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Alex Wissel
Land der Ideen
Aug 17 – Dec 5,2020

Das Foto der Einladungskarte zur Ausstellung Land der Ideen zeigt ein Motiv der aktuellen Imagekampagne von Kärcher. Unter dem Begriff ‚Kultursponsoring‘ wirbt das Unternehmen aus Baden-Württemberg auf seiner Webseite mit der kostenlosen Reinigung des weltgrößten Bismarckdenkmals und weiterer historischer Monumente wie der Porta Westfalica, Mount Rushmore oder der Memnonkolosse.

Das Denkmal in Hamburg zeigt den alten Reichskanzler in einer mittelalterlich anmutenden Fantasie-Ritterrüstung als einsamen Roland gestützt auf ein mächtiges Schwert. Er bewacht die Neustadt oberhalb der Landungsbrücken, flankiert von zwei Adlern, die sich an ihn schmiegen. Martin Haller, einflussreicher Hamburger Architekt und Komiteemitglied des im Jahr 1901 ausgelobten Wettbewerbs zur Errichtung des Denkmals, sah in den Adlern Symbolfiguren für die Klugheit und Wachsamkeit des als Strategen verehrten Politikers.* Zu dessen Füßen sind muskulöse junge Männerkörper in heroischer Nacktheit dargestellt. Sie tragen Schild und Schwert und repräsentieren die germanischen Stämme, was die nationalistische Konnotation des Granitdenkmals untermauert.

Nach der Sanierung wird ein Fachgremium darüber beraten, wie ein zeitgemäßer öffentlicher Umgang mit dem Denkmal aussehen kann. Ob dabei auch die Hakenkreuz-Wandmalereien im Innenraum des Monumentalbaus, der im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker genutzt wurde, für Besucher zugänglich gemacht werden, stand zum Zeitpunkt, als dieser Text verfasst wurde, noch nicht fest. Das rätselhafte Bildprogramm der Ausmalungen trägt erkennbar völkisch-kultische Züge und konnte bis heute nicht vollständig entschlüsselt werden.

Von Anfang an hatte die Stadt Hamburg ein ambivalentes Verhältnis zum Denkmal. Seine Rezeptionsgeschichte lässt Rückschlüsse auf den kulturellen Wandel des öffentlichen gesellschaftlichen Diskurses zu: Von der Projektionsfläche nationalistisch motivierter Überhöhung bis zur heutigen Aneignung durch die neuen Rechten wurde das Bismarckdenkmal immer wieder zum Gegenstand aktueller Geltungsansprüche.

Im Juni dieses Jahres wurde die kleinere Bismarck-Statue in Hamburg-Altona mit einem roten Farbbeutel beworfen. Die ikonoklastische Motivation für diese Handlung kann im Zusammenhang mit der Rolle Bismarcks als Initiator und Leiter der Kongokonferenz verstanden werden. Auf der Konferenz war zwischen 1884 und 1885 die Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Großmächten beschlossen worden, die bekanntlich den Weg für eine unermessliche, von ökonomischen Interessen angetriebene Barbarei bereitet hatte. In welchem Ausmaß die Ausbeutung kolonisierter Länder auch in Deutschland zur Bildung von Vermögen führte, wurde lange Zeit kaum berücksichtigt, wie die neuere historische Aufarbeitung aufzeigt.

Die Bismarckverehrung der Deutschen hielt sich ungeachtet verschiedener kritischer Auseinandersetzungen in der Geschichte konstant – keiner anderen Persönlichkeit, keinem Dichter oder Denker sind je mehr Denkmäler gewidmet worden. Tausende Straßen, Plätze, Apotheken und Hotels, ganze Stadteile, Schiffe und sogar Städte sind nach ihm benannt. Hitler hatte in seinem Büro in der Reichskanzlei ein Bismarck-Porträt von Franz von Lenbach und bis heute sind die Gurken, Äpfel, Zigarren, Bäume, Schnäpse und nicht zuletzt die berühmten Heringe beliebte Dauerbrenner der Konsumgüterindustrie.

Die ursprüngliche Bedeutung des Hamburger Bismarckdenkmals war in die Zukunft gerichtet – eine für Deutschland und für Hamburg durch Wirtschaftswachstum, imperiale Ansprüche und kulturelles Überlegenheitspathos besiegelte große Zukunft. Dann änderte sich nach Ende des Ersten Weltkriegs der Ton.

Einerseits verlor das Denkmal seine Bedeutung als integratives Symbol und wurde überwiegend als unpolitisches Stadtwahrzeichen gesehen. Gleichzeitig erfuhren die hier regelmäßig von deutschnationalen Burschenschaften organisierten so genannten Bismarckfeiern immer mehr Zuspruch aus revisionistischen, nationalkonservativen Kreisen. Inszenierungen, in denen man die Zeit vor dem Weltkrieg hochleben ließ, verklärten die Regierungszeit Bismarcks und auch die deutsche Kolonialherrschaft und bedienten dabei rassistische Ressentiments. In den 1910er und 1920er Jahren waren diese teilweise hochaufwändigen Feiern sehr populär. Der religiös-kultische Charakter der Inszenierungen verfolgte in einer von politischen und sozialen Spannungen geprägten Gegenwart auch den Zweck, bürgerliche Entfremdungsängste zu kompensieren. 1898 schon hatten sich Vertreter der deutschen Studentenschaften im Haus der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg versammelt, um den Denkmal-Aufruf für die so genannten Bismarcktürme vorzubereiten. Die Feuersäulen und -schalen dieser Türme sollten jedes Jahr zum Geburtstag Bismarcks am 1. April lodernd brennen und das ganze Reich in einen wohligen Flammenteppich verwandeln. Von den 240 dokumentierten Bismarcktürmen stehen auf dem heutigen Gebiet von Deutschland, Frankreich, Tschechien, Polen, Russland, Österreich, Kamerun, Tansania und Chile noch 173 Bauwerke und sie sind nach wie vor beliebte Tourismusziele.

Vorläufiger Höhepunkt der Bismarckgedenkfeiern war die Feier von 1925. Das Fest sollte – übrigens acht Jahre vor der sogenannten Machtergreifung der NSDAP – eine Zeit neuer deutscher Größe einläuten. Die Bismarckjugend traf sich in Hamburg und marschierte zusammen mit verschiedenen rechten Gruppierungen unter schwarz-weiß-roten Fahnen und mit Fackeln zum Denkmal, das mit bengalischen Flammen rot illuminiert war. Diese Inszenierungen bereiteten den Weg für die ideologische Mobilisierungsfunktion, die speziell das Hamburger Denkmal in seiner Gestalt des Roland durch die bildpolitischen Strategien des Nationalsozialismus erhielt.

Björn Höcke hat am selben Tag Geburtstag wie Bismarck. Die AfD, die den ersten Reichskanzler zu ihrem Säulenheiligen auserkoren hat, lässt diese Terminübereinstimmung nicht ungenutzt; jedes Jahr werden Bismarckorden an besonders verdienstvolle Mitglieder feierlich verliehen und auch die Junge Alternative wirbt mit Stickern, auf denen ein schneidiger Bismarck in Paradeuniform grimmig nach rechts schaut und im Hintergrund ein fetziges Deutschlandgraffiti mit dem Slogan Heimat, Volk, Tradition für die berühmte ‚erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‘ wirbt, die Höcke auf seiner Dresdner Rede 2018 gefordert hatte. Auch unter den sogenannten ‚Reichsbürgern‘ ist Bismarck hoch angesehen. Die Zeit zwischen 1871 und 1914 wird speziell in dieser Szene als Blütezeit und kultureller Höhepunkt deutscher Geschichte verherrlicht. Das manifestiert sich auch in der Ablehnung des Grundgesetzes und der Verschwörungstheorie der ‚BRD GmbH‘, laut der die Bundesrepublik in Wahrheit eine Firma ist, die nach dem 2. Weltkrieg von den Alliierten gegründet wurde. Aktuell sammeln sich diese Gruppierungen in der sogenannten Querfront, die im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Anti-Corona-Maßnahmen große mediale Aufmerksamkeit erfahren hat.

Doch wie kam es eigentlich zur neu entfachten nationalen Enthemmung – wie und wann hat sich kulturell angedeutet, was im Jahr 2020 zum erneuten Einvernehmen zwischen rechtsradikalen Gruppierungen wie der Jungen Alternative, den ‚Reichsbürgern‘, der Querfront und der Figur Bismarck führt?

Was ist das Land der Ideen?

Die Ausstellung fragt nach Verbindungslinien zwischen einer auch in bürgerlichen Kreisen zunehmenden Empfänglichkeit für Identitätspolitik und der vermeintlich harmlosen, überwiegend medial geprägten Rückbesinnung auf identitätsstiftende nationale Unterhaltungskultur – und findet eine mögliche Antwort in den 90er Jahren.

Über einen Zusammenhang zwischen politischen Strategien des nation building wie dem Bismarckdenkmal und aktuellen Bildkulturen des nation branding lässt sich am Beispiel von Guido Knopps History Channel im Zweiten Deutschen Fernsehen diskutieren. Knopp war einer der ersten, der die Stimmung nationaler Begeisterung nach der Wende und dem WM-Sieg 1990 aufgriff und Geschichte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in gezielt emotional aufgeladenen Formaten quotenorientiert aufbereitete. Aus Titeln wie Hitlers Helfer, Hitlers Helfer II, Hitlers Krieger, Hitlers Kinder, Hitlers Frauen und Hitlers Manager spricht eine unverhohlene Faszination für den wohligen Grusel der Nazizeit, ebenso aus der dramatisierenden musikalischen Untermalung und der bedeutungsschweren Erzählerstimme dieser Produktionen.

In den Nullerjahren griff Nico Hofmann, der jetzige Chef der Ufa Productions, diese Strategien der Emotionalisierung auf – Filme wie Dresden, Unsere Mütter, unsere Väter und Die Flucht rückten das Leid der deutschen Bevölkerung im 2. Weltkrieg in den Mittelpunkt der Erzählung.

Nachdem feststand, dass Deutschland die WM 2006 im eigenen Land ausrichten würde, nahm dann eine kontrovers diskutierte, von Bertelsmann koordinierte Social-Marketing-Kampagne ihren Lauf. Du bist Deutschland setzte auf ein positives deutsches Nationalgefühl und verstärkte diese Entwicklung in der Vor- und Nachbereitung der ‚WM im eigenen Land‘. Sowohl Kampagnenstrategie, Kampagnenkonzeption als auch das ‚Kampagnenbüro‘ hatten ihren Sitz in Hamburg bei den Agenturen Kempertrautmann, Jung von Matt und FischerAppelt. Sönke Wortmann hatte drei Jahre im Vorfeld zum nationalen Ereignis den Film Das Wunder von Bern gedreht und lieferte somit die Gebrauchsanleitung für die mit großer Begeisterung angenommene Erzählung von der Aussöhnung Deutschlands mit seiner Identität. Wortmann drehte später auch während des ‚Sommermärchens‘ den gleichnamigen Dokumentarfilm. Die Welt zu Gast bei Freunden im Land der Ideen – in dem großen Erfolg der Kampagnen und Filme offenbart sich das Bedürfnis nach einer identitätsstiftenden und unbelasteten nationalen Kollektiverfahrung.

Zur ganzen Geschichte der neu erzählten deutschen Großartigkeit gehören neben freudetrunken geschwenkten Deutschlandfahnen, schwarzrotgoldenen Perücken und Hawaiiketten allerdings auch das über Jahrzehnte hinweg bagatellisierte Erstarken der neuen Rechten. So sind das Ausmaß der Mordserie des NSU, die rechtsradikal motivierten Morde in Mölln und Solingen und die Ausschreitungen und Anschläge in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen nicht nur strukturell, sondern auch im Zusammenhang einer sich seit den neunziger Jahren wandelnden öffentlichen Meinung zu sehen. Heute, in einer von massiven gesellschaftlichen Umbrüchen geprägten Zeit, kollidiert die Erzählung einer liberalen, kosmopolitischen und gebildeten Mittelschicht mit den Entwertungserfahrungen verunsicherter Klassen, die sich aus einem diffusen Gefühl kultureller und ökonomischer Bedrohung heraus in deutschtümelnden Legenden wiederzuerkennen meinen. Dass die schrittweise Verschiebung politischer Diskurse nach rechts nicht nur den radikalisierten Kreisen einer Gesellschaft zuzuschreiben ist, kann man auch an der hier skizzierten Entwicklung und Konstruktion identitätsstiftender Bilder und Erzählungen vom 19. Jahrhundert bis heute ablesen.