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Olafur Eliasson, 1967 in Kopenhagen geboren, zählt zu jener jüngeren Künstlergeneration, die in den 90er Jahren die Grenzen zwischen Kunst, Wissenschaft und Natur und deren Wahrnehmung ausgelotet und erweitert haben.

Im Kunsthaus Bregenz bespielt er in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Landschaftsarchitekten Günther Vogt alle vier Stockwerke. Die streng orthogonale Architektur Peter Zumthors aus Beton und Glas verwandelt der Künstler auf verschiedenen Ebenen durch Geruch, Nebel, Wasser, Pflanzen und Erde in einen Parcours „vom Erlebnis und vom Bewusstsein des Erlebnisses“ (Eliasson). 

Seine Rauminstallationen beziehen auch die Stiegen- häuser mit ein und leiten den Besucher in einem spiralförmigen Gang über Holzstege durch das Haus hin zu einer Hängebrücke im obersten Stockwerk. 

Seit Jahren überträgt Eliasson Naturphänomene wie Wasser, Licht, Wind, Temperatur und Bewegung anhand einfacher technischer Hilfsmittel in den Kunstkontext, wobei er die jeweils verwendete Technik dem Betrachter bewusst vor Augen führt. 

In einer Kölner Galerie zeigte er einen künstlichen Regenbogen, in Johannesburg ließ er Wasser durch die Straßen der Stadt laufen, in Basel einen Ventilator von der Decke an einem Seil durch den Raum pendeln, in Sao Paulo eine Eisfläche in und außerhalb des Ausstellungsraumes entstehen.

Eliasson bezieht in seine Arbeit immer die Ausstellungsbesucher, ihre sinnliche Wahrnehmung, Reflexion, Erinnerung und ihre Projektionen mit ein. Sie verändern durch ihre Anwesenheit die Installationen, nehmen Einfluss auf den Ablauf von Ereignissen und werden sich ihrer Wahrnehmung und ihrer selbst als Wahrnehmende bewusst. 

Diese Beziehung wird auch in dem sich wiederholenden „your“ in den vom Künstler gewählten Ausstellungstiteln deutlich: „Your windless arrangement“, „Your sun machine“, „Your strange certainty still kept“ oder „Your compound view“. Das Publikum erhält ein Angebot, ein “Geschenk”, und ist mitverantwortlich, es anzunehmen und zu nutzen. Eliasson beschreibt dieses Verhältnis wie folgt: „Das Publikum ist das Werk, da alles andere sich stets verändert.

Die KUB-Billboards an der Seestraße werden zeitgleich zur Ausstellung nach Originalfotos von Olafur Eliasson gestaltet.

Ausstellung mit freundlicher Unterstützung von Amann, Dicht- und Dämmsysteme, Hard, Lehm Ton Erde, Martin Rauch, Schlins Nägelebau, Röthis, Vorarlberger Holzbau, Zukunft – Fachausbildung für Zimmerer Berlinger Holzbau, Alberschwende

The Ice Pavillion, 1998, Reykjavik © Courtesy neugeriemerschneider, Berlin  und Tanya Bonakdar, New York

Erdwand 2000, Hamburger Bahnhof, Berlin © Courtesy neugerriemerschneider, Berlin

Yet untitled, 2000, Wanås, Schweden  Foto: Anders Norrsell Your natural denudation inverted,  1999/2000, Carnegie International, Pittsburgh

 
 

Liebe Besucherinnen und Besucher,

jetzt ist die Ausstellung eröffnet. Wenn Sie dies lesen, sind Sie wahrscheinlich bereits durch alle Stockwerke des Hauses gegangen. Haben Sie auf das Wetter geachtet, bevor Sie in die Ausstellung gekommen sind? Wenn ich behaupte, dass das Wetter in Bregenz Teil der Ausstellung ist - würden Sie mir dann glauben? Wenn ich diese Frage stelle, geht es nicht darum, ob ich das Wetter gemacht habe oder nicht. Tatsächlich habe ich nichts in der Ausstellung gemacht – ich habe nur entschieden, was Teil der Ausstellung sein soll und was nicht. Durch meinen Wunsch, zu entscheiden, wo die Ausstellung beginnt und wo sie endet, habe ich (wie immer) bemerkt, dass die Frage, ob das Wetter Teil der Ausstellung ist oder nicht, irrelevant ist. Denn ich habe keine Wahl – ob ich es möchte oder nicht, wird das Wetter immer Teil der Ausstellung sein, genauso wie die Ausstellung, im Gegenzug, immer Teil des Wetters sein wird.

Diese Geschichte beginnt natürlich schon viel früher mit dem Ende des Objekts in der Kunst, mit der Abwendung von der Vorstellung, dass ein Kunstwerk autonom ist. Herausgefordert durch die Architektur des Kunsthauses in Bregenz musste ich außer dem Wetter auch Zumthors Gebäude als Teil der Ausstellung berücksichtigen. Der Grund dafür ist ganz einfach die Tatsache, dass das Kunsthaus da ist und im Gegensatz zu anderen Gebäuden besonderen Wert darauf legt, da zu sein (oder soll ich sagen, hier zu sein?). Warum ist das so? – Ich sollte Zumthor fragen.

Lieber Peter, in der Annahme, dass Du verstehst, dass Dein Haus nun ein Teil meiner Ausstellung ist, möchte ich Dich nach den Menschen fragen, die dieses Gebäude besuchen (und nun diesen Text lesen).

Was glaubst Du passiert, wenn Besucher sich in den Räumen bewegen? Was sehen sie? Sehen sie sich selbst – aktiviert sie die Umgebung, ihre eigene Anwesenheit wahrzunehmen? Oder vergessen sie sich selbst (und ihre Körper) eher in einer Nichtpräsenz, verursacht durch einen beziehungslosen Raum?

Als ich vor einem Jahr begonnen habe, über diese Ausstellung im Kunsthaus nachzudenken, waren die oben gestellten Fragen unter den ersten, die mir in den Sinn kamen. Und es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass beide oben erwähnten Möglichkeiten (das Gegenwärtigkeitsgefühl der Besuchenden und das weniger glückliche Vergessen der eigenen Person in der Nichtpräsenz) anscheinend eine Rolle spielen – nur unter verschiedenen Bedingungen. Wenn das Gebäude als eine Ikone (der Architektur) wahrgenommen wird – als ein statisches repräsentatives Bild guten Geschmacks oder sogar als eine objektivierende heilige Halle – ist die Beteiligung der Menschen an dem Gebäude rein formal. Das Gefühl von Gegenwärtigkeit ist durch eine verengte Erzählung des Wissens absorbiert worden (eine Verdrängung, bei der das Wetter draußen keinen Unterschied macht). Als würde man sich auf das Gebäude beziehen und es diskutieren, ohne die wichtigsteKomponente dabei zu berücksichtigen: die Dauer oder besser, die Zeit. Die Zeit der Besuchenden – Ihre Zeit.

Es dauert eine Weile, in den dritten Stock hinaufzusteigen - und indem Sie dies tun, gelangen Sie in jeden einzelnen Ausstellungsraum des Gebäudes. Die Räume zu erfahren, während man sich darin bewegt, einen Nutzen aus dem Gefühl für Zeit zu ziehen, gibt Ihnen, so glaube ich, den Vorteil der Gegenwärtigkeit, das Bewusstsein, einen Körper zu haben. Sich zu bewegen und an der Umgebung teilzuhaben, ist möglicherweise das, was die Räume (und Sie selbst) ausmacht.

Hierin habe ich glücklicherweise einen Schlüssel gefunden, um an die Ausstellung heranzugehen: Die Bewegung. Diese Komponente erlaubt Ihnen (und mir), in dem Gebäude die subjektive Transparenz zu sehen und weniger den totalitären Monolithen. Von hier aus konnte ich über die Ausstellung nachdenken, darüber, mit welchen Mitteln ich Bewegung vermitteln könnte.

Die Bewegung vermitteln. Unsere Bewegungen bewusst zu machen und in die Ausstellung einzubeziehen in einer Art, die uns wahrzunehmen erlaubt, was wir wissen, und zu wissen, was wir wahrnehmen.

Jede Bewegung beinhaltet einen gewissen Grad an Vermittlung - oder soll ich es Kultivierung nennen? Sich in einer Stadt oder in einer Landschaft zu bewegen, impliziert immer auch Inszenierung und Vermittlung. Unser städtisches Umfeld wurde geplant, um uns zu vermitteln. Landschafts- und Stadträume haben, indem sie einen Vorteil aus unserem Gedächtnis zur Organisation unserer Erwartungen ziehen, eine lange Tradition der Nutzung von Bewegungen als Erzeuger von Raum. Die Stadt, die von Sicherheitsansprüchen geprägt ist, die Überraschungen ausschließt und überschaubare Umfelder schafft (Verkehrskontrollen und Einkaufszentren), oder die Stadt als gesellschaftliches Potential, wo uns weniger vorhersehbare (Mehrzweck) Umfelder die Gastfreundschaft der Gegenwärtigkeit genießen lassen. 

Bei der vier Etagen umfassenden Ausstellung im Kunsthaus wollte ich jemanden einbeziehen, der Erfahrung mit der Kultivierung von Prozessen und Bewegungen hat. In dem Bewusstsein, dass der Prozess, diese Ausstellung zu entwickeln, ein ebenso unvermeidlicher Teil der Ausstellung ist - wie das Wetter und Zumthors Architektur – musste ich nach jemandem suchen, der Erfahrungen mit der Typologie des Arbeitens im Außenraum hat. So kam ich auf den Landschaftsarchitekten Günther Vogt und sein Büro, die durch ihre interdisziplinären Gemeinschaftsprojekte Erfahrung damit haben, die Natur (der Stadt) zu nutzen, um Gebiete zu gestalten, in denen Bewegung von wesentlicher Bedeutung ist.

Die Räume sollten in eine gartenähnliche Struktur übersetzt werden, innerhalb derer jedes Stockwerk mit den dazwischenliegenden Treppen eine unterschiedliche Plattform darstellt, auf der man sich bewegen kann. Mit Pilzen bewachsene Baumstämme, ein hölzerner Parcours über eine Wasserfläche mit Teichlinsen, eine schiefe Ebene belasteter Erde und schließlich eine Hängebrücke in einem Raum voll Rauch. The Mediated Motion.

Olafur Eliasson

 

An alle,

wenn ich diesen Text schreibe, bleibt weniger als ein Monat Zeit bis zur Eröffnung des Projektes in Bregenz. Fast alle Teile der Ausstellung sind nun beisammen - aber wie immer gibt es noch einige offene Fragen, die darauf warten, beantwortet zu werden. 

Können Sie mir sagen, ob die Ausstellung im obersten Geschoss endet oder ob das Hinuntergehen zum Erdgeschoss in Richtung Ausgang, wenn man alles noch einmal "rückwärts" betrachtet, die Ausstellung verlängert, und sich das Ende letztendlich am Ausgang beim Verlassen des Hauses befindet? Vielleicht hat das Projekt gerade dann begonnen, wenn Sie dieses Informationsheft erhalten haben, welches mit Sicherheit Erwartungen in Ihnen auslösen wird, bevor Sie die Ausstellung überhaupt betreten werden. Ihre Erwartungen werden einen Einfluss darauf haben, wie Sie dem Projekt im Kunsthaus Bregenz begegnen und wie Sie es erleben werden. - Und das außergewöhnlich herausfordernde Gebäude von Zumthor: Wie viele Erwartungen und vorgeprägte Blicke hat allein das Gebäude schon hervorgerufen?

Was ist tatsächlich meine Grundlage, auf der dieses Projekt aufgebaut werden kann? Ist es das autonome Gebäude aus Beton oder sind es sämtliche vorgefassten Sichtweisen und dynamischen Prozesse, die Sie prägen, bevor und während Sie das Haus betreten? Ich glaube, dass das Kunsthaus möglicherweise überhaupt nicht da ist, bis Sie diesen Brief gelesen haben, und dass für Sie auch die Ausstellung nicht existiert, bis zu dem Zeitpunkt, da Sie die Einladung erhalten haben, weil sich Ihr Name auf der Einladungsliste befindet. Sie sind es und Ihre Erwartungen - Ihr Weg zur und durch die Ausstellung - die dieses Projekt entstehen lassen. Mit anderen Worten: diese Ausstellung ist abhängig von Ihrer Bewegung, Ihrem Engagement, sich einbeziehen zu lassen, sich auf Erfahrungen einzulassen.

Während meiner Suche nach Möglichkeiten, dieses Gebäude zu entschlüsseln - die sicherlich eng mit Klassifizierungen des Sehens und Erfahrens verknüpft ist - entdeckte ich den großzügig raumgreifenden Aspekt der spiralförmigen Bewegung, die Sie von einem Stockwerk zum nächsten führt. Mir wurde klar, dass eine Steigerung des Prinzips der Bewegung der richtige Weg sein könnte, um den größten Vorteil aus Ihrem vorgeprägten Blick zu ziehen und Sie als Hauptfigur in die Ausstellung zu integrieren.

Da Ihre Bewegung und Orientierung ein zeitlicher Prozess sind, suchte ich eine Gelegenheit und ein Mittel, diesen Prozess in ein Objekt zu verwandeln. Auf einem bestimmten Gebiet wurde der Prozess als Objekt bereits kultiviert - in der Landschaftsarchitektur. Deshalb wandte ich mich an Günther Vogt, dessen Sinn für den Kultivierungsprozess eine weitsichtige Quelle für die Entwicklung dieses Projektes war: The mediated motion (Die vermittelte Bewegung). Olafur Eliasson, Februar 2001

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Olafur Eliasson
in Zusammenarbeit mit Günther Vogt, Landschaftsarchitekt