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Die noch immer mit dem Internet assoziierten Eigenschaften, wie die Möglichkeit der freien globalen Kommunikation, Egalität und Anti-Zentralismus sowie die damit verbundenen Hoffnungen eines demokratischen Potentials, haben sich nicht erfüllt. Interaktivität, einst von Bertolt Brecht als Utopie eines emanzipatorischen Mediengebrauchs proklamiert, wurde als Diktum zum zentralen Instrument der Kontrolle. Jeder, der Informationen sendet, wird überwacht. Durch permanente Zirkulation wandern und wuchern Datensätze - teils sich selbst algorithmisch reproduzierend, teils durch die menschliche Hand, aber niemals ohne agency. Dabei hinterlassen sie ihre Spuren in der materiellen Welt und formen diese durch ihre Implikationen. Die so entstehende Vielheit an parallelen, sich in Echtzeit generierenden Historizitäten, hat längst einen Punkt erreicht, an dem sie sich von einem menschlichen Bewusstsein nicht mehr zu einem Ganzen fassen lässt. Das Internet hat die Grenzen der Welt, aus der es sich speist, überschritten. Vollständig abgebildet hat es sie dabei nie. In dem Ausstellungsprojekt „Yesterday Paradise“ setzt eine Gruppe KünstlerInnen gemeinsam der Unmöglichkeit der großen, digitalen Erzählung eine Pluralität subjektiver Geschichtsschreibung entgegen. Sie schauen zurück auf ihre Geschichten von einem Ding, das es so nicht mehr gibt: das Internet.   Hunter S. Thompson war schon aus der Zeit gefallen als er 1971 versorgt mit der wahnwitzigen Mischung sämtlicher gängigen Amphetamine, Narkotika und Psychedelika noch mal nach Vegas fuhr, um den Resten eines kalifornischen Traums nachzuspüren. Diesem juvenilen Gefühl, „der Sieg über die Kräfte des Alten und Bösen sei unausweichlich“, weil eine ganze Generation gerade „auf dem Kamm einer hohen und wunderschönen Welle“ ritt.

 „Und jetzt, weniger als fünf Jahre später, kannst du auf einen steilen Hügel in Las Vegas klettern und nach Westen blicken, und wenn du die richtigen Augen hast, dann kannst du die Hochwassermarkierung fast sehen – die Stelle, wo sich die Welle schließlich brach und zurückrollte.“

Lange war uns nicht klar, mit welcher Welle wir schwammen als Jahrzehnte später, in den beginnenden Neunzigern, berauschte Pioniere an neuen Formaten schrieben. Wir haben auch den Moment des Wellenbruchs verpasst, aber im Nachhinein wird man ihn wohl auf das Jahr 2004 datieren müssen (vielleicht auch früher, John Perry Barlow spricht von 1996, was einleuchtet). In kurzer Zeit waren die vielen utopischen Programmzeilen mit neuen Bedingungen überschrieben. Stärkere Kräfte hatten investiert. Die Welle schepperte zurück.

Anders als die von Thompson, anders als die der sechziger und siebziger Jahre, gründete die Wucht dieser Welle nicht in der Hoffnung auf die bewusstseinsverändernde Kraft von Musik, Marxismus, Sex und Drogen (das auch) – das zentrale Versprechen lieferten Nullen und Einsen. Die strukturaufweichende Energie des Digitalen war der Sturm hinter dem Wachsen einer Welle, die immer mehr Köpfe ergriff. Wie gesagt, wir nahmen sie damals weniger als solche wahr. Wir waren kleine pickelige Mitläufer, die gar nicht wussten, wie ihnen geschah, als ihr 386er sich erstmals ins Telefonnetz klinkte.

Den höchsten Wasserstand erkennt man immer erst im Nachhinein. Wahrscheinlich findet sich auch die Marke dieser Welle irgendwo im Kalifornischen, wo nun abermals ein paar Aus-der-Zeit-Gefallene mit zugekniffenen Augen durchs Silicon Valley kurven. Hier und heute hat sich die See beruhigt und es ist schwer zu sagen, ob das gut oder schlecht ist. Uns bleibt nur mehr die Wahl zwischen Verklärung und Realpolitik. 
Carsten Benger, Moritz Herda, Dominic Osterried und Steffen Zillig 

Im Rahmen der Ausstellung findet am 16. August um 16 Uhr ein Vortrag des Autors und Künstlers Stefan Heidenreich über die Entwicklung des Internets und das Ende der Medien statt.