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Kann man Düfte sehen - kann man Klänge malen

Streifen - quer oder längs - in subtilen Farbabfolgen angelegt, die sich überstrahlen, verschieben in immer neuen Abwandlungen die Parameter der Wahrnehmung. Vermeintlich fest verortete Farbflächen öffnen sich nach beiden Seiten - hintergründige Tiefe trifft auf vordergründiges Leuchten und umgekehrt, Horizontale und Vertikale, Ausbreitung und Ausdehnung durchkreuzen sich. Sind diese Bilder durchsichtig oder durchscheinend, soll sich der Blick nach innen oder nach außen orientieren? Das Sehfeld ist vibrierendes Gefüge distinkter Werte und Wertigkeiten. Daneben stehen scheinbar monochrome Farbfelder, die in sich verschwimmen. Lasuren legen sich übereinander, decken und enthüllen doch, was sie verbergen. Matt schimmernd durchleuchten sie die Fläche, in der sie wie farbige Schleier treiben. Kreisformen und -Fragmente, die sich in sanften Gradationen aufzulösen oder zu verdichten scheinen, umspielen mit Licht- und Schattenwürfen der gefalteten Papiere, die als Bildträger fungieren, die Grauzonen zwischen Schwarz und Weiß. Unterschiede und Unterscheidungen vereinen sich in eins gesetzt in der Form, die sie gleichzeitig in Singularitäten auflösen, die klar unterscheidbar nebeneinander stehen, bevor sich die Grenzen erneut in Übergänge und Passagen aufzulösen beginnen. Trotz ihrer klaren architektonischen Struktur sind die Bildgefüge von Susanne Jung höchst komplex. In ihnen wird die ganze Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit von Farbe aus dem Material heraus getrieben - Fläche und Raum, Licht und Materie, Trennung und Verbindung, Bruch und Übergang. Warm und kalt, leuchtend und in sich verschlossen, matt und glänzend, transparent und opak entfaltet Farbe wie selbstverständlich und ohne jedwede Attitüde ein Spektrum von unendlichen Varianten und Variationen, die sowohl nebeneinander als auch ineinander stehen. Gesättigte Gegenwart verwandelt sich in Allgegenwärtigkeit - diffus, offen und allgemein. Der Blick vermag nicht auf Distanz zu gehen, vielmehr wird er berührt und fort getragen vom Gegenwärtigen in einen Raum, der gleich einem ortlosen Ort in sich verschwebt. Diese Bilder treffen in Gänze. Sie gleichen Berührungen, die vor lauter Empfindungen erbeben, Empfindungen, die keinen Ort haben, aber dennoch den Raum erfüllen - wie Klänge und Düfte, die einhüllen und umfangen, flüchtige Erinnerungsspuren, die sich umso nachhaltiger einprägen.

Text: Karin Stempel, Kunsthistorikerin