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Eröffnung: Sa, 22. September 2007, 17:30 Uhr

Die Ungleichheit auf der Welt nimmt stetig zu. Weil neben der Politik speziell Wirtschaft und Handel für diese Entwicklung zuständig sind, werden letztere in der Ausstellung "UN/FAIR TRADE" zum Thema gemacht. Was allerdings nicht im Sinne eines Fortschreibens der gängigen Globalisierungskritik passiert: "UN/FAIR TRADE" versucht stattdessen den Blick auf den gerechten Handel und noch grundlegender: auf den gerechten Tausch zu richten. Beide werden deshalb aus verschiedensten Perspektiven beleuchtet und als das präsentiert, was sie zunehmend tatsächlich sind: Das bisher bloß ökonomische Mega-Thema, um das sich Diskurse, alternative wirtschaftliche Praktiken und Proteste drehen, wird in ein soziologisches Thema zurückverwandelt, mit Unterstützung der sozial relevanten Kunst.

Um das eindrucksvoll zu verdeutlichen werden Kunst und Wissenschaft ineinander verschränkt. Projektionen faktenorientierter WebSites begleiten und umrahmen Rauminstallationen, dokumentarisches Material und ausgewählte einzelne Exponate, die ihrerseits in vielfältiger Weise um das Thema "gerechter Tausch" kreisen. Insgesamt entsteht so ein Newsroom gleiches Szenario, das dichte Bilder eines anderen Wirtschaftens liefert.

Die Auswahl der künstlerischen Werke, die diesen Newsroom bilden, bezieht sich dabei auf folgende drei Bereiche:

1. auf die Voraussetzungen des un/gerechten Tausches, 2. auf den un/gerechten Tausch selbst, sowie 3. auf die Wirkungen des un/gerechten Tausches.

Schwerpunkt ist natürlich der un/gerechte Tausch selbst.

Die Methoden und Praktiken, mit denen die Kunst das Thema "un/gerechter Tausch" umkreist, sind vielfältig. Einerseits gibt es diverse dokumentarische Annäherungen in Fotografie, Film, Video, in Text und Bild. Zweitens gibt es metahistorische und metaphorische Annäherungen, die mit Objekten und in raumgreifenden Installationen und multiplen Projektionen eine Gedanken- und Gefühlskette zum Thema initiieren. Drittens gibt es eine symbolische und assoziative Annäherung, die eine phantasievolle Brücke zwischen subjektiver Erfahrung des Betrachters und ausgebreitetem künstlerischen Material zum Thema verlangt. Alle drei Methoden sollen Einsichten provozieren, zum Nachdenken anregen und Informationen vorstellen. Es werden aktuelle vorhandene Werke von ungefähr 80 KünstlerInnen aus allen Kontinenten vorgestellt.

Zum Newsroom macht den Ausstellungsraum aber erst die UN/FAIR TRADE-Online Community, die in Wiki-Form ab Mai 2007 aufgebaut und schließlich in die Ausstellung eingespielt wird. In ihrer Basisstrukturierung nimmt diese Community die Themen des Katalogs auf, der zur Ausstellung erscheint: Zuerst einmal wird der Handel bzw. Tausch, oder noch genauer: der faire Tausch grundsätzlich betrachtet, um ihn als Phänomen zu verstehen. Zu diesem Zweck werden verschiedenste Theorien des Tausches präsentiert und diskutiert; empirisch wissenschaftliche ebenso wie kulturanthropologisch-soziologische, wie sie etwa von Marcel Mauss entwickelt wurden. Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen zum Tausch und speziell zum gerechten Tausch wird nach den Randbedingungen gefragt, die dieser braucht. Das heißt: Es wird analysiert, welche institutionellen Settings etabliert sein müssen, damit wirtschaftlicher Austausch in einer möglichst gerechten Form erfolgen kann; speziell zwischen so ungleichen Partnern, wie sie die Erste und die Dritte oder Vierte Welt darstellen. Gleichzeitig wird aber auch untersucht, ob ein solcher institutionen-ökonomischer Ansatz überhaupt der richtige Weg zu wirtschaftlicher Gerechtigkeit ist oder ob nicht ganz andere Konzepte und Strategien verfolgt werden müssten. Der dritte Themenblock von Wiki wie Katalogbuch ist der Ist-Stand des gerechten wie auch ungerechten Handels: Es wird aufgezeigt, welche Mißverhältnisse in der Weltwirtschaft bestehen, wie auch zur Darstellung kommt, welche konkreten Ansätze heute schon realisiert werden, um diese Mißverhältnisse zu ändern. Vorgehensweisen der Weltbank rücken dabei genauso ins Zentrum der Analyse wie Strategien, die lokale Akteure ohne große Theorieentwürfe einfach durch praktisches Tun zu entwickeln versuchen. Besonders auf die Präsentation letzterer Ansätze wird größter Wert gelegt, weil diese - nehmen den institutionentheoretischen "Zähmungsversuchen" einer zu unpolitisch konzipierten Globalisierung - das größte Veränderungspotential in sich tragen. Der vierte Bereich schließlich betrachtet all das zuvor Angedachte und Dargestellte aus der Perspektive der Politik. Vor welchen Aufgaben steht diese, wenn sie etwas zu einer Marktwirtschaft oder etwas völlig Neuem, Anderen beitragen will? Wie hat eine experimentelle Politik auszusehen, die aus Weitsicht und um der (ökologischen wie sozialen) Nachhaltigkeit willen auf eine gerechte Wirtschaft Wert legt? Also auf eine Ökonomie, die den Menschen "(Selbst-)Verwirklichungschancen" eröffnet, ihnen zu wachsen und sich zu entwickeln erlaubt und so für eine Gesellschaft sorgt, die produktiv und lebenswert ist?

All diese Themen und Problembereiche werden im Katalog wie in der Online-Community zur Diskussion gestellt, wobei als "Diskutanten" nahmhafte Autorinnen und Autoren gewonnen werden konnten: Julian Nida-Rümelin, Philosoph und ehemaliger deutscher Kultus-Minister, wird beispielsweise zu Grundfragen des gerechten Tausches Stellung nehmen; Sarah Laeng-Gilliatt zu Formen eines regionalen, experimentellen Wirtschaftens, das vor allem darauf Wert legt, dass seine Akteure ihre Potentiale und Ressourcen optimal nutzen und für andere nutzbar machen können. Beide werden nicht nur Textbeiträge zu UN/FAIR TRADE liefern, sondern auch in Graz im Rahmen des Projekts anwesend sein. Ebenso wie der Weltbank-Ökonom Branko Milanovic, der heute als der Spezialist für Ungleichheit in der Weltwirtschaft gilt, oder der deutsche Sozialwissenschafter Nico Stehr, der eben ein Buch über die "Moralisierung der Märkte" veröffentlicht hat. Weitere AutorInnen sind zudem die bekannte Soziologin und Ökonomin Saskia Sassen wie auch Institutionen wie "Fair Trade" durch MitarbeiterInnen und Erfahrungsberichte präsent sein werden. Sie alle tragen dazu bei, dass ein breites "Wissenskonvolut" zum Thema UN/FAIR TRADE entsteht, dass u.a. im Netz abgerufen werden kann und dort durch die Community-Struktur der UN/FAIR TRADE Website anwachsen kann. Und nicht nur dort:

Modernste Internet-Technologie sorgt dafür, dass auch die Ausstellungsbesucher aktiv in die UN/FAIR TRADE-Site hineinarbeiten können. In Form von Newsmaps - vergl. Abbildung 1 - werden die Inhalte des Wikis (und damit auch des Katalogs) in die Räumlichkeiten der "Neuen Galerie Graz" eingespielt, wo mittels einfachst zu bedienender Kontroller die Besucher Statements und Ergänzungen zu den präsentierten Inhalten abgeben können. Tatsächlich wird so die "Neue Galerie" zum "UN/FAIR TRADE" Newsroom, der dem Thema jene Bedeutung gibt, die ihm heute zukommt.

Inmitten dieses Newsrooms unterstreicht die Kunst die Bedeutung des Themas: Ausgewählte Werke produzieren starke Bilder und Eindrücke, die Gerechtigkeitsthematik gleichsam in das Gedächtnis einschreiben. Dafür sorgen unter anderem die Arbeiten von Santiago Sierra und Dionisio Gonzalez: Santiago Sierra, der in seinen Aktionen immer wieder direkte Eingriffe in das soziale Gefüge verübt, die in ihrer Drastik dem Missstand, den sie anprangern, auch zeigen. Das Übel wird gleichsam isoliert und als performativer Akt stellvertretend für vieles, das aus der Bahn läuft, allgemeingültig. Dionisio Gonzales zeigt in seinen Videos und Fotos die Struktur von Slums auf. Von Seiten der Architektur wird dabei einerseits die Folge von globalen Ungerechtigkeiten gezeigt, aber auch die Selbstorganisation, die sich in diesen rechtlosen Zonen "verworfenen Lebens" entwickelt.

Auf diese Weise entsteht ein neues Ausstellungsformat, das sowohl Kunst- wie auch Wissenschaftsausstellung ist und vor allen durch Aktualität für Aufmerksamkeit sorgt: UN/FAIR TRADE ist ein Beitrag zur Zeit- und Gegenwartsanalyse, der jedoch nicht bei der Analyse stehen bleibt, sondern auch - mit einer neuen Bild- und Ausstellungssprache - zeigt, wie ein gerechteres Wirtschaften aussehen könnten und damit gleich in mehrfacher Hinsicht produktiv und innovativ ist.

Künstlerliste: El Anatsui (WAN), Ecke Bonk (D/AUT), Werner Büttner (D), Neil Cummings/Marysia Lewandowska (GB), Stan Douglas (CAN), Elmgreen & Dragset (DK), Ismail Farouk (ZA), Dionisio Gonzalez (E), Andreas Gursky (D), Jacqueline Hassink (NL), Romuald Hazoume (BJ), Kristian Hornsleth (DK), Kcho (C), Sebastian Lasinger (AUT), Casey McKee (USA), M+M Fernando Moleres (E), Vik Muniz (BRA), Esther Polak and team (NL), Christine S. Prantauer (A), Jan Schmelcher (D), Allan Sekula (USA), Santiago Sierra (E/MEX), Claus Staeck (D), Wolfgang Temmel (AUT), Andrew Tshabangu (ZA)

Vorträge: Branko Milanovic, 26.9.2007; Nico Stehr, 4.10.2007; Julian Nida-Rümelin, 8.11.2007

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Un/Fair Trade
Die Kunst der Gerechtigkeit
Ausstellungskuratoren: Peter Weibel, Günther Holler-Schuster
Wissenschaftlicher Kurator: Christian Eigner
Projektleitung: Christa Steinle

Arbeiten von El Anatsui, Ecke Bonk, Werner Büttner, Marysia Lewandowska & Neil Cummings, Stan Douglas, Michael Elmgreen & Ingar Dragset, Ismail Farouk, Dionisio Gonzalez, Andreas Gursky, Jacqueline Hassink, Romuald Hazoume , Kristian von Hornsleth, Kcho , Sebastian Lasinger, Casey McKee, M+M München, Fernando Moleres, Vik Muniz, Esther Polak and team, Christine S. Prantauer, Jan Schmelcher, Allan Sekula, Santiago Sierra, Klaus Staeck, Wolfgang Temmel, Andrew Tshabangu