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Eberhard Havekost

Die Malerei von Eberhard Havekost bezieht sich auf die alltägliche Bilderwelt. Als Vorlage oder Anleitung für seine Ölgemälde dienen ihm technisch reproduzierte Abbildungen, oft auch eigene digitale Fotografien. Ein verbindendes Element der in der Ausstellung gezeigten, überwiegend dunklen Gemälde besteht darin, dass der Künstler sehr flache Gegenstände oder deren flachste Seite zeigt, bzw. die Motive so präsentiert, dass ihre Oberfläche betont wird: Ein Plakat, eine Kinderzeichnung auf einem Blatt Papier, zwei schwarze Ledersessel, eine verschmutzte Fensterscheibe. In der strategischen Umwandlung von flach (ursprüngliches Objekt) zu flach (technisch reproduzierte Abbildung) zu flach (manuell erzeugtes Gemälde) wird die Konzentration des Malers auf Prozesse der Verbildlichung und die wechselhaften Bedingungen sinnlicher Wahrnehmung erkennbar. Dies unterstreicht der Maler, indem er häufig denselben Gegenstand in mehreren, voneinander abweichenden Gemälden beleuchtet. Während m ein Wunsch als Betrachter nach einem Zugang zum Dargestellten wächst, kollabieren in der Fläche seiner Gemälde die absolute Verfügbarkeit des elektronischen Bildes und die Unzulänglichkeit der Dinge. In jedem Prozess der Bilderzeugung können Brüche und Lücken entstehen, die den analytischen, aufklärerischen Anspruch auf Vollständigkeit stören. Sei es im „entmaterialisierten“, subjektiven Blick eines Menschen auf seine dingliche Umgebung, oder dem jeweiligen Moment, wenn ein Abbild an einen Träger gebunden wird und sich physisch materialisiert. Gerade wenn es um Brüche und Lücken geht, scheint sich das Interesse des Malers zu verdichten, der mit seinen Bildern etwas gegen die Entmaterialisierung des Blickes unternehmen will. Während Tatjana Doll und Markus Döbeli mit einigen sehr großen Formaten in der Ausstellung vertreten sind, zeigt Havekost also mehrteilige Arbeiten. Damit betont er den Systemanschluss, den jedes seiner Bilder hat. Katy Siegel sieht eine enorme Stärke darin, dass Havekost multipliziert und nicht organisiert. So können die stets wechselnden Wesensverwandtschaften zwischen Dingen und Bildern, Erfahrung und Malerei aufgezeigt werden. Seine neueren Gemälde „erproben die Möglichkeit einer Abkehr von vertrauten oppositionellen Kategorien – Fotografie und Erleben, mein und dein, Subjekt und Objekt –, um vielmehr Momente der Interaktion zwischen ihnen aufzuspüren, die ihren eigenen Namen, ihre eigenen Gemälde verdienen.“ Interaktionsmomente zwischen planvoll ausgewählter fotografischer Vorlage, unwillkürlicher Raumkonstruktion und der zweidimensionalen Bildoberfläche, zwischen dem prekären Aufeinandertreffen von Bildträger und Farbe, zwischen mir, dem sehenden Subjekt, das auf ein Objekt (ein Gemälde) trifft und es analytisch bezwingen will, zwischen meiner eigenen Körperlichkeit und derjenigen der Malerei. Havekosts Gemälde schieben sich irgendwo in den Raum zwischen diese komplizierten Annäherungsversuche. Ergänzend zu denjenigen Gemälden, die Havekost „reproduktiv“ nennt, behaupten die „realistischen“ Bilder (oder „Materialverständnisbilder“) eine eigene, unabhängige Körperlichkeit und Präsenz. Im vierteiligen Ensemble Secrets( of Success)1/4-4/4 ist dies die kleine Arbeit Forever Unfinished. Hier hat der Maler die Farben in groben Pinselstrichen von der Palette auf die Leinwand gebracht, während oder nachdem er an den drei anderen Gemälden arbeitete. Möglicherweise verweist es pars pro toto auf einen spezifischen Moment während der vielen einzelnen Schritte der malerischen Bilderzeugung, festgehalten, eingefroren und herangezoomt. Oder es betont Momente von Zufall oder Willkür, Momente und Dinge die unabhängig von unserer Wahrnehmung existieren, und stellt sich der planvolle methodischen Malerei und den Zuschreibungen während unserer Betrachtung selbstbewusst entgegen.

Markus Döbeli

Von der nachdenklichen, dunklen Materialschwere Havekosts entführt Markus Döbeli in strahlende Räume des Lichts und der Farben. Seit über zwanzig Jahren arbeitet Döbeli an einem in seiner Konsequenz außergewöhnlich stringenten Oeuvre, unprogrammatisch-weltabgewandt und formal äußerst schlüssig. Seine unverwechselbaren Abstraktionen bohren sich nicht zuletzt aufgrund ihrer immanenten Widersprüche ins Gedächtnis: Die Erforschung der materiellen Gegebenheiten der Malerei steht der Versenkung in scheinbar schwebende Farbverläufe gegenüber. Die intime Wirkung, die sich aus der unübersehbaren Verwandtschaft zur Aquarellmalerei ergibt, ist schwer mit den räumlichen Dimensionen dieser Malerei in Einklang zu bringen. Gerade hierin liegt das Bemerkenswerte an Döbelis Arbeit: Mit dem Formenvokabular des Aquarells, einem Medium, das er schon seit Jahren beherrscht, erobert er die Leinwand. Trotz ihrer zum Teil enormen Größe sind Döbelis Formate immer so gewählt, dass sie vollständig vom Betrachter erfasst werden können. Und was bietet sich meinem Blick dort: Auf transparenten Leinwänden ergießen sich Farbfluten von stark verdünntem, lasierendem Acryl. Es erwachsen konturlose Gebirgs-, Meeres- oder Dschungellandschaften. Nur dann, wenn der Maler gelegentlich die Leinwand zerschneidet, lassen sich Konturen nachvollziehen. Manchmal noch ist ein Widerhall der malerischen Geste zu erahnen, manchmal hauchen die Farbschleier scheinbar völlig schwerelos ineinander; sich überlagernde Wolken in Schattierungen von Gelb, Rot, Blau und Grün berühren sich in betörenden, fast erotischen Momenten, um sich an anderer Stelle wieder voneinander zu lösen. Auf solche gleichsam ephemeren Momente konzentriert, liegt in der Reinheit dieser Malerei etwas sehr Freies und Offenes, das gegenüber jeder Effekthascherei erhaben ist. Fast habe ich Angst, dass sich der dünne, durchlässige Farbauftrag gänzlich verflüchtigt. Solche Empfindungen gewinnen an Dimension, wenn man den Umstand berücksichtigt, dass Acrylfarbe während des Trocknens durch Verdunstung noch Sauerstoff abgibt (wohingegen Öl und Lack, womit Havekost bzw. Doll arbeiten, Sauerstoff aufnehmen). „Vor Markus Döbelis Bildern buchstabiert man gleichsam zurück: Nicht sie sind das Unwirkliche hinter einer realen Welt der Zeichen, Bilder und Bedeutungen. Vielmehr repräsentieren sie eine physisch erfahrbare Realität, die durch die Trugbilder des Alltags permanent verschüttet wird.“

Tatjana Doll

An solchen Trugbildern des Alltags ist Tatjana Doll interessiert, wobei sie vermutlich eher von „Lügen des Gedächtnisses“ sprechen würde. Wie für die meisten Arbeiten von Havekost ist auch ihr Ausgangspunkt eine technisch reproduzierte Abbildung. Objekte aus der urbanen Lebenswelt, Piktogramme oder Reproduktionen von Kunstwerken; ob banaler Gebrauchsgegenstand oder kunst- und kulturhistorisch Aufgeladenes – sorgfältig wählt sie aus dem körperlich passiven Bildarchiv aus, das uns täglich umgibt, über das wir aber nicht verfügen können. Diese Bilder dienen ihr als Projektionsfläche für eine künstlerische Auseinandersetzung, die nicht dem Motiv, sondern dessen Wirkung gilt: Während eines malerischen Prozesses zwischen Konstruktion und Dekonstruktion findet eine Verschiebung statt. Das Resultat ist eine vitale und authentische malerische Erfindung, die wiederum selbst ihr eigenes Wirkungspotential befragt. Dolls primäre Anliegen verfolgen weder gesellschafts- noch medienkritische Ansätze – auch nicht eine Rückbesinnung auf eine mögliche, ursprüngliche Wahrhaftigkeit künstlerischer Werke oder die Fortführung einer bestimmten Lesart. Vielmehr denkt sie darüber nach, wie „Trugbilder“ entstehen, auf welche Weise sich das passive Bildarchiv konstituiert, und welche Auswirkungen es auf uns hat. In Bezug auf die mit dem Präfix RIP- betitelten Arbeiten, welche sich auf Werke der Kunstgeschichte beziehen, die eine breite fotografische Vervielfältigung erfahren haben, werden so komplexe Fragen aufgeworfen. Wie sind diese Ikonen, wie sie sie nennt, in unser individuelles und kollektives Bildgedächtnis geraten, warum brennen sie sich dort stellenweise brutal ein, und welches Eigenleben können sie dort entwickeln? Welche Informationen, welcher Gehalt gehen im Verlauf dieser Vorgänge verloren, welche kommen hinzu? Dies wird besonders interessant im Lichte von Dolls „mechanisierter“ Malweis e, die auch ihre anderen Motivkategorien kennzeichnet. Tatjana Doll geht nicht im Reproduktiven auf, sondern lässt in ihrer Malerei ein „überzeugendes Konzept für die Konstitution des künstlerischen Subjekts“ erkennbar werden. Willem de Koonings Skandalbild Woman I von 1950-52 etwa, mit dessen brutal-abstrahierender Darstellung einer drallen weiblichen Gestalt er seine Kritiker auch deswegen gegen sich aufbrachte, weil er sich von einer bis dato dem Abstrakten Expressionismus verhafteten Formensprache abgewandt hatte, ringt Doll mit RIP_Venus of Willendorf überraschende Facetten ab: Sei es durch den Blick der Frau auf den Blick eines Mannes auf eine Frau (auch: der Blick der Malerin auf den Blick des Malers auf ein Modell), oder schlicht die farbgewaltig-furiose formale Neubehandlung. Elementaren Anteil an der Vergegenwärtigung des Dargestellten durch die gezielte malerische Zerstörung der Vorlage haben die Industrielackfarben, mit welchen Doll seit Jahren arbeitet; giftige, künstliche Flüssigkeiten, die uns täglich umgeben. Entschlossen läuft die schwarze Farbe die aufgestellte Leinwand herunter, und zersetzt die Konturen der Blume in PICT_Narcisse II. So entfaltet sich eine vernichtende Wirkung: Die malerische Behandlung scheint der arglosen Selbstzufriedenheit ihrer Existenz zu spotten. Tatjana Dolls Malerei wirkt verunsichernd, da sie permanent zwischen der Auseinandersetzung mit Malerei an sich und der Auseinandersetzung mit der Vorlage oszilliert. Immer jedoch scheinen ihre Gemälde bestrebt, durch eine subjektive, malerische Divergenz vehement gegen die Herrschaft der Zeichen- und Bildermembran vorzugehen, die sich schwer durchdringbar um unser Wirklichkeitsverständnis legt.

Schweigen

Die Künstler haben der Ausstellung den beredten Titel „Schweigen“ gegeben, der in Bezug auf ihre Bildwelten in vielfältige und oppositionelle Richtungen gedacht werden kann. Gelöbnis oder Gebot, Recht oder Pflicht, als Gegenteil von Information, oder als eine besondere Form von Kommunikation, im Sinne angespannter Aufmerksamkeit, einladender Aufforderung, Provokation, Erlösung, Verweigerung, Enthaltung. Die gezeigte Malerei kann sich auch deswegen im materialistischen Informationszeitalter behaupten, in dem immer mehr, immer schneller verfügbar gemacht wird, weil sie durch ihr Schweigen ein Begehren weckt nach etwas, das sich dieser scheinbar grenzenlosen Verfügbarkeit entzieht.

Julika Nehb

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Schweigen

Künstler:
Eberhard Havekost, Markus Döbeli, Tatjana Doll