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Laudatio auf die Arbeit von A. K. Dolven

Der "Fred Thieler Preis für Malerei" wird am 17. März 2000 zum ersten Mal an eine Künstlerin - die in Norwegen geborene Anne Katrine Dolven - verliehen, deren künstlerische Position zwar mit Diskursen und Themen der Malerei befasst ist, sich aber dennoch nicht einzig über das Medium der Malerei artikuliert, sondern ihren Ausdruck auch maßgeblich in Videoarbeiten findet.

Die heutige Preisverleihung ist eine Gelegenheit nochmals einige spezifische Aspekte des Werks von Anne Katrine Dolven hervorzuheben. Weniger die Person Anne Katrine Dolvens als vielmehr ihre künstlerische Position ist es, die verdientermaßen ausgezeichnet wird. So absurd diese Differenzierung klingen mag, denn die Künstierin und ihr Werk sind selbstredend unweigerlich miteinander verbunden, ist das Zurücktreten des Künstlerinnensubjekts hinter die eigene Arbeit in diesem speziellen Fall fast programmatisch zu begreifen.

Anne Katrine Dolvens Malerei weist keine Signaturen auf (zumindest nicht auf der Vorderseite), die Videos enden nicht mit einem Verweis auf die Künstierin, Katalog-Cover und Einladungskarten sind konsequent mit den Initialen des Vornamen und mit dem Nachnamen versehen: A. K. Dolven.

Das Individuum, die Person Anne Katrine Dolven entzieht sich der Öffentlichkeit, an ihre Stelle tritt das gleichsam als entindividualisierte und entsexualisierte, zu einer Art Label stilisierte Künstlerinnensubjekt A. K. Dolven.

Ein immer wiederkehrendes Thema und Motiv in der Arbeit A. K. Dolvens - in der Malerei sowie den Videoinstallationen - ist das Begehren, insbesondere das nach Individualität und Körperlichkeit, wobei diese Sehnsucht durch deren Abwesenheit oder ein gebrochenes Verhältnis von Subjekt und Objekt thematisiert wird. Durch die Vielschichtigkeit von Bildebenen, deren Überlagerungen und Raumbezüge werden bewusst Widersprüche und Ambivalenzen provoziert, die das Reale, das simulierte und suggerierte Reale sowie dessen mediale Reproduktion und Repräsentation in einem ständigen Wechselspiel konstruieren und gleichzeitig in Frage stellen.

A. K. Dolvens Bilder sind nie, was sie zu sein scheinen. Sie entziehen sich hinsichtlich der medialen Qualität und der Genres immer einer eindeutigen Kategorisierbarkeit. Die Malerei führt einen Rekurs auf minimalistische Kunst, ist abstrakt-konkrete Form, die häufig zum (architektonischen) Element, quasi zum Realraum oder zu dessen Suggestion wird. Gleichzeitig funktionieren die gemalten Bilder, insbesondere im Zusammenhang mit anderen Arbeiten, nämlich solchen aus dem Videobereich, wie Einzelbilder, Stills aus einem Film, der durch die Betrachtung erst animiert werden muss. Formal-ästhetisch auf den ersten Blick als Skulpturen identifizierbare Arbeiten, erschließen sich auf den zweiten Blick als eine Art dreidimensionale Malerei, Architekturelement und (domestizierte, künstliche) Landschaft gleichermaßen.

Die Videoarbeiten basieren auf einem formal-ästhetischen Bezug zu historischer Malerei, verweisen auf ein cinematografisches Referenzsystem, sind fast Standbilder oder Ölgemälde und/oder entsprechen beispielsweise der Echtzeit-Regel des Dogma-Films der 90er Jahre. Ebenso aber reagieren sie konzeptuell auf die Praxis interaktiver Videoinstallationen der 80er Jahre.

Die Arbeiten A. K. Dolvens evozieren nicht die Kommunikation mit dem Betrachter, sondern stellen einen kommunikativen Bezug zum Raum her. Die Konstruktion des psycho-sozialen und politischen Raums wird in emblematische Bildrepräsentationen transferiert, der Betrachter wird aufgefordert sich in diesem Bezugsrahmen selbst zu positionieren. Durch den formal-ästhetisch scheinbar so explizit praktizierten Ausschluss des Betrachters wird dieser inhaltlich zum konstituierenden Subjekt. Zeichen und Bezeichnetes sind nie deckungsgleich, die Verbindung wird über das Bewusstsein der Erfahrbarkeit und der Präsenz von Körper im Kopf des Rezipienten hergestellt.

Saturday Night

(it is 5th July 1995 in Henningsvaer 68,2 (Grad) North in Norway)

Die Videoprojektion zeigt drei gleich große, in dichtem Abstand zueinander horizontal angeordnete Panoramafenster und ein kleines Stückchen eierschalenfarbene Fassade eines Holzhauses. Die Größe der Fenster und die weißen Gardinen sowie die säuberlich in der Mitte eines jeden Fensters aufgestellten Topfpflanze verweisen auf das Haus als Wohnhaus, als privater Ort. Die monochromen, fast faltenlosen Vorhänge hinter den Scheiben verhindern einerseits den Einblick in den privaten Bereich, fungieren andererseits gleichermaßen wie Screens, denn in den monitorartigen Fenstern spiegelt sich auch die Außenwelt - in diesem Fall die Silhouette einer nordischen Berglandschaft über der der fahle Nachthimmel des hohen Nordens hängt.

Das einstündige Video, in Echtzeit aufgenommen zwischen Mitternacht und ein Uhr, wird in einem vollständig verdunkelten Raum projiziert. Die akkustische Ebene der Arbeit besteht aus gedämpfter Techno-Musik aus dem Jahre 1995, die darauf verweist, dass hinter dem Vorhang eine Party im Gange ist.

Der Blick des im Dunkeln sitzenden oder stehenden Betrachters fokussiert zunächst einmal die Ebene des Landschaftsbildes, welches sich in der Form eines Triptychons, bestehend aus drei "Tafelbildern" konstituiert. Dann erschließt sich die Ebene der Zimmerpflanze, der domestizierten Natur und die Ahnung von Privatheit, die sich hinter der Fensterscheibe verbirgt. Durch die Musik evozierte Bilder von Partyszenen laufen vor dem inneren Auge ab und provozieren eine weitere, allerdings in realiter nicht existente Bildebene: tanzende, sich unterhaltende, lachende, trinkende, rauchende Menschen.

Die Überlagerungen der Sphären von öffentlichem und privatem Raum, von Natur und Domestiziertem, Akustischem und Visuellem, inszeniertem Reproduzierten und Imaginiertem bilden ein geschlossenes System, eine Einheit im Rahmen deren ein Spannungsfeld durch (und für) die Abwesenheit des Körpers und jeweilige lndividualitätssignifikanzen erzeugt wird.

Der Rezipient steht vollkommen außerhalb des Geschehens, ohne jegliche Möglichkeit der formal-ästhetischen Interaktion ist er auf sich selbst und seine Sehnsucht zurückgeworfen. Er wird zum Zeugen eines Festes, das ohne ihn stattfindet, wartet eventuell darauf, dass der Vorhang irgendwann beiseite geschoben wird, eine Person sichtbar wird, die ihn einlädt. Aber eine Stunde vergeht, ohne dass großartig etwas geschieht. Die Veränderungen und Verschiebungen innerhalb des ohnehin gedämpften, monotonen Techno-Sounds sind ebenso marginal wie die des - für Mitteleuropäer geradezu absurd hellen nordischen Nachthimmeis. Die Simulation von Dunkelheit, Intimität und deren physischer Erfahrbarkeit im Sinne eines emphatischen Erlebens findet ohnehin im Inneren des Hauses, hinter vorgezogenen Gardinen statt und ist dem Zugriff der Öffentlichkeit entzogen.

Die einzige Möglichkeit als Betrachter mit "Saturday Night" zu interagieren, wäre sich in den Projektionsstrahl zu stellen. Der eigene Körper wäre dadurch als schwarzer Schatten, der Individualität beraubt auf der Leinwand manifest, würde also ein Loch hinterlassen, nicht aber zum integralen Bestandteil werden.

"Portrait with a cigarette" (2000) bildet Gesicht, Oberkörper und Arme einer junge Frau vor einem dunklen, undefinierten, seltsam diffus beleuchteten Hintergrund in der Frontalansicht ab. Sie ist bekleidet mit einem dunklen Jackett und einer hellen Bluse. Die Frau ist förmlich bewaffnet durch diesich in ihrer linken Hand befindende Fernbedienung, in der rechten Hand hält sie eine brennende Zigarette. Was sich bis dahin dem Betrachter als klassisches Portrait in der Tradition der Ölmalerei zu präsentieren schien, entpuppt sich spätestens in diesem Moment als Videoarbeit, als bewegtes Bild.

Anders als die bisherigen Videos wird "Portrait with a cigarette" nicht über einen Projektor und eine Projektionsfläche produziert, sondern auf einem flachen, an der Wand hängenden Hi-Tech-Monitor gezeigt. Der Rahmen des in die Vertikale gekippten FlatScreens wird zum klassischen Bildrahmen und markiert deutlich den Bildraum im Verhältnis zum Realraum.

Das Gesicht der jungen Frau bleibt bei allen Bewegungen des Körpers unbewegt und verrät keinerlei emotionale Regung. Es erinnert mehr an eine Maske, obschon der Blick der Frau direkt auf den Betrachter gerichtet zu sein scheint und damit ein reziprok funktionierendes Bezugsfeld von Subjekt und Objekt suggeriert. Aber der Blick geht durch im Raum Anwesende hindurch und fokussiert die in der Diagonale des Raums plazierte Stereoanlage, aus der Drum and Bass / Garage / Music aus den Jahren 1999/2000 erklingt.

In regelmäßigen Abständen, lässt die Portraitierte die Fernbedienung mit geradezu provozierender Gleichgültigkeit förmlich aus dem Bildraum schießen um den Radiosender zu wechseln. Der Betrachter steht eigentlich immer in irgendeiner Weise im Schussfeld der Fernbedienung und hat keinerlei Einfluss auf den durch die Frau beschlossenen Musikprogrammwechsel. Wie in einem Science-Fiction-Film Menschen vom Laserstrahlen durchdrungen, aber nicht notwendigerweise verletzt werden, bleibt der Betrachter vom Vorgang, der innerhalb der Bildebene des Videos ausgelöst wird und im Realraum die Konsequenz der veränderten Musik zur Folge hat unberührt zumindest körperlich.

Die Größe des Bildes und die Bewegungsabläufe sowie -richtungen suggerieren Körperlichkeit und fassbare, erfahrbare Präsenz. Durch den Echtzeitparameter geriert sich die Portraitierte als Simulation einer realen Person, die wie in einer Parallelwelt agiert, deren Handlungen aber unweigerlich in den unmittelbaren Raum des Betrachters hineinreichen. Die virtuelle Wirklichkeit des Bildes wird zur Wirklichkeit des Rezipienten, denn niemals wird es ihm gelingen, der jungen Frau die Fernbedingung wegzunehmen um das Musikprogramm selbst wählen zu können: man beginnt, über systemimmanente Machtkonstruktionen zu grübeln.

Nach 6 Minuten 18 Sekunden, nachdem die Zigarette verglimmt ist, endet die Sequenz, die dann endlos wiederholt. Zeitabläufe und Lichtverhältnisse, die im Videobild immer bereits immanent sind, spielen auch in der Malerei von A. K. Dolven eine konstituierende Rolle. Sie geht bewusst vom Prozess der Wahrnehmung aus und evoziert diesen gleichzeitig.

Während in den Videos langsame Verschiebungen und Veränderungen des Abgebildeten durch die Bewegungen im Bild stattfinden, werden die auch nur minimalsten Veränderungen im Raum auf der Bild(ober-)fläche der Malerei manifest. Helle und sehr helle sowie matte und spiegelnde Farbflächen sind die wesentlichen Bestandteile der Bilder. Auf hellgrauem, beigem oder grünlichem Untergrund zeichnen sich geometrische oder organische Formen ab, diese sind schneeweiß und poliert. Die Formen sind Zeichen, sind Spuren, sie zeugen von Bewegung, die sich immer auch außerhalb des Bildes fortzusetzten scheint und markiert ihren Verlauf auf einem definierten Flächenausschnitt. Die Bilder werden partiell zu diffusen Spiegeln, zu Projektionsflächen, die das physische Umfeld reflektieren einerseits, diesen zum konstituierenden Bestandteil des Bildes machen andererseits. Besonders deutlich wird dies bei Arbeiten, die aus zwei identischen Bildern bestehen, wobei das eine hinter Glas montiert ist, das andere unverglast ist. Die Präsenz des Körpers des Betrachters führt zu einer Art subtilen Doppelbelichtung oder -projektion. Wobei der Körper entsprechend der unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheit des Bildes gebrochen bzw reflektiert wird. Die gemalten Bilder A. K. Dolvens sind trotz (oder gerade wegen) der so einfach wirkenden Formensprache hochkomplexe mediale Flächen, deren eigentliches Thema die Entmaterialisierung der Malerei ist. Die Videos hingegen führen einen Diskurs der Transformation von Malerei. Alle Artikulationsformen, die A. K. Dolven für ihre Arbeiten wählt, thematisieren und inkoporieren die Faktoren Licht und Zeit, insbesondere im Verhältnis zu Körper und Raum als inhaltlich sowie formal-ästhetisch konstituierende Komponenten.

A. K. Dolvens Arbeiten basieren auf vielfältigen medialen, zeitlichen, kultur- und kunsthistorische Referenzfeldern, spiegeln, verdichten und brechen sie gleichermaßen. Gesellschaftliche und historische Bezüge werden redefiniert und neu kontextualisiert.

Die Musik der Videoarbeiten bzw. Titel der Malerei verweisen auf psycho-sozial spezifisch konnotierte Popkultur jeweils aktueller Lebenszusammenhänge und werden somit kulturell und zeitlich über die Ebenen des Akustischen im Heute und Jetzt verortet. Berlin, Februar 2000 Ulrike Kremeier

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A K Dolven - Fred Thieler Preis für Malerei 2000
Ausstellung der Berlinischen Galerie im Lapidarium