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Die Ausstellung „Rodin Beuys“ widmet sich erstmals einer umfassenden Gegenüberstellung von Zeichnungen und Plastiken von Auguste Rodin (1840–1917) und Joseph Beuys (1921–1986). Beide Künstler hatten mit ihrer Auffassung von Plastik und Zeichnung eine große Auswirkung auf die Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert und gaben Richtungen vor, die bis heute relevant sind. Beuys schuf in der Zeit von 1947 bis 1964 Hunderte Arbeiten auf Papier, die vom Stil, von der Technik und der Formensprache her Anklänge an Rodins Zeichnungen und Aquarelle aus den Jahren 1895–1910 aufweisen. Beiden Künstlern gilt in ihren grafischen Blättern der weibliche Körper als Inbegriff elementarer transformativer Naturkräfte. Obwohl einige Kunsthistoriker in den Aquarellen bereits Parallelen erkannt haben, wurden diese im dreidimensionalen Werk bisher noch nicht erforscht. Tatsache ist jedoch, dass Beuys Rodins Errungenschaften wie die Dynamisierung der Oberfläche und die Autonomisierung des Torsos aufgenommen hat, um sie in seiner Plastik auf eine neue Ebene zu führen. Anhand von über 130 Papierarbeiten und 35 Meisterwerken der Skulptur wird die Ausstellung die Bedeutung Rodins für das Schaffen von Beuys beleuchten. Zudem geht sie anhand von 15 Werken Beuys’ intensiver Auseinandersetzung mit dem Werk von Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) nach, das seinerseits stark von dem französischen Meister inspiriert war.

Die Ausstellung „Rodin Beuys“ wird durch die Hessische Kulturstiftung gefördert. Zusätzliche Unterstützung erfährt sie durch die Fraport AG.

Das künstlerische Werk von Joseph Beuys ist durch seine Theorie der „sozialen Plastik“, durch die Erweiterung des traditionellen Kunstbegriffs geprägt. Es steht für die Abkehr von formal-ästhetischen Maßstäben und fest gefügten Gestaltungsprinzipien sowie die Ausübung von Kunst als einem ganzheitlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozess, an dem jeder Mensch beteiligt sein soll, um verändernd in die Gesellschaft einzugreifen. Dennoch gibt es in Beuys’ Werk eine starke Affinität zum „traditionellen“ Medium Zeichnung. Anlässlich seiner Teilnahme an der „documenta III“ 1964, drei Jahre nach Antritt der Professur für monumentale Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, betonte er in einem Interview die Rolle der Zeichnung innerhalb seines Werks: „Die Zeichnung ist für mich von besonderer Bedeutung, da in den älteren Zeichnungen bis 1947 zurück im Prinzip alles bereits vorgezeichnet ist.“

Die Ausstellung macht diese Aussage zu ihrem Ausgangspunkt. Zwischen 1947 und dem Jahr 1964, ab dem sich Beuys zunehmend seinen Aktionen, Environments, seiner Lehrtätigkeit und seiner Theorie der „sozialen Plastik“ zuwandte, entstanden mehrere tausend Arbeiten auf Papier. Anhand der Zeichnungen aus dieser Zeitspanne sowie einer Reihe von maßgeblichen Skulpturen versucht die Ausstellung erstmals, die für Beuys außerordentlich relevante Verbindung zu Auguste Rodin aufzuzeigen sowie die Beziehung zwischen Beuys’ früheren Papierarbeiten und seinen späten dreidimensionalen Werken zu beleuchten.

Beuys erhielt durch die Schriften Rainer Maria Rilkes erstmals Zugang zur Kunst Rodins. Er las die Insel-Ausgabe von Rilkes Monografie Auguste Rodin aus dem Jahr 1922, die auch eine Reihe grafischer Blätter enthielt. Rodin hatte bereits zu Lebzeiten in Deutschland großen Ruhm erlangt und wurde als genialer Schöpfer des Öfteren mit Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, beide wichtige Leitfiguren für Beuys, auf eine Stufe gestellt. Vor diesem Hintergrund gewinnt Beuys’ Interesse für das Werk Rodins klarere Konturen. Zum einen passt es zu seiner Beschäftigung mit anderen Heroen der nordeuropäischen Kultur wie Rembrandt, Vincent van Gogh, Edvard Munch und Wilhelm Lehmbruck. Zum anderen waren Künstler wie Munch und Lehmbruck, die Beuys besonders schätzte, ihrerseits in starkem Maß von Rodin inspiriert.

Eine der wichtigsten Neuerungen Rodins Ende des 19. Jahrhunderts lag in der Fragmentierung des Körpers und der Behandlung des Torsos als autonomer Form. Mittels des Fragments versuchte Rodin einen Bogen von der Kunst der Antike zu seinem eigenen Schaffen zu schlagen. Beuys hat sich in seinem Werk intensiv mit dem Torso beschäftigt. Einer der Wege zu Rodins Torsi führte ihn über das Werk Wilhelm Lehmbrucks, das Beuys in seinem Vorhaben, Bildhauer zu werden, bestätigte und das seinerseits auf den französischen Meister verweist. Der Torso spielt bei Beuys jedoch nicht nur in seiner Plastik eine Rolle, sondern dominiert auch viele seiner Zeichnungen vor allem nach 1953.

In den Zeichnungen visualisiert sich am stärksten und unmittelbarsten Beuys’ wiederkehrendes Interesse an Rodins Werk. Wie Beuys schuf Rodin Tausende von Arbeiten auf Papier, die er innerhalb seines Schaffens als autonome Werkgruppe betrachtete. Die Anklänge, die Beuys’ frühe Blätter an die Aquarelle und Zeichnungen Auguste Rodins aus der Zeit von 1895 bis 1910 aufweisen, sind offensichtlich. Beide grafischen Œuvres sind durch elastische Linien, fließende Farben und zentrale, sich ständig wandelnde weibliche Gestalten geprägt. Wie Rodin experimentierte auch Beuys unermüdlich mit verschiedenen und ungewöhnlichen zeichnerischen Techniken, angefangen von der Einbeziehung einzelner collagierter Elemente bis hin zum lasierenden Farbauftrag, der den Aktfiguren zum Teil etwas beinahe Ätherisches verleiht. So fleischlich die weiblichen Gestalten in Rodins späten Aquarellen sind, so wirken sie doch wie in einem flüchtigen Zustand eingefangen. Im Unterschied zu Rodin jedoch reduzierte Beuys seine weiblichen Figuren vielfach auf Silhouetten; die üppige Weiblichkeit von Rodins Frauen, die sowohl für Erotik als auch für die metamorphen Kräfte der Natur steht, wird bei Beuys zum Inbild einer durch die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges geprägten, erneuerungsbedürftigen schöpferischen Lebenskraft.

Ein weiteres zentrales Moment, das beiden Künstlern gemeinsam ist und die Auffassung von Plastik revolutionär erweitert hat, ist der innovative Gedanke, Kunst mit Bewegung zu durchdringen und das Element Zeit einzubeziehen. Rodin beschrieb seine Vorgangsweise folgendermaßen: „Ich beobachte mein Modell lange, ich verlange von ihm keine bestimmte Pose, ich lasse es frei im Atelier herumgehen wie ein aus dem Stall entronnenes Pferd, und ich halte die Beobachtungen fest, die ich dabei mache.“

Bewegung manifestiert sich bei Rodin in der Flüchtigkeit seiner Zeichnungen ebenso wie in seinen Skulpturen wie dem „Schreitenden Mann“ im Verzicht auf einen Sockel sowie der impressionistischen Oberflächengestaltung, die das Material zum Pulsieren bringt. Ähnlich versteht Beuys Plastik als Evolutionsprozess – offen und beweglich, lebendig und fließend zwischen den Gegensätzen Chaos und Ordnung, organisch und kristallin, warm und kalt. Das Denken ist für Beuys die eigentliche, elementare Stufe der Plastik – Rodins „Denker“ ein Sinnbild dafür.

Neben der Affinität des Beuys’schen Œuvres zu dem von Rodin wird die Ausstellung in der Schirn auch erstmals Beuys’ Auseinandersetzung mit dem Werk von Wilhelm Lehmbruck einer eingehenden Betrachtung unterziehen. Über achtzig Arbeiten auf Papier und fünfzehn Plastiken von Beuys, fünfzig Papierarbeiten und zwanzig Skulpturen von Rodin sowie zehn Arbeiten auf Papier und fünf bildhauerische Werke von Lehmbruck bilden das Herz dieser Ausstellung. Daneben werden Dokumente zur Rezeption Rodins in Deutschland in der Zeit von 1900 bis 1960 präsentiert.

Die Ausstellung „Rodin Beuys“ wurde von Pamela Kort, Gastkuratorin der Schirn Kunsthalle Frankfurt, erarbeitet. Die amerikanische Kunsthistorikerin lebt seit 2004 in Berlin und hat seit 1994 mehrere Publikationen über Beuys veröffentlicht. Für die Schirn hat Pamela Kort bereits die Ausstellungen „Grotesk! 130 Jahre Kunst der Frechheit“ sowie „Paul Klee: 1933“ kuratiert.

KATALOG: Rodin Beuys. Hg. von Pamela Kort und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Josephine Gabler, Claude Keisch, Dieter Koepplin, Pamela Kort, J. A. Schmoll gen. Eisenwerth und Hélène Pinet. Deutsch/englisch, ca. 350 Seiten, ca. 180 Farb- und 28 Schwarzweißabbildungen, Richter Verlag, Düsseldorf 2005, ISBN 3-937572-34-1.

Pressetext

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RODIN BEUYS
Joseph Beuys, Auguste Rodin
Kuratorin: Pamela Kort