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Das Werk des in Puerto Rico lebenden Künstlerpaars Jennifer Allora (geboren 1974 in Philadelphia) und Guillermo Calzadilla (geboren 1972 in Havanna) umfasst die Medien Skulptur, Film und Installation. Oft bewegen sie sich ausserhalb des institutionellen Kontextes und schaffen öffentliche Situationen, die eine Kommunikation, ja eine Interaktion mit dem Publikum fordern. Dabei gelingt es ihnen auf kritische und spielerische Weise zugleich, ihr konzeptuelles Werk subtil politisch wirksam werden zu lassen, ohne in plumpen Aktionismus zu verfallen.

Im Rahmen der Biennale in Havanna im Jahr 2000 waren Allora & Calzadilla erstmals in einem grossen, internationalen Kunstkontext zu sehen. Es folgten Ausstellungs-beteiligungen in der Tate Modern, London, 2003, der 51. Venedig Biennale und dem Palais de Tokyo, Paris, 2005. Die Renaissance Society in Chicago stellte das Künstlerpaar 2007 in einer Einzelausstellung mit der Installation Wake Up (2007) vor. Mit der Arbeit Clamor (2006) waren sie 2006 in The Moore Space in Miami und in diesem Jahr in der Serpentine Gallery in London vertreten.

In ihrer ersten umfassenden institutionellen Einzelausstellung in der Kunsthalle Zürich werden die Grossinstallationen Wake Up und Clamor, Objekte und eine repräsentative Auswahl der Filme von Allora & Calzadilla gezeigt, was einen umfassenden Einblick in das Schaffen der beiden Künstler ermöglicht.

Gleichzeitig bildet die intensive Erforschung von Militarismus und Krieg und ihre sozialen Auswirkungen einen Schwerpunkt der Ausstellung. Dabei gilt das besondere Augenmerk der Künstler den kritischen und philosophischen Implikationen von Begriffen wie Wachstum, Entropie, Fortbestand, Abnormität und Gemeinschaft.

Die Videoarbeit Returning a Sound (2003) entstand auf der puertoricanischen Insel Vieques, die in den vergangenen sechzig Jahren von den USA und der NATO als militärisches Übungsgelände genutzt wurde. Der Widerstand der Zivilbevölkerung führte 2002 zur Einstellung der Bombenübungen und dem Abzug der Truppen. Das Video zeigt nicht nur die Landschaft von Vieques, sondern auch die Geräuschkulisse der Insel, die für ihre Bewohner immer noch durch die Erinnerung an die akustische Gewalt der Bombardierungen geprägt ist.

Homar, Widerständler und Aktivist, wird in dem Film auf der Fahrt über die Insel begleitet, die er mit seinem Moped, an dessen Auspufftopf eine Trompete geschweisst ist, durchquert. So heischt die entfremdete, ursprünglich Lärm reduzierende Vorrichtung mit einem gewaltigen Ruf um Aufmerksamkeit. Sie wird zu einem Gegeninstrument, dessen Schallemissionen durch die Unebenheiten der Strasse und die Beschleunigungen des Mopedmotors bedingt sind. Returning a Sound würdigt die Ergebnisse der Kampagne für Frieden und Gerechtigkeit, weist aber zugleich auf die neuen Herausforderungen hin – es feiert einen Sieg, dokumentiert gleichzeitig, wie unsicher er ist, und ruft zu Wachsamkeit auf.

Die Videoarbeit Sweet Glands, Sweet Lands (2006) zeigt ein eigenwilliges Grillfest: untermalt oder eher angetrieben von einem Rapsong dreht sich ein Grillspiess, der von der umfunktionierten Kurbelwelle eines Autos betrieben wird. Motor und Sprachfluss laufen nicht gleichmässig, sie beschleunigen und verlangsamen asynchron und kreisen angetrieben vom Sprachgewitter um Themen wie Armut, Aufstand, Poesie und der zugleich problematischen wie surrealen kreativen Umwandlung von Realität.

Der neueste Film in der Ausstellung, Unrealizable Goals (2007), spielt in der japanischen Stadt Kitakyushu. Er entstand auf dem Hintergrund der derzeitigen Diskussion um die Aufgabe der pazifistischen japanischen Verfassung von 1947: in ihr verpflichtet sich das japanische Volk den Idealen des Friedens und der demokratischen Ordnung. Die Künstler greifen auf nationalistische Musik, die während des Zweiten Weltekriegs zu Propaganda-zwecken genutzt wurde, zurück und setzen sie in den Kontext der verschlafenen post-industriellen Stadt Kitakyushu – amerikanische Militärstrategen hatten sie ursprünglich als Ground Zero für den Abwurf der zweiten Atombombe ausgewählt.

Das räumliche Zentrum der Ausstellung bildet Clamor (2006), eine zwischen Bunker und romantischer Berglandschaft oszillierende gigantische Skulptur, in deren Schiessschartenlöchern Blechinstrumente statt Gewehren und Kanonen positioniert sind. Allora & Calzadilla trugen für diese Arbeit mehrere hundert Musikstücke zusammen, die von klassischer Militärmusik, über Volkslieder, Pop und Rock verschiedener Epochen und geografischer Herkunft reichen und eine globale Etymologie des Klangs im Umfeld von Krieg und Gewalt bilden. Diese Partituren bilden den Ausgangspunkt einer neuen Komposition, die als Musikkonserve aus der Skulptur erklingt wie auch als Improvisationsgrundlage für eine Live-Performance Video (QuickTime 1.2 MB) von Blasmusikern dient. Die riesige kammerartige Hybridskulptur dient so als Musikarchiv und Bühne, auf der eine Konfrontation klanglichen Ausdrucks militärischer Begegnungen inszeniert wird. Bei den Live-Auftritten spielen die Musiker gegeneinander Kriegslieder aus dem gesammelten Repertoire und schaffen einen monströsen, kakophonischen Musikangriff.

Wake Up (2007), ist die zweite raumfüllende Klang- und Lichtinstallation in der Ausstellung. Allora & Calzadilla baten zehn führende Trompeter aus aller Welt – darunter Franz Hautzinger, Natsuki Tamura, Brigit Ulher und Mazen Kerbaj –, den militärischen Weckruf des „Réveille" neu zu interpretieren und ihm damit neue Bedeutungen und Assoziationen zu erschliessen. Die Neuinterpretation des „Wake Up" für die Räume der Kunsthalle greift radikal in die Erfahrung der üblichen Raumfolge ein.

Die Kunsthalle Zürich dankt: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Luma Stiftung

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Allora & Calzadilla

Künstler:
Allora & Calzadilla