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Am 12. März 1977 eröffnete der Kasseler Kunstverein die Gemein-schaftsausstellung „Sigmar Polke: Fotos / Achim Duchow: Projektionen“. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Fotografie als elementares Ausdrucks-mittel von Polkes Arbeit im Bewusstsein der Kunstwelt noch kaum etabliert. Dabei war die Kamera bereits seit Beginn der sechziger Jahre des Künstlers ständiger Begleiter. Mystische Stilllebenarrangements mit Alltags-gegenständen, kuriose Ausschnitte aus Büchern und Zeitungen, Reiseeindrücke aus den USA, Pakistan, Brasilien und Afghanistan aber auch sein unmittelbares Umfeld, Schüler und Künstlerfreunde, wurden durch dieses „dritte Auge“ erfasst und im Labor des Alchemisten durch experimentelle Eingriffe in den Entwicklungsprozess weiterverarbeitet. Schon Mitte der 70er Jahre war so ein umfangreicher, weitgehend ungehobener Bilderschatz entstanden, aus dem die Kasseler Ausstellung schöpfen konnte.

Einer der Ersten, der die Fotografie als künstlerisch gleichwertige Werkgruppe im Oeuvre Sigmar Polkes erkannte, war der Bonner Galerist Erhard Klein, der 1977 zum wesentlichen Initiator des Kasseler Gemeinschaftsprojektes wurde. Annähernd 30 Jahre später wird nun erstmals eine 64teilige Fotosequenz vorgestellt, die Polke im Zusammenhang mit dieser Ausstellung aufgenommen hat. Aufbau und Eröffnung sind ebenso festgehalten, wie die exzessiven Feste dieser Tage. Vor allem Heinz Hunstein, der als Vorstandsmitglied, Sammler und Förderer wesentlich zu Realisierung von Ausstellung und Katalog beigetragen hat, zeigt sich hier als Freund und großzügiger Gastgeber der Kunstszene.

Die Ausdruckskraft der Bilder geht jedoch weit über den rein dokumentarischen Schnappschuss hinaus. Nahtlos fügt sich die Sequenz in Polkes Fotoarbeiten der 70er Jahre ein. Am charakteristischsten ist dabei die Respektlosigkeit, mit der der Autodidakt dem handwerklichen Regelwerk der Fototechnik entgegentritt. Er versteht sich nicht als Herr des Verfahrens sondern folgt - ganz neugieriger und experimentierfreudiger Adlatus - spielerisch jenen undurchsichtigen chemischen Prozessen, die in der Fotografie das Wunder der Bildwerdung bestimmen: Überbelichtungen verunklären das Dargestellte; unverhältnismäßige Vergrößerungen zersetzen das Motiv und lösen es auf; staubige, grobkörnige Unschärfen entstehen. Eine diffuse zweite Belichtung zwischen Entwicklung und Fixierung raubt einem Teil der Bilder alle Lichtwerte und taucht sie stattdessen in einen dunklen Bronzeton. Mitunter durchziehen Restchemikalien in selbstbestimmten, abstrakten Formen eigenmächtig die Szene. Auch in dieser bislang unbekannten Sequenz hat sich Polke zum Handlanger höherer Wesen erklärt.

Pressetext

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Sigmar Polke - 64 Fotografien, Kassel 1977