, ein weiß lackiertes architektonisches Gebilde, gleich einer gefalteten Schachtel, spiegelt sich in der klappenartigen Form einer Öffnung, die wie ein beiläufiger Wimpernschlag Einblick in verborgene Räume gewährt. Zugleich ist sie als ein offensichtlicher Dialog mit dem Betrachter und dessen Erwartung angelegt. Diese Konnotationen kontrastieren derart mit den gewählten Materialien – lackiertes Metall, Plexiglaskubus, Kordel – dass sie sich auf geradezu absurde Weise als Kunstobjekt offenbart. Solche Reflexionsschleifen, die den Betrachter in das Spannungsfeld der Arbeit einbeziehen, lassen sich immer weiter aufspannen, fast so als sei die Öffnung des Objekts sinnbildlich hierfür.

Die gesamte Ausstellung eröffnet weit reichende Ebenen der Wahrnehmung, des Sehens, Erinnerns und Wieder/Sehens – was den Betrachter zum Denken und Flanieren einlädt.

Zur Ausstellung erscheint im Januar 2008 jeweils eine Künstleredition als Jahresgabe.

Nairy Baghramian ist Künstlerin der diesjährigen Skuptur Projekte Münster und erhielt den Schering Förderpreis 2007. Sie hatte u.a. Ausstellungen in der Cabinet Gallery in London, im Brüsseler Museum Wiels und eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel. Die Künstlerin wird im nächsten Jahr eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden und im Neuen Aachener Kunstverein präsentieren.

Jan Timme zeigte Einzelausstellungen in den Kunstvereinen in Braunschweig und Hamburg, sowie in der Marc Foxx Gallery in Los Angeles. Er nahm an der Ausstellung Romantischer Konzeptualismus teil, die u.a. in der Kunsthalle Nürnberg zu sehen war, und zeigt derzeit in der Galerie Durstewitz-Sapre in Hamburg neue Arbeiten. Er erhielt 2003 den Förderpreis der Jürgen Ponto-Stiftung.

Beide Künstler werden von der Galerie Christian Nagel (Berlin/Köln) vertreten, der wir herzlich danken.

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Nairy Baghramian & Jan Timme