press release only in german

Eröffnung und Gespräch mit der Kuratorin

Die Ausstellung präsentiert Werke ukrainischer KünstlerInnen, die in Reaktion auf die momentan in ihrem Land laufenden Ereignisse die Gegebenheiten vor dem politischen Wechsel untersuchen oder eine neue Gesellschaft entwerfen.

Um die Proteste, die Invasion und den niemals explizit erklärten brutalen Krieg in der Ukraine vor dem Hintergrund der langfristigen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zu beschreiben, scheinen Verallgemeinerungen unumgänglich. Doch jeder neue Versuch, die Ereignisse in der Ukraine in ihrer Gesamtheit zu verstehen und historisch einzuordnen, scheint die tatsächliche Lage umgehend zu verzerren. Hinzu kommt noch, dass jedes schlüssige Deutungskonstrukt eine leichte Beute für IdeologInnen und PropagandistInnen wird. Dekoriert mit frei erfundenen Zusätzen können Einsichten somit zu allzu schlichten Parolen degenerieren. Wie soll man aber sonst über die momentane Situation in der Ukraine sprechen? Der einzige Weg ist sichtlich, näher und unter leicht verändertem Blickwinkel hinzublicken. Erst muss man die eigenen Erfahrungen und Irrtümer in die richtige Perspektive bringen, um dann das Allgemeine verstehen zu versuchen. Die Proteste auf dem Maidan wurden von Anfang an von den sozialen Medien angetrieben und begleitet. Monatelang war es in Kiew ganz normal, zwischen Straße und Computer hin und her zu pendeln. Doch auch Besatzung und Krieg sind nicht anders. Die tödliche Realität wird von Millionen UserInnen in den sozialen Medien weitergegeben, nachdem sie von Privatpersonen auf eigene Faust in Militärspitälern oder besetzten Städten recherchiert wurde.

Die Ausstellung rekonstruiert die Ereignisse also aus den Perspektiven und persönlichen Erlebnissen der teilnehmenden KünstlerInnen. Berichte aus erster Hand und durch jeweils subjektive Lesarten betrachtet werden zu Fragmenten des ukrainischen Puzzles, mit dem die verschiedenen politischen Agenden dekonstruiert und der heillose Eklektizismus der offiziellen Berichterstattung sichtbar gemacht wird. Durch den Fokus auf das Detail und den Kontext zeigen diese Fragmente aber auch den Informationsüberfluss und die Fixierung auf die jeweils tagesaktuellen Bilder, anhand derer die UkrainerInnen die Ereignisse in ihrem Land verfolgen. Dahinter jedoch zeichnen sich schemenhaft erste Ansätze ab, wie man die historischen und politischen Wechselfälle eines Staates begreifen könnte, der mit seiner sowjetischen Vergangenheit und mit den postsowjetischen Symptomen zugleich brechen will.

So werden die Skulpturen, die Zhanna Kadyrova über die letzten Jahre geschaffen hat, plötzlich zu realistischen Illustrationen zerstörter Leuchttafeln und Fassaden im Zentrum Kiews. Mykola Ridnyi wiederum schafft eine pointierte Sicht auf die Proteste, indem er Aufnahmen vom Maidan mit mittelalterlichen Motiven kontrastiert. In einer anderen Arbeit sieht man, wie die wahnwitzigen Verteidigungs- und Bunkeranlagen aus dem Kalten Krieg in den besetzten Gebieten jäh wieder in Verwendung gelangen. Oleksiy Radynski präsentiert eine ungeschönte Dokumentation von Konfrontationen und militärischen Übungen, die fast ins Absurde kippen. Ähnlich die während des winterlichen Höhepunkts der Gewalt aufgenommenen Fotografien von Oleksandr Burlaka und Ivan Melnychuk. Lada Nakonechna wiederum führt uns mit ihrer nüchternen künstlerischen Dokumentation die unmittelbar körperlichen und politischen Aspekte der Tumulte vor Augen. Der Barrikadenbau auf dem Maidan wird mit den persönlichen körperlichen Anstrengungen der Künstlerin illustriert. Und auch Vova Vorotniov thematisiert die körperliche Wucht der Proteste, ohne einzelne Menschen dabei in den Mittelpunkt zu stellen. Sie alle sagen: So war es! Unsere Geschichte muss erst geschrieben werden!

Die Ausstellung ist kuratiert von Lesya Prokopenko.

* Titel eines Songs der britischen Rockband Psychedelic Furs aus dem Jahr 1979. Ohne Europa direkt zu erwähnen, deutet der düster romantische Song ein Heimkommen nach Bruch und Trennung an, das indes auch etwas Unheimliches hat. Genauso präsentiert auch die Ausstellung «nur» persönliche Erlebnisse aus der Ukraine, verweist zugleich aber auf die Allgegenwart Europas hinter den Protesten im Land. Europa ist Ansporn, Zeugin, unsichtbare Idee, Kontinent, das Andere, blutsverwandt.

Lesya Prokopenko lebt und arbeitet in Kiew, Ukraine. Seit 2009 ist sie in unabhängigen Kunstprojekten engagiert, beginnend mit den Ausstellungen «Those who are near us» und «Childhood Uncensored» am Visual Culture Research Centre. Sie koordinierte das Hauptprojekt der 1. Kyiv Biennale for contemporary art Arsenale 2012. Sie lieferte Beiträge für Flash Art International, Public Art China, Krytyka Polityczna, Theory & Practice und Art Ukraine. Seit 2013 ist sie Programmdirektorin der Kyiv Platform for Contemporary Art (p-c-a.org.ua). Im Rahmen ihrer Arbeit am PCA kuratierte sie u.a. die Ausstellungen «Postcards from Maidan» am Brama Grodzka Theater (Lublin/PL) und am CCA Zamek Ujazdowski (Warschau).

Laufzeit 23. Oktober bis 22. November