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In der Fortsetzungsausstellung 10M29.Story.Boards wird die Galerie wieder zu eine Art Bühnen- und Erzählraum, in dem sich der Besucher als Zuhörer und Betrachter in verschiedene Welten hineinbegeben kann — so taucht er in eine persönliche Gedankenwelt ein, betritt die Privatsphä- re aus Fotos und Erinnerungstücken oder berührt den Zwischenbereich von Bewusstem und Unbewusstem. Die wahren wie erfundenen Geschichten, die uns eteam, Philipp Hamann und Daphné Keramidas erzählen, kehren immer wieder zu einem neuen Anfang zurück. In ihren Geschichten werden Erinnerungen, Assoziationen und Erfindungen miteinander verknüpft, in einzelne Zeichen auf- gelöst, abstrahiert, reinszeniert, wiedererzählt und umgeschrieben. Die Gedankenbilder bewegen sich in einem Kreislauf vom Vergangenen zum Gegenwärtigen, von Imagination zur Realität hin und her. Sie bleiben in Form von gedanklichen Skizzen fragmentarische Entwürfe. Im Kopf des Betrachters werden sie für einen Moment festgehalten, neu zusammengesetzt und wieder umge- schrieben. Der Ausstellungsraum wird so zu einem lebendigen Archiv persönlicher Wahrneh- mungs- und Erinnerungswelten.

eteam nehmen mit ihrem Audiofilm The Cruise (2012) Bezug auf die von der russischen und europäischen Weltraumbehörde durchgeführte Mission Mars-500. Am 3. Juni 2010 begaben sich sechs Männer auf eine 17-monatige Reise ins Nirgendwo, eingeschlossen in einem 180 qm großen Container auf dem Gelände des Instituts für biomedizinische Probleme in Moskau. Sie waren Teilnehmer eines Isolationsexperiments, das den mehr als 15 Millionen Kilometer weiten Flug zum Mars und zurück simulierte. Das bedeutete 520 Tage ohne natürliches Tageslicht und direk- ten Kontakt zur Außenwelt. The Cruise beschreibt eine vergleichbare Reise an Board eines Kreuzfahrtschiffs, das für acht Wochen über 76.000 Kilometer den Ozean überquert. Zu hören sind die Beobachtungen und Gedanken der dort angestellten Reinigungskraft Maja Sweeney, die den von ihr aufgewischten Staub ebenso seziert wie das sie umgebende Geschehen. Über Kopfhörer kann der Besucher ein- tauchen in einen 210-minütigen Monolog, ein von Statistiken durchzogener Bewusstseinsstrom, der von der durchschnittlichen Anzahl pro Tag transplantierter Herzen bis zur Menge der von den Passagieren konsumierten Zuckerwürfel alles behandelt, was dem informationsüberfluteten Menschen im 21. Jahrhundert begegnen und bewegen kann – stets im Blick der kontinuierlich vor- beiziehende Ozean, in dem das Schiff seine aufgewühlte Spur hinterlässt

Philipp Hamann beschäftigt sich in seiner Videoarbeit Er und Ich (2012) mit der Geschichte sei- nes 10 Jahre jüngeren Bruders und spielt dadurch mit der Selbstprojektion und Verdoppelung der eigenen Identität. Er baut sich eine persönliche Archivkiste, in der er gefundene wie umgearbei- tete und neu gestaltete Gegenstände, Fotos und Notizen sammelt. In der Videoarbeit holt er sie auf die Bühne und fügt sie im Sinne von Freuds Methode der Wiederholung und Verarbeitung in eine narrative Struktur ein. Die Fotos werden zu Spielkarten, die neu geordnet und zugeordnet werden. In seiner Installation bei M29 verräumlicht und verarbeitet Hamann diese Arbeit von Neuem. Gleich einem Tagebuch aus Bildern, Texten und Objekten setzt Hamann seine Erinne- rungen in einen neuen Verlauf. Er improvisiert und lässt die Geschichte von selbst entstehen, wobei die Erinnerungsspuren zu Kunstobjekten seiner räumlichen Installation werden. Die Identitätsfrage, wer wir sind oder was wir glauben und vorgeben zu sein, löst sich als eine Art improvisiertes Schauspiel auf, so beschreibt es Richard Powers in seinem Roman Echo der Erin- nerung. Wir spielen uns und den anderen einen geschlossenen, gradlinigen und sinnvollen Verlauf unserer Lebensgeschichte vor, den wir uns zurechtgelegt haben und den wir selbst für wahr hal- ten, auch wenn unsere Erinnerungen unzuverlässig und teilweise hinzugedichtet so wie frei erfun- den sind.

Daphné Keramidas lädt mit ihrer Videoinstallation R.e.m.II (2011) den Besucher ein, einer Geschichte zu folgen und legt dabei das Zusammenspiel von Innen und Außen, von Traum, Rea- lität und Erinnerung offen. Wie in Zeitlupe fallen die einzelnen Wörter nacheinander vom oberen Bildrand herunter und zerbrechen am Boden in einzelne ungeordnete Buchstaben. Der Betrach- ter muss mit Geduld und Konzentration Wörter zu einem Satz fügen, Bedeutung finden, das Gedachte immer wiederholen, um den Anfang nicht zu vergessen, Sinn erschließen und wieder verlieren. Wie nach dem Aufwachen aus einem Traum, heißt es, die Geschehnisse zu rekonstru- ieren, bevor das gedankliche Kartenhaus zusammenbricht. Was am Ende bleibt, ist ein chaoti- scher Haufen von Buchstaben, leere Schriftzeichen, die ohne die Erinnerung keine Relevanz haben – das angehäufte Potenzial einer verborgenen Geschichte. Mit der Bilderserie Arcadia (2012) entwirft Keramidas den alten Mythos vom irdischen Paradies neu. Die für die Collagen verwendeten Bilder sind aussortierte Reisefotografien ihres Onkels, die als Material zweiter Wahl für den Wegwurf bestimmt waren. Keramidas nimmt sich dieser unge- liebten Aufnahmen an und nutzt sie für ihre eigene utopische Forschungsreise. Das Ergebnis sind neue fantastische Orte, die die idealistische Vision von Harmonie zwischen Gesellschaft und Natur andeuten und Raum für neue Geschichten lassen.

Babette Richter

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10M29 Story Boards
eteam , Philipp Hamann, Daphne Keramidas