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„Nahe genug“ beschreibt einen dynamischen Zustand, einen Zustand in der Zeit. Nahe genug sein – das ist Sehnsucht, Bewegung zueinander und voneinander weg. In der Liebe, in allen Beziehungen: Nie nahe genug und dann schon wieder zu nahe. In der Geopolitik: das zusammenwachsende Europa, das heranrückende Afrika, die ökonomische Nähe der globalisierten Welt.

Und in der Kunst: Kunst berührt, wenn sie abstößt oder festhält, aber auch, wenn sie uns auf uns selbst zurückwirft, auf einen Moment, eine Erinnerung, ein verdrängtes Ereignis vielleicht. Ein flüchtiges Gefühl der Nähe. Oder auch abstrakte Erkenntnis, eine Ahnung von Klarheit, plötzliches Durchschauen. Dieses Zuviel und Zuwenig, dieses nie richtig sein, dieses Paradox, das gleichzeitig Triebfeder zwischenmenschlicher, politischer, künstlerischer und performativer Kraft und Motivation ist, bildet das Leitmotiv des steirischen herbst, das sich durch das Festival zieht, ohne plakativ zu sein. Sie werden dieses Leitmotiv finden, mal offensichtlicher, mal versteckter in den zahlreichen Produktionen des Festivals, die auch diesmal fast ausschließlich für und durch den steirischen herbst entstanden sind. Das ist nicht ohne Risiko – schließlich weiß man vorher nicht genau, wo der künstlerische Prozess hinführen wird. Aber es ist wichtig, diese Tradition zu wahren: Kunst zu ermöglichen, nicht nur vorzuführen.

40 JAHRE STEIRISCHER HERBST Vierzig Jahre, das ist für ein interdisziplinäres Festival zeitgenössischer Kunst beachtlich und alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Es zeigt, dass der steirische herbst, der sich über all die Jahre immer wieder neu positioniert und erfunden hat, trotz und durch die Herausforderung, vor die er sein Publikum stellt, für die Stadt und die Region ein wichtiger Teil kultureller Identifikation geworden ist.

Dennoch ist der herbst zu jung für Festreden und Gedenkausstellungen; vielmehr nehmen wir das Datum zum Anlass für allgemeinere Überlegungen. So fragen einige der gezeigten Arbeiten danach, welchen Zugang wir noch zu früheren avantgardistischen Positionen finden. Die norwegischen Baktruppen etwa eignen sich sehr eigenwillig eine Choreographie von Merce Cunningham an, und Mathilde Monnier konfrontiert ihre Choreographie mit Musik von Ligeti – der übrigens schon beim allerersten musikprotokoll vor vierzig Jahren aufgeführt wurde.

Andere Projekte, wie die Audio-Tour von plan b durch das Gedächtnis und die Straßen von Graz, folgen den Spuren, die der herbst selbst in den Köpfen hinterlassen hat. Und eine spezielle herbst-Ausstellung im stadtmuseumgraz untersucht das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit, das die Politiken des Festivals bis heute geprägt hat.

THE THEATRE Die eigenen ästhetischen Positionen, aber auch die eigenen Strukturen immer zu hinterfragen, ist eines der Wesensmerkmale des steirischen herbst. Für die Entwicklung unseres Festivalzentrums sind rund vierzig internationale Künstler, Theoretiker und Architekten der Einladung des schwedischen Künstlerkollektivs International Festival gefolgt, die Grundlagen des Theaters als Architektur in einem anderthalbjährigen Prozess zu untersuchen. Herausgekommen ist weniger ein Architekturspektakel als der Versuch, das soziale Ereignis des Theaters selbst als Architektur zu begreifen. The Theatre versteht sich als Performance und verwandelt alles, was am Theater normalerweise nicht Theater ist, auch in Theater – angefangen mit dem Standort am Karmeliterplatz über das temporäre Gebäude bis hin zu hoffentlich intensiven Gesprächen und Feiern.

Ich danke allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, aber auch Förderern, Sponsoren und dem Team des steirischen herbst, die dieses und all die anderen Projekte möglich gemacht haben. Wir freuen uns sehr darauf, Sie in The Theatre und an den zahlreichen anderen Orten des steirischen herbst zu treffen.

Veronica Kaup-Hasler

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steirischer herbst 2007
Intedantin: Veronica Kaup-Hasler
Kuratoren: Florian Malzacher, Reinhard Braun
Dramaturgin: Kira Kirsch

Ausstellung 22.9.07 - 04.11.07
Reading Back And Forth
vierzig jahre steirischer herbst: Öffentlichkeit, Politik, Erinnerung, Rebellion
Ort: Stadtmuseum Graz
kuratiert von Reinhard Braun
mit Maria Eichhorn , Famed , Annika Eriksson, Willem Oorebeek, Joke Robaard, Michael Schuster & Manuela Zechner

Ausstellungsorte:
Kunsthaus Graz; KUNSTVEREIN MEDIENTURM Graz; MINORITEN GALERIEN Graz; Neue Galerie, Graz; Camera Austria; Kunstverein Graz; Forum Stadtpark, Graz; Pavelhaus Graz; Stadtmuseum Graz; Haus der Architektur Graz; The Theatre / Karmeliterplatz; Dom im Berg ...