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Von Verwandlungen ist unser ganzes Leben geprägt. Meistens vollzieht sie sich unbeachtet so kontinuierlich, dass nur ihr plötzliches Auftreten unser Bewusstsein beeinflusst und uns existenziell berührt. In der Bildwelt Eschers spielen Verwandlungen eine herausragende Rolle und werden in vielsagenden Ausdrucksmöglichkeiten immer wieder metaphorisch angewendet.

Der Blick Eschers, der sich nicht mit der bloßen Erscheinung der Dinge begnügt, intensiviert den Wandel des Bewusstseins am augenscheinlichsten in der Folge zu Kafkas Verwandlung. Hier hat der Künstler den bedrückenden Stimmungsgehalt aus der Sicht der unbeholfenen Kreatur kongenial eingefangen. Die Verwandlung vollzieht sich von der Ebene des Realen zum Surrealen. Der erste Schritt der sinnlichen Erfassung der einzelnen Bildelemente, die sich an der Wirklichkeit orientieren, wandelt sich in einem zweiten Schritt zu einem Wesensunterschied aller Bildgegenstände, die eingeschlüsselt sind in den sinngebenden Zusammenhang, der jegliche Erfahrbarkeit übersteigt. Dieser Bedeutungswandel von der gegebenen Realität zur schöpferischen Freiheit vollzieht sich nicht ohne Schwierigkeit, die in der Folge Versuche, einen Krebs zu begreifen gleichnishaft thematisiert wird. Das untersuchte, zerlegte Tier endet in einem Behältnis. Schlägt der Wunsch nach Erkenntnis, zumindest wenn wir von der bloßen Oberflächenerscheinung ausgehen, fehl? Ja, so könnte man schließen, er bleibt von der Ergebnislosigkeit nicht verschont. In Eschers Darstellungen erwachen die Tiere allerdings immer wieder zu neuem Leben, werden zu Wächtern und Aufpassern und erkunden mit ihren Fühlern die rätselhafte Welt, die unsere Erfahrung übersteigt, aber die Phantasie steuert. Bei den Wächtern glaubt der Betrachter zunächst an eine Sinnestäuschung, wachen doch absurderweise Krebse über die Bibliotheksordnung. Die Wirklichkeitsdarstellung schlägt um in eine Thematik, die Escher immer wieder umkreist: die Fremdheit in seiner scheinbar vertrauten Umgebung. In der Auseinandersetzung mit Fenstern und Eingängen formuliert Escher effektvoll die Umkehrung der Wirklichkeit ins Gegenteil. Gewohnheitsgemäß gibt das Fenster den Blick in die Außenwelt frei und stellt in seiner unbeachteten Vermittlerfunktion den Kontakt zur Außenwelt her. Besonders in der Romantik wurde diese Thematik wiederholt aufgegriffen, um, symbolisch auf den Mensch bezogen, von der eingeengten Räumlichkeit eines Zimmers (für Romantiker das in seiner Erkenntnisfähigkeit begrenzte Ich) der Weite der Außenwelt (Symbol für die Unendlichkeit Gottes) gegenübergestellt. Für Escher jedoch wird das Fenster selbst in seiner unmittelbaren Präsenz, ohne die raumgreifende Fernsicht, zum alleinigen Objekt der Aufmerksamkeit.

Vergleichbare Irritationen spielen im Themenbereich der Eingänge statt, wo der Einblick durch das Portal durch eine rätselhafte Dunkelzone verstellt wird.

Der Reiz der Arbeiten Eschers liegt in der Verwandlung der Realität gegenüber der objektiven Wirklichkeit, der nun eine veränderte Bedeutung zukommt. Ihr gleichnishafter Charakter, der immer wieder Assoziationen zu menschlichem Verhalten zulässt, zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk, angefangen von der Folge zu Kafkas Verwandlungen bis zu den jüngsten Zeichnungen und Graphiken. Escher enthebt die Dinge aus ihrem zeitgebundenen Gewand, gibt der bildlichen Erscheinungswelt eine überzeitliche Dimension, die wie ein Spiegel unserer selbst dem Betrachter vorgehalten wird.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

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Rolf Escher
Verwandlungen
Grafisches Kabinett