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In den vergangenen hundert Jahren hat kein anderes Verkehrsmittel eine dem Flugzeug vergleichbare Entwicklung vollzogen. Innerhalb von nur acht Jahrzehnten - seit den ersten regelmässigen Linienflügen im Jahr 1919 - wandelte sich das Fliegen vom abenteuerlichen, exklusiven Vergnügen einiger weniger zum beinahe alltäglichen, massenhaften Phänomen der Fortbewegung. In dieser Zeit hat die zivile Luftfahrt nicht nur ihre eigenen technischen Standards geschaffen, sondern auch ihre eigene Ästhetik hervorgebracht: mit Flugzeuginterieurs, Flughafenarchitektur, dem Corporate Design der Airlines, den Uniformen der Flugbegleiterinnen bis hin zum Bordgeschirr. Dieser "Airworld", wie sie Passagieren während ihrer Flugreise begegnet, widmet sich die Ausstellung des Vitra Design Museums aus design- und architekturhistorischer Perspektive. Frei nach Andy Warhols Credo: "Airplanes and Airports have my favourite kind of food service, my favourite kinds of entertainment, my favourite graphics and colors, the best security checks, the best views, the best employees and the best optimism." (The Philosophy of Andy Warhol, 1977)

In der Pionierzeit der Luftfahrt ähnelten die Interieurs der Passagiermaschinen häufig noch denen anderer Verkehrsmittel wie Schiff und Bahn oder bemühten sich gar, wie etwa beim Flugboot Dornier Do X, um heimelige Wohnzimmeratmosphäre. Infolge des technischen Fortschritts, zunehmender Professionalisierung und des raschen Wachstums des internationalen Luftverkehrs bildeten die Passagierkabinen der Flugzeuge jedoch zunehmend ihre eigenen Ausstattungsmerkmale heraus. Eine Entwicklung, an der namhafte Industriedesigner, wie Norman Bel Geddes, Henry Dreyfuss, Walter Dorwin Teague oder Raymond Loewy, massgeblich beteiligt waren. Ihre Arbeit für Flugzeughersteller und Airlines dokumentiert die Ausstellung mit mehr als einem Dutzend Modellen der wichtigsten Verkehrsmaschinen, hunderten von Archivfotos und historischem Filmmaterial. Der Bogen spannt sich von Norman Bel Geddes' visionärem Airliner N° 4 (1929) - einem riesigen Flugboot mit eigenem Konzertsaal, Tennisplätzen und Solarium - über die Junkers Ju-52, die Douglas DC-3, die Boeing B-377 Stratocruiser, den Jumbo und die Concorde bis zur aktuellen Studie eines so genannten Blended Wing Body (2003), in dessen Rumpf und Flügeln fast 1000 Passagiere Platz finden sollen. Originalflugzeugsitze aus der museumseigenen Sammlung zeigen, wie sich in der Geschichte der Luftfahrt auch der Komfort für die Passagiere gewandelt hat: von den Korbstühlen in der Ford Tri-Motor, über Sitze aus Aluminium- und Magnesiumrohr, erste mit Schaumstoff gepolsterte und kunststoffverschalte Sitze bis zu den heutigen High-Tech-Sitzen für die Passagiere der ersten Klasse.

Der Beginn des Jet-Zeitalters um 1960 war nicht nur technisch und ökonomisch, sondern auch hinsichtlich des Designs von einschneidender Bedeutung: Für die Passagierkabine der Boeing 707 schuf Teague in Zusammenarbeit mit dem Hersteller Designstandards wie die Passagierversorgungsmodule mit integriertem Licht und Frischluftdüse, die zum Teil noch heute Gültigkeit haben. Zudem weckten die Ankunft der ersten Jets und die damit verbundene Ausweitung der Streckennetze bei vielen Airlines den Wunsch, sich erstmals ein umfassendes Corporate Design zuzulegen. Damit gehörten sie zu den ersten Unternehmen überhaupt, die sich von bekannten Designern und Grafikern einen einheitlichen optischen Auftritt verpassen liessen: So entwarfen Otl Aicher und die Entwicklungsgruppe 5 der HfG Ulm 1962 das klare und sachliche Erscheinungsbild der Lufthansa, FHK Henrion gab im gleichen Jahr KLM einen "New Look" und der amerikanische Designer Alexander Girard kreierte 1965 das extravagante Corporate Design von Braniff International. Die teilweise noch aus den Anfängen der Verkehrsfliegerei stammenden Bildmarken der internationalen Airlines sind heute weltbekannt, kaum jemand kennt jedoch die Architekten, Designer und Grafiker, von denen diese Logos stammen, sei es der Lufthansa-Kranich (Otto Firle, 1919), der Swissair-Pfeil (Rudolf Bircher, 1952) oder der Pan-Am-Globus (Charles Forberg und Edward L. Barnes, 1955). Bis heute nehmen Fluggesellschaften die Dienste bekannter Designer in Anspruch, wenn es darum geht, ihr Erscheinungsbild zeitgemäß zu gestalten. So beauftragten Swiss International Airlines Tyler Brûlé damit (2001) und SAS kooperierten mit Stockholm Design Lab (1998).

Neben den Flugzeuginterieurs und der Grafik sind die Uniformen der Stewardessen ein wichtiger Bestandteil der externen Kommunikation der Fluggesellschaften. Trugen die Flugbegleiterinnen in den 1930er und 1940er Jahren meist militärisch anmutende Modelle oder weiße Kleidung - schließlich waren sie damals meist ausgebildete Krankenschwestern -, wurden sie in den 1960er und 1970er Jahren häufig von namhaften Modehäusern eingekleidet: Emilio Pucci entwarf die Uniformen für Braniff International, Dior für SAS, Balenciaga für Air France und Valentino und Ralph Lauren für TWA. Ihre aussergewöhnlichen Kreationen hatten oft kaum mehr etwas mit einer Uniform gemein. Auch wenn die heutigen Modelle wieder sachlicher und konservativer ausfallen, sind die Flugbegleiterinnen die wichtigsten Werbeträger der Fluggesellschaften geblieben.

Zu ihren Hauptaufgaben gehört die Bordverpflegung. Die Entwicklung des dafür nötigen Bordgeschirrs stellt für Industriedesigner eine besondere Herausforderung dar. Denn exemplarisch zeigt sich daran die Schwierigkeit jeglichen Gestaltens für den eng begrenzten Raum der Flugzeugkabine, wo jeder Millimeter und jedes Gramm Gewicht zählen. Zwischen Plastik für die Economy Class und Porzellan für die First Class zeigt die Ausstellung unter anderem alle Bordservice der Lufthansa von 1955 bis heute, darunter Entwürfe von Wilhelm Wagenfeld (1955), Nick Roericht (1962) und Wolf Karnagel (1984).

"Schneller, höher, weiter" lautete das Motto im rasanten Wettstreit der Airlines und Flugzeughersteller, die bis in die 1970er Jahre hinein in kurzer Folge immer leistungsfähigere und grössere Verkehrsflugzeuge auf den Markt brachten. Mit dieser Entwicklung konnte der Flughafenbau oft nicht Schritt halten. Dennoch vermag gute Flughafenarchitektur als Anfangs- und Endpunkt einer jeden Flugreise den besonderen Reiz des Fliegens zu vermitteln oder gar zu erhöhen. Zu den herausragenden Flughafenbauten, denen dies gelingt, gehören Eero Saarinens organisch aus Gussbeton geformtes TWA-Terminal am JFK Airport New York (1956-1962) ebenso wie sein John Foster Dulles Airport vor den Toren Washingtons, D.C., (1958-1962). Die Ausstellung zeigt diese und andere architektonische Meisterleistungen des Flughafenbaus, wie etwa Paul Andreus Pariser Charles de Gaulle Roissy (1967-2003), anhand von Architekturmodellen, Plänen und Skizzen. Die ausgewählten Projekte repräsentieren zugleich die verschiedenen Basistypen von Flughäfen, die entwickelt wurden, um die komplexen logistischen Anforderungen zu erfüllen und den reibungslosen Fluss aller Passagier-, Gepäck- und Frachtströme zu garantieren. Transparenz und schnelle Orientierungsmöglichkeiten, wie sie etwa auch Norman Fosters Flughafen Stansted (1991) verkörpert, sind daher ein Hauptkriterium für gelungenes Flughafen-Design.

"Airworld - Design und Architektur der Flugreise" feiert die Ästhetik des Goldenen Zeitalters der Luftfahrt, als dieser noch der Reiz des Aussergewöhnlichen anhaftete. Die Ausstellung präsentiert aber auch überzeugende und visionäre Projekte der Gegenwart. Der ca. 250 Seiten starke Katalog in deutscher und englischer Ausgabe hat mehr als 400 Abbildungen und - er passt ins Handgepäck. Die neun Aufsätze widmen sich unter anderem der Geschichte des Flugzeugkabinendesigns, dem Corporate Design der Airlines, der Uniformenmode, der Grafik der Luftverkehrsplakate sowie der bedeutenden Rolle, die die Luftfahrt als Leitbild für Architektur, Design und Kunst bis heute spielt. Begleitend zur Ausstellung organisiert das Vitra Design Museum im Rahmen seiner Sommerakademie in Frankreich vom 29. August bis 4. September 2004 einen Workshop unter der Leitung von Marc Velten, Manager Advanced Design bei EADS. Dort dürfen sich die Teilnehmer der Herausforderung der "Kabinengestaltung von Passagierflugzeugen" stellen. Pressetext

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Airworld - Design und Architektur für die Luftreise