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April 27 – August 27, 2022

AKRAM ZAATARI
three snapshots and a long exposure

Galerie Sfeir-Semler freut sich, die Einweihung ihrer neuen Räumlichkeiten im Erdgeschoss mit einer Einzelausstellung des libanesischen Künstlers Akram Zaatari zu begehen.

Zaataris künstlerisches Werk bedient sich individueller und kollektiver Erinnerungen als wichtigste Quelle für Erforschung und Niederschrift der Geschichte. Dokumentiert in Tagebüchern und allen voran in Fotografien, hinterfragen die jüngsten Arbeiten des Künstlers das Medium und seine Funktion beim Erschaffen anderer künstlerischer Gegenstände. Migration einzelner fotografischer Elemente, ihr gelegentliches Zurückziehen und Wiederauftauchen, ihre gegenseitige Beeinflussung und Rekonstruktion sind die Prozesse, aus denen er Werke entstehen lässt.

Die im ersten Stock der Galerie ausgestellte, titelgebende Serie three snapshots and a long exposure, 2022, konzentriert sich auf die Ikonographie der Stadt Beirut nach dem Bürgerkrieg.
Angestoßen durch den Auftrag eines Buchprojekts von seinem damaligen Professor für Stadtplanung und Design der American University of Beirut, Robert Saliba, die Mitte der 1990er Jahre ausgelöste Debatte um den Wiederaufbau des Stadtzentrums festzuhalten, begann Zaatari das Zentrum selbst zu dokumentieren. Die mit einer 4x5-Fachkamera aufgenommenen Bilder wurden nie benutzt, bis Zaatari sie fast fünfundzwanzig Jahre später wieder aufgreift. Die großformatigen Aufnahmen, die keinen inhaltlichen Fokus aufweisen, könnten eine Atmosphäre der Spekulation, der beginnenden Gentrifizierung und des urbanen Wandels eingefangen haben, die damals noch in den Vierteln beidseitig der grünen Linie vorhanden war.

Dieselben Motive tauchen erneut in viel kleinerem Format in Beirut Darkroom Logbook, 2022, auf, einer Serie von Abzügen, welche die Seiten eines Notizbuchs wiedergeben. Mit Anmerkungen zu den Prozessen in der Dunkelkammer, wie Belichtungszeiten und Entwicklung, aber auch Namen von Orten, Ausrichtungen, Immobilienwerten, Farben und Auflösung, versucht der Künstler die Methodik seiner Vorgehensweise anzudeuten. Dabei rückt die Abwesenheit der Menschen auf den abgebildeten Fotografien in Vordergrund, ein Thema, welches der Künstler in den ausgestellten Büchern und darüber hinaus in der Fotografie von Cinema-Rivoli in Beirut weiter erforscht. Es stellt sich die Frage nach der historischen Bedeutung der Aufnahmen ohne ihre aktiven Akteure.

Während die neuen Arbeiten in der Ausstellung die formalen Charakteristika der Fotografie als Ausgangspunkt nehmen, veranschaulichen die Arbeiten aus der Serie The Fold, 2018, die von dem Künstler etablierte Methode zur Interpretation fotografischer Werke. Jede Arbeit scheint für ein Phänomen zu stehen, welches die Deutung des Bildes unterstützt. Allein die an die Wand projizierte Abbildung einer nackten Frau unterbricht das Narrativ. Anscheinend in den 1930er Jahren in Beirut von Kamal Haddad aufgenommen, sollte dieses Foto dem Künstler als Vorlage für ein Gemälde dienen. Angesichts der sozialen Zwänge im Libanon zu jener Zeit war es wahrscheinlich nie als Fotografie gedacht. Auf transparentem Papier gedruckt, scheint sie ein Zwischenschritt im künstlerischen Prozess zu sein, und kein eigenständiges Werk.

Der Rundgang im ersten Stock endet mit der Arbeit Un-dividing History, 2017, welche die Fotografien von Khalil Raad und Yaakov Ben Dov zu einem einzigen Objekt verschmelzen lässt: Fotos, von zwei Fotografen die dieselbe Stadt, Jerusalem, teilten, sich aber in völlig unterschiedlichen Universen bewegten, dem arabischen und dem zionistischen.

Im Erdgeschoß der Galerie versammelt die Ausstellung mehrere Arbeiten, die sich mit der archäologischen Geste des Ausgrabens auf der Suche nach Funden auseinandersetzen und der Aufregung, die mit ihrer ersten Betrachtung einhergeht. Archeology, 2017, besteht aus einer großen Glasplatte, welche die Replik einer kleinen fotografischen Glasplatte darstellen soll. Das Negativ, ursprünglich von Antranick Anouchian belichtet, zeigt einen nackt posierenden Athleten, dem jedoch wichtige Teile fehlen. Die Replik wurde weit über ihre ursprünglichen Maße hinaus vergrößert, um Zaataris Begeisterung bei der ersten Begegnung mit der Platte zu entsprechen.

Der Tabnit-Monolith, 2022, der an einem mobilen Kran hängt, ist die Nachbildung eines riesigen monolithischen Felsblocks, der das Grab von König Tabnit fast 1900 Jahre lang versiegelte, bevor es bei seiner Ausgrabung 1887 vollständig zerstört wurde. König Tabnit war ein phönizischer König, der im 6. Jahrhundert v. Chr. in Saida regierte. Die Entdeckung seiner Mumie zusammen mit 19 Sarkophagen in der sogenannten Nekropole von Sidon war eine der frühesten Errungenschaften der osmanischen Archäologie unter der Leitung von Osman Hamdi Bey.

An Extraordinary Event, 2018, beruhen auf Hamdi Beys Fotografien dieser Funde, die unmittelbar nach ihrer Ausgrabung im Zitronenhain gezeigt wurden, wobei Arbeiter und Ausgräber oft im Hintergrund standen. Zaatari löscht ihr zentrales Objekt aus, um den Ort und die Menschen hervorzuheben, die im Hintergrund erscheinen.

An der gegenüberliegenden Wand sind kleine, mit Portraits versehenen Gipsobjekten komponiert. Unter dem Titel Footnotes to Hashem el Madani's Studio Practices, 2018 stellen sie Elemente einer ortsspezifischen Ausstellung dar und waren ursprünglich direkt an den Wänden im New Art Exchange, Nottingham, installiert. Hier ergänzen sie thematisch den Raum als freistehende archäologische Objekte.

Photographic Currency, 2019, die im Fenster des neuen Erdgeschosses der Galerie zu sehen ist, basiert auf Bildern traditioneller Steppdecken aus Saida im Südlibanon, die Zaatari im Archiv des Fotografen Hashem el Madani entdeckte hat. Diese Fotos wurden in den 1950er Jahren aufgenommen und dienten den Deckenmacher*innen als loser Katalog, der es ihnen ermöglichte, Aufzeichnungen über Designs und Stichmuster zu führen, um sie potenziellen Kunden zu zeigen.

Angrenzend werden mehr als 40 Arbeiten der Serie Against Photography, 2017 präsentiert, in welchen die fortschrittliche 3D-Aufnahmetechniken auf traditionelle Pressmethoden treffen. Während die neusten Technologien in der Lage sind die Reliefs alternder Negative nachzuzeichnen, wird die Oberfläche verfallener Negative, ohne die darauf befindlichen Bilder zu offenbaren, mit den althergebrachten Methoden sichtbar.

Die Ausstellung three snapshots and a long exposure ist somit eine visuelle Darstellung Zaataris erweiterter Definition von Fotografie, ihrer Fluidität, der Verschmelzung von Medien und Formen, den Auslassungen und Kurzschlüssen, die beim Lesen widersprüchlicher und doch gemeinsamer Geschichten entscheidend bleiben.