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Ort: Museum für Gegenwartskunst

Modernes Leben findet in Systemen statt. In Gesellschaftssystemen, Wirtschaftssystemen, Wertesystemen, Kommunikationssystemen, Justizsystemen, Denksystemen, Gesundheitssystemen, Erziehungssystemen, Fortbewegungssystemen, Wissenschaftssystemen, Wohnsystemen, Bildungssystemen, Produktionssystemen und in vielen anderen mehr. Systeme sind einerseits unsichtbar, andererseits allgegenwärtig. Systeme ordnen die Dinge und steuern den Alltag. Sie bestimmen Abläufe und Beziehungen. In Systemen wird Komplexität zu funktionalen Gebilden organisiert. Systeme sind Muster. Ihr Prinzip bleibt nur durch stete Wiederholung erkennbar. Oder das Muster löst sich auf. Ein Muster, das sich auflöst, ist verloren. Deswegen sind Systeme darauf ausgelegt, Widersprüche aufzuheben. Sie prüfen die Kompatibilität der Teile mit ihrem Muster. Sie folgen ihrer eigenen Logik, nur so erhalten sie sich selbst. Und was ihrer Logik folgt, fügt sich ein. Sei dies der genormte Regalboden eines weltweit vertriebenen Möbelsystems, das Datum innerhalb eines Kalendersystems, der Sprachbaustein im Telefonskript einer Service-Hotline oder schlicht die Bereitschaft der BürgerInnen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Nur das, was passt, hat Platz im System. Das Verhältnis des Systems zur Umwelt ist daher selektiv und zugleich normativ, sagt der Soziologe Niklas Luhmann. Was mit der Norm des Systems nicht kompatibel ist, wird auf symptomatische Weise zum Problem. Symptome entstehen dort, wo Systeme Komplexität reduzieren. Als Symptom kehrt zurück, was im System verdrängt wird. Nichts ist per se schon symptomatisch. Was in dem einen System als anormal bezeichnet wird, kann in dem anderen für normal befunden werden – was hier als kontraproduktiv gilt, erscheint dort als produktiv. Allein die Selbsterhaltungslogik des jeweiligen Systems setzt den Massstab dafür, was eins oder null sei. Wenn ein bestimmtes Handeln auf die Grenzen eines Systems stösst, zeigt sich die Logik desselben. Oft erst dann. Denn an sich sind die Grenzen von Systemen und die durch sie errichteten Normen unsichtbar. Im symptomatischen Moment des Grenzfalls, der Ausnahme oder des Verstosses enthüllen sie dagegen ihr Gesicht. Aber ist es automatisch von Nachteil, wenn menschliches Handeln in Konflikt mit der Logik von Systemen gerät, symptomatisch wird? Der Philosoph Slavoj Žižek findet, man solle sein Symptom lieben wie sich selbst. Denn im Symptom ist ein „Kern des Genießens enthalten“, ein letzter Bereich innerhalb der eigenen Existenz, der „jeder Interpretation widersteht“. Die Ausstellung One Million Years – System und Symptom behandelt die ästhetischen, kulturellen und politischen Implikationen der Systemlogik aus der Perspektive der Gegenwartskunst. Sie führt künstlerische Projekte zusammen, die auf unterschiedliche Weise mit Systematik umgehen. Die Ausstellung präsentiert zum einen KünstlerInnen, deren Werk selbst der Errichtung präziser und ihrer ästhetischen Eigenlogik verpflichteter Systeme folgt, zum Beispiel Josef Albers, Hanne Darboven, On Kawara, Sol LeWitt, Jan J. Schoonhoven oder Simon Starling. Diese KünstlerInnen erproben das Prinzip der Systematik auf kühle, auf spielerische oder oft auf derart extreme Weise, dass sie absolut systematisch jedes normale Systemdenken unterlaufen. Zum anderen zeigt die Ausstellung Arbeiten, die unsichtbare gesellschaftliche Systeme, Normen und Ausschlussmechanismen sichtbar werden lassen, zum Beispiel von Henrik Olesen, Martha Rosler, Octavian Trauttmansdorff, Andreas Slominski oder Heimo Zobernig. Diese Werke spüren Situationen auf, in denen die Logik eines Systems klar zutage tritt. So werfen sie Fragen darüber auf, wie soziale Identität und das vermeintlich normale Leben in Haushalt, Schule oder Justiz durch gesellschaftliche Systeme hervorgebracht werden und wo Repressalien lauern. So treffen in der Ausstellung One Million Years – System und Symptom die Arbeiten von KünstlerInnen, die sich Systematik auf besondere Weise zu eigen machen, auf solche Werke, in denen die systematische Ordnung des Lebens dargestellt und der Kritik unterzogen wird. Die Ausstellung führt Werke aus der Sammlung des Kunstmuseum Basel, der Emanuel Hoffmann-Stiftung, der Hanne Darboven Stiftung Hamburg und weitere Leihgaben aus Amsterdam, Berlin und Wien zusammen. Einige der gezeigten Werke wurden neu produziert bzw. adaptiert. Im Falle einiger KünstlerInnen ermöglichte die Ausstellung auch die aufwendige Restaurierung und Wiederinstandsetzung von Werken und Videomaterial – ein Aspekt, der für die Arbeit des Kunstmuseum Basel, Museum für Gegenwartskunst grosse Bedeutung hat.