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1. Kurzbeschreibung

AIRE INCONDICIONAL präsentierte aktivistische und künstlerische Medientaktiken, die aus einem “spezifisch südeuropäischen Kontext hervorgegangen sind”15. Die Ausstellung und in ihrem Umfeld stattfindende diskursive Veranstaltungen, Workshops und Demonstrationen waren entlang von vier Themensträngen gruppiert: ‘Taktische Medien’ (entlang der Fragestellung, mittels welcher mobiler Medientaktiken eine ‘Repolitisierung des öffentlichen Raumes’ erreicht werden könnte), ‘Virtualisierung von Grenzen’ (Förderung des Entstehens von community-basierten und migrantischen e-Strategien durch Anregung des Diskurses über die Virtualisierung von politischen und kulturellen Grenzen), ‘Migration und Grenzpolitik’ (über Möglichkeiten, die sich aus den neuen Technologien für die soziale und kulturelle Repräsentation von Migrant/innen und Minderheiten in Südeuropa ergeben), ‘Freie Wissens- und Informationskultur’ (über verschiedene Alternativen zu Copyright und durch sie ermöglichte Distributionsstrukturen).

Vertreten waren Projekte von Künstler/innen und Gruppen primär aus Spanien, aber auch aus Italien, Portugal und Frankreich. Teile der Ausstellung waren mobil und wurden zusätzlich zur Hauptausstellung in der Shedhalle Zürich auch in Lugano, Genf (Espace Forde16) und Basel (plug.in17) gezeigt.

Künstler/innen: Hackitectura / Al-jwarizmi (Spanien/Marokko), El Perro (Spanien), Jordi Mitjà (Spanien), Platoniq.net (Spanien), Alku (Spanien), AAA. Corp (Frankreich), 0100101110101101.org (Italien), Frontera Sur RVVT [Helena Maleno, Alex Muñoz, Ursula Biemann, Angela Sanders, Valeriano López and Regula Burri] (Spanien/Schweiz), Enrique Radigales (Spanien), Jaromil (Italien), Rotor [Laia Sadurni, Vahida Ramujkic, Ana Serrano und Marcello Arosio] (Spanien), Zé dos bois (Portugal), Sitesize.net (Spanien)

2. Evaluation politischer Ansatz Der politische Ansatz liegt in der Verknüpfung dreier Aspekte: 1) der Bündelung verschiedener Projekte, die sich primär mit Fragen von Migration und Grenzregime auseinandersetzen, 2) ein Ausstellungskonzept, das auf dem Ansatz von Copyleft basiert, 3) die Zielsetzung, durch das Projekt Möglichkeiten für eine aktive Vernetzung sowohl zwischen den präsentierten Projekten/Gruppen als auch zwischen diesen und der Schweizer (bzw. im weiteren Sinn ‘nordeuropäischen’) Szene zu schaffen.

Partizipation Partizipative Ansätze sind einerseits durch die Workshops gegeben, die teils praktisch orientiert sind (streaming media) und teils ‘symbolisch’/‘erkenntnisorientiert’ (Bau von ‘Pateras’, also Booten, die zur illegalen Durchquerung der Straße von Gibraltar benutzt werden18). In der Ausstellung finden sich partizipative Elemente im Sinne einer aktiven ‘Rezeption’, primär im Zusammenhang mit dem Ansatz ‘Freie Wissens- und Informationskultur’. Hier wurden einerseits inhaltliche Projekte zu Alternativen zum Copyright präsentiert, und gleichzeitig eine “offene Informations- und Distributionskultur dem Format der Ausstellung direkt eingeschrieben”19: Die Inhalte verstehen sich als Angebot zum Copy-Paste. Es wurde eine eigene Copyleft-License20 erarbeitet und die Besucher/innen eingeladen, Kopien herzustellen oder zu entnehmen:

Arbeiten wurden auf Klettverschlussbändern angebracht, sodass leicht Kopien entnommen bzw. die Arbeiten abgenommen, kopiert und wieder aufgehängt werden konnten. Auf einem Computer contén Dateien (etwa auch Filme von Platoniq.net) auf CD gebrannt, Bilder ausgedruckt werden etc. Es wurde auch ein ‘Poncho’ entworfen - er “hatte viele aufgenähte Taschen, die man sich mit den beim Anschauen der Ausstellung gesammelten Dingen füllen konnte. Die Idee für den Poncho ist angelehnt an die Decken, auf welchen die illegalen Einwanderer in Spanien ihre Raub-CDs und andere Waren am Strand anbieten und sollte nochmals dieses Nomadische, Mobile der Ausstellung betonen. Diese Decke als eine Ikone des Raubgeschäftes haben wir in AIRE INCONDICIONAL sozusagen als Katalog zur Ausstellung verkauft. Die Besucher/innen mussten den ‘Katalog’ aber selber füllen.”21

Publikums-Konzept, Öffentlichkeitsbegriffe Das Projekt wendet sich einerseits im Sinne des Vernetzungsziels an ein selbst in den Bereichen digitale Medien und Migrationspolitik aktives, zum Teil aktivistisches ‘Publikum’; im weiteren Sinn an ein bereits sowohl politisch interessiertes als auch grundsätzlich mit Fragestellungen von ‘tactical media’ vertrautes Publikum, dem es Zugänge zu ‘südeuropäischen’ Ansätzen und Projekten eröffnet. Dem entsprechen die Ausstellungsorte Shedhalle, Espace Forde und plug.in, sowie der Squat in der Züricher Rüdigerstraße, in dem ein Teil der Workshops und Veranstaltungen stattfand.22

Stärkung/Entwicklung des Bereichs Eine Stärkung/Entwicklung des Bereichs ist vor allem durch die auf mehreren Ebenen anvisierte Vernetzung zu sehen, wobei in Bezug auf südeuropäische ‘Szenen’ auch der Aspekt der Selbstverständigung und Selbstreflexion relevant erscheint. Eine Stärkung des Bereichs ist darüber hinaus in der Erhöhung des Bekanntheitsgrades der einzelnen Gruppen / Künstler/innen und vor allem in Bezug auf Spanien im Sichtbarmachen einer (auch außerhalb von Barcelona23) über einzelne Initiativen hinausgehenden künst- lerisch-politischen, migrantische Themen fokussierenden ‘Szene’ zu sehen.

Innovation / Modellhaftigkeit Innovation und Ansätze von Modellhaftigkeit sind zum einen auf der Ebene des Ausstellungsformats zu erkennen. Die Ausstellung folgt grundsätzlich - mit dialogischen und partizipativen Elementen, Demonstrationen, einem mobilen Ausstellungsteil, den Künstler/innen, die die kleine Tour durch Schweizer Städte begleiten und dem Ziel “to bring activism directly to the people and facilitate local discussions on topicsof worldwide interest”24 - einem zeitgemäßen flexiblen Format. Als innovatives Element erscheint dabei die Kombination mit dem Copyleft-Ansatz, sowohl auf inhaltlich-politischer Ebene als auch bezüglich konkreter praktischer Lösungen, wie etwa der erwähnten Hängung der Arbeiten auf Klettverschlussbändern, was sowohl die Kopierbarkeit der einzelnen Arbeiten als auch eine hohe Mobilität ganzer Ausstellungsteile ermöglicht.Innovation ist zum anderen auf thematischer Ebene gegeben durch das Herausarbeiten von Medientaktiken, die aus “einem spezifisch südeuropäischen Kontext hervorgegangen sind”25. Hier ist zwar grundsätzlich die Definition dieses ‘spezifischen Kontextes’ auch kritisch zu betrachten und die Gefahr der Festschreibung einer als einheitlich identifizierten Region zu problematisieren, wenn etwa im Projektkonzeptder “Hintergrund der südeuropäischen Geschichte und Kultur”26 angesprochen wird. Derartig totalisierend-schließende Elemente sind allerdings in der konkreten Realisierung des Projekts nicht zu erkennen.

Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist primär auf drei Ebenen gegeben: 1) durch die Vernetzung, 2) durch den mit der Erhöhung des Bekanntheitsgrades auch erweiterten Benutzer/innenkreis von in der Ausstellung präsentierten Tools (primär der freien Software) und der speziell für die Ausstellung erarbeiteten Copyleft- License, mit der über die bestehenden englischsprachigen hinaus eine leicht verständliche Lizenz in anderen Sprachen (realisiert in Spanisch und Deutsch) erarbeitet werden sollte - die dann sehr schnell, vor allem in Lateinamerika, Anklang fand27, 3) durch die kontinuierliche Weiterarbeit am innovativen Ausstellungsformat durch die Kurator/innen Susana Noguero und Olivier Schulbaum bzw. die Gruppe Platoniq.net, etwa im Projekt SUBKULTOURIST28. hinausreicht.

24 Evaluationsreview von Nicole Emmenegger, im vorliegenden Band, S. 195 25 Projektkonzept, a.a.O. 26 Projektkonzept, a.a.O. 27 Interview mit Susana Noguero und Olivier Schulbaum, geführt von Kora Rot; im vorliegenden Band, S. 137 28 Interview mit Susana Noguero und Olivier Schulbaum, geführt von Kora Rot; im vorliegenden Band, S. 138

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AIRE INCONDICIONAL
Das Auftauchen von community-basierten und migrantischen e-Strategien in Südeuropa (Q.E.D.)
Kuratoren: Susana Noguero, Olivier Schulbaum

Künstler: Hackitectura  / Al-jwarizmi, El Perro, Jordi Mitja, Platoniq.net, Alku , AAA. Corp, 0100101110101101.org , Frontera Sur RVVT (Helena Maleno, Alex Munoz, Ursula Biemann, Angela Sanders, Valeriano Lopez, Regula Burri), Enrique Radigales, Jaromil , Rotorrr  (Laia Sadurni, Vahida Ramujkic, Ana Serrano, Marcello Arosio), Ze dos bois , Sitesize.net