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Die Moderne hat die Fotografie zu sich selbst gebracht. Zweifach. Sie hat sie selbstbewusst gemacht und ihr Selbstvertrauen gegeben. Selbstbewusst, weil die Fotografie in den 20er Jahren ihre eigenen Möglichkeiten und Qualitäten erkannte und entwickelte: ein forschendes Sehen der Welt, ein Erkunden der sichtbaren Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven, direkt, klar, von oben, unten, hinten, vorne, aber ohne die Schnörkel aus dem Fundus der Kunstgeschichte. Mit Selbstvertrauen, weil die Fotografie sich von den piktorialen Anlehnungen an malerische Vorstellung der Romantik, des Symbolismus oder Impressionismus abwendete und quasi zum ersten Mal mit Stolz die eigenen Möglichkeiten wahrnahm und schätzen lernte. Mit dieser Entwicklung machte die Fotografie auch ein erstes Mal ernsthaft deutlich, dass sie auch als künstlerisches Medium ernstgenommen werden kann.

Diese Moderne der Fotografie wird von drei geographisch benennbaren Stossrichtun-gen angeführt: von der amerikanischen Fotografie mit Charles Sheeler, Edward Steichen, Alfred Stieglitz, Paul Strand, Edward Weston und (später) Walker Evans; von der Fotografie in Deutschland mit Karl Blossfeldt, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Laszlo Moholy-Nagy und einigen anderen. Und schliesslich in der Sowjetunion mit dem in Malerei und Fotografie erwachenden Konstruktivismus, hier vor allem mit Alexander Rodtschenko, El Lissitzky und Boris Ignatowitsch.

Das Fotomuseum Winterthur hat im Bewussstsein, dass dieser Aufbruch die Fotografie des 20. Jahrhunderts weltweit am nachhaltigsten geprägt hat, viele dieser Fotografen vorgestellt, neulich gerade Charles Sheeler, diesen in seiner Bedeutung etwas verkannten amerikanischen Maler und Fotografen, der in seiner Radikalität und seinem Bewusstsein des modernen Bildes vielleicht unübertroffen bleibt. Nun freut uns besonders, dass wir nach ausführlichen Darstellungen der amerikanischen und deutschen Moderne mit der Ausstellung „Sowjetische Fotografie der 20er und 30er Jahre“ den dritten wichtigen „Strom“ der Moderne vorstellen können. Das Besondere an dieser Ausstellung sind die zahlreichen herausragenden Fotografen und die vielen hervorragenden Vintagefotografien, die in dieser Reichhaltigkeit und Qualität wohl bisher selten zu sehen waren. Das wirklich Besondere aber ist das von Olga Sviblova vorgetragene Konzept der Ausstellung, das vorsieht, drei Richtungen der Fotografie in der Sowjetunion parallel nebeneinander und mit ihren Bezügen zueinander vorzu-stellen: Die piktorialistische neben der konstruktivistischen Fotografie und beide gegenüber der Doktrin des Sozialistischen Realismus, der über die Ideologie vorgab, welche Ästhetik Künstler und Fotografen anzuwenden hatten. In der kurzen Zeitspanne von 1920 bis 1935 liefen diese drei fotografischen Seh- und Gestaltungsrichtungen parallel nebeneinander und haben sich - viel öfter und intensiver als bisher bekannt – gegenseitig beeinflusst, oder Fotografen haben sich in allen drei Richtungen ausprobiert.

Die Ausstellung wurde vom Moskauer Haus der Fotografie in Zusammenarbeit mit dem Fotomuseum Winterthur organisiert. Wir danken der Galerie Alex Lachmann in Köln und den anderen Leihgebern für die vielen wertvollen Leihgaben. Und wir danken der Dr. Carlo Fleischmann Stiftung für die Unterstützung. Pressetext

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Sowjetische Fotografie der 20er und 30er Jahre
rund 250 Vintageprints von Alexander Grinberg, Juri Jeremin, Nikolaj Andrejew, Leonid Schokin, Wassili Ulitin, Alexander Rodtschenko, El Lissitzky, Boris Ignatowitsch, Georgi Petrussow, Max Penson, u.a.
Kuratorin: Olga Sviblova
Halle + Galerie