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Diese Discounter sind irgendwie anders organisiert als mein Rewe an der Subbelrather, anders als mein Aldi an der Venloer, oder der Penny am Ehrenfeldgürtel. Stephanie Kiwitt hat einen fotografischen Blick auf Supermärkte geworfen. Wo steht sie, worauf blicken wir, welche Informationen sehe ich!? Die Fotoserie ist ein Leporello – Stoß an Stoß sind die fotografischen Bilder montiert. Es ist kein handliches Leporello, das schnell in die Tasche gesteckt werden kann. Für ein Leporello sind die Maße 50 x 70 cm überdimensional, 50 x 70 cm auf jeder Seite der Falte usf. Was für eine Verwirrung. Ich sehe auch, dass das in Belgien ist: Jupiler, Hinweise und Werbung in Französisch und Flämisch, natürlich auch Englisch. Aber man befindet sich nicht irgendwie mittendrin, sowie Mathias Härenstam mit seiner Videoarbeit Supermärkte (2001) mit der Kamera im Einkaufswagen durch den Supermarkt fährt, sondern wir befinden uns an oder hinter der Kasse, also da, wo ich dem Supermarkt eigentlich endlich den Rücken kehren kann, nachdem ich mich durch die Supermarkt-Inszenierungen – Artikel auf Paletten verkaufen sich besser, weil sie billiger aussehen, Design und Größe der Einkaufswagen, Dekompressionszonen, denn langsame Kunden kaufen mehr, Selbstbewusstsein kaufen oder Sammeltrieb, Rabattschilder lösen Kauflust aus, shopaholics, Hyperkapitalismus – wie es die Konsumwissenschaft und Buyology erforscht, gekämpft habe. Ich bin also eigentlich schon durch die Kasse auf dem Weg zum Ausgang, analysiere bereits, was ich nun tatsächlich zuviel, d.h. vielleicht überflüssigerweise gekauft habe, was nicht auf meinem Einkaufszettel stand, was nicht zuviel, denn verbrauchen werde ich es allemal, war, sondern auch eingespart hätte werden können – und wage noch einen Blick zurück? Stephanie Kiwitt geht als Fotografin mit einem Konzept der Realität an die Arbeit. Sie hat uns auch schon in früheren Fotografien mit desperaten Eindrücken aus Shopping-Malls und öffentlichen Räumen konfrontiert. Gestohlene Eindrücke wie Max Kozloff den Kamera-Blick nennt, gestohlen im Shopping- Center. „Capital Decor“ ist nun auf einer Länge von 12,72 Metern auf Tischen ausgelegt und mit einer Glasscheibe abgedeckt, geschützt. Atget hat im alten Paris die Auslagen der Schaufenster fotografiert, für Duchamp stellt sich „Die Frage der Schaufenster“ und das Schwarz/Weiß erinnert mich an manche Fotografien Lee Friedlanders, da wo sein Kamera-Blick oder sein Ausschnittnehmen auf das Neben- und Übereinander der Fragmente von Autos, Schildern, Zeitungen, Menschen und Gebäuden in amerikanischen Strassen trifft. Das Vertikale wird uns in der Arbeit „Capital Decor“ von Stephanie Kiwitt aber in der Horizontalen präsentiert. Hier ist nichts zusammenmontiert, oder doch? Das Abbild der Wirklichkeit ist heute selbst eine Decollage. Und auch Mimmo Rotella hat 1977 eine LP mit phonetischen Gedichten herausgebracht, wie Kiwitt eine Audiospur entwickelt hat, die, von Christophe Piette recht mechanisch gesprochen, das Betrachten ihrer Arbeit im Ausstellungsraum begleitet. So ist es jedenfalls geplant, aber das wird bis zum Ausstellungsbeginn noch einmal reflektiert. Der Sound ist vielleicht für den kjubh Ausstellungsraum – too much. "Capital Décor" wurde zuvor in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig gezeigt. In Zusammenarbeit mit der Galerie b2_ Leipzig, eingeladen von Doris Frohnapfel.

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Stephanie Kiwitt
Capital Decor