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„Radical Beauty“ lautet der programmatische wie provokative Titel der Ausstellung mit der deutschen Konzeptkünstlerin, Fotografin und Bildhauerin Almut Linde (*1965). Diese Werkschau ist Teil einer international erfolgreichen Kooperation mit Museen in Cardiff in England, Salamanca in Spanien, Braunschweig, Lübeck und Remscheid. Als größte Station dieser Ausstellungsreihe sollte Erlangen den Abschluss bilden. Erfreulicherweise hat sich nun noch das Kallmann-Museum Ismaning dem internationalen Projekt angeschlossen, wo die Ausstellung vom 25. April bis zum 6. Juli 2014 zu sehen sein wird. In der Ausstellung im Kunstpalais wird Almut Linde gleich mehrere völlig neue Werkblöcke vorstellen: ihr Projekt über das wechselvolle Schicksal einer polnischen Kleinstadt, sowie drei neue Arbeiten, die um das Thema Kernenergie kreisen und eigens für Erlangen entstanden sind. Darüber hinaus werden vor allem die Arbeiten zu sehen sein, die in den letzten Monaten für Salamanca und für Cardiff entstanden sind. Im Hatje Cantz Verlag ist ein zweisprachiger Katalog zur Ausstellung erschienen.

Unter dem Begriff des "Dirty Minimal" entwickelte die Künstlerin Almut Linde bereits in den 1990er Jahren eine eigene Interpretation der Minimal Art, die das Alltägliche und Übersehene in den Fokus ihrer Untersuchungen rückt. Unter Einbeziehung der Verfahren von Minimal Art, Concept Art und Action-Painting hinterfragt Linde die Rolle des Individuums im Kontext gesellschaftlicher Strukturen und sozialer Systeme. Eine bloße Bestandsaufnahme ist dabei nicht ihre Absicht. Vielmehr hinterfragt sie stereotype Vorstellungen und Vorurteile. In Anspielung auf romantische Bildvorstellungen eröffnet sie neue Perspektiven auf zahlreiche Bereiche des täglichen Lebens. So ließ sie im Rahmen einer langjährigen Kommunikation mit der Bundeswehr Soldaten per Befehl einen Kunstvortrag besuchen oder mit ihren Waffen auf Aluminiumplatten feuern, die in der Ausstellung als Bullet Action-Painting zu sehen sein werden. Für die Foto-Serie "Lieblingsmilchproduktionseinheit" zeigt sie in Ställen der Ma ssentierhaltung Bauern mit ihrer jeweiligen Lieblingskuh.

In ihren Arbeiten für die Ausstellung „Radical Beauty“ eröffnet die Künstlerin einen neuen Blick auf die Dinge, die landläufig nicht als schön und gut gelten. So zeigt sie die Romantik einer vom Tagebau zerstörten Landschaft, die sakrale Ästhetik eines Schlachthofs oder die bestechende Farbigkeit von Düngemitteln. Linde interessiert sich vor allem für die Ungereimtheiten und Brüche im gesellschaftlichen System, die sie thematisiert, ohne Vorurteile zu bedienen oder vordergründig zu bewerten. Mit Begeisterung verschiebt sie Kontexte und schickt Zirkusakrobaten ebenso ins Museum wie Soldaten der Bundeswehr. Rauminstallationen entstehen aus so ungewöhnlichen Materialien wie Hüllrohren für Brennelemente eines Atomreaktors, Kristallen aus einem Salzbergwerk in Gorleben oder Kohle aus dem Tagebau in Cardiff.

Für das Kunstpalais hat Almut Linde gleich mehrere neue Arbeiten geschaffen: eine Videoarbeit mit dem Titel "Heiße Zelle", die den Umgang mit strahlenden Materialien zeigt, eine Rauminstallation mit Hüllrohren, die für die Herstellung von Brennelementen verwendet werden und eine Bodeninstallation aus Salzkristallen, die einem möglichen Endlager in Gorleben entstammen. Zum ersten Mal wird zudem die neue Foto-Serie "Dirty Minimal #95.1 – History and Presence" zu sehen sein, für die Linde Begegnungen heutiger und früherer Bewohner des polnischen Dorfes Mostkowo dokumentiert und so einen neuen Blick auf die Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart eröffnet.

„Als Künstlerin fühle ich mich Truman Capote (1924–1984) am nächsten. Sein Konzept des Tatsachenromans, in dem er Ereignisse nicht erfindet, sondern Tatsachen mit Mitteln der Kunst wiedergibt, entspricht meiner Auffassung von Kunst. Das Konzept des Tatsachenromans ist analog zu meinem Konzept von der inneren Narration der Dinge. In seinem Tatsachenroman In Cold Blood (Kaltblütig) zeichnet Capote 1966 die Ereignisse eines schrecklichen Verbrechens auf. Das Entscheidende ist, dass er nicht wertet, sondern die Abgründe nahbar macht. Somit ist der Leser dafür verantwortlich, was er wahrnimmt. Für mich ist das die Entdeckung Capotes, dass es größer ist, die Sachen selbst sprechen zu lassen, anstatt etwas zu konstruieren. Was Capote im Reality-Roman macht, verfolge ich in der Kunst: Dinge möglichst nah an dem zu zeigen, was sie sind und nicht an dem, was wir über sie denken.“ (Almut Linde, 2012)

Betrachtet man die Ausstellung „Radical Beauty“ mit Werkserien über Schlachthöfe, Massentierhaltung, Futter- und Düngemittelfabriken, über Kohleabbau und Kernenergie als künstlerischen Tatsachenroman, wird die Ausstellung zu einem Thriller von radikaler Schönheit, die den mündigen Betrachter in die Pflicht nimmt, einmal mehr bewusst hinzusehen.

Biografische Angaben: 1965 in Lübeck geboren 1985-1992 Hochschule für bildende Künste Hamburg 1988-1989 Studium der Freien Kunst an der Universidad Complutense, Madrid 1988-1994 Künstlergruppe Linde Ludeña Sierra, Hamburg und Madrid 1992-1994 Hochschule für bildende Künste Hamburg (Meisterschülerin) Lebt und arbeitet in Hamburg

Ausstellungen (Auswahl): 2013 MARTa Herford / Emscherkunst 2013, Kunstverein Ruhr 2012-2014 Kallmann-Museum, Ismaning / Kunstpalais, Erlangen / Chapter, Cardiff / DA2. Domus Artium 2002, Salamanca / Kunstverein Braunschweig / Overbeck-Gesellschaft, Kunstverein Lübeck / Galerie der Stadt Remscheid (alle E) 2012 Salzburger Kunstverein 2011 Von der Heydt-Kunsthalle, Wuppertal-Barmen 2010 Kunsthalle Göppingen / Galerien der Stadt Esslingen, Villa Merkel, Bahnwärterhaus / Kunstverein in Hamburg 2009 Hamburger Kunsthalle 2008 Irish Museum of Modern Art, Dublin (E) / Haus am Lützowplatz, Berlin (E) / Nationalgalerie Prag 2005 Palast der Republik, Berlin (E) / Kunstverein KX., Hamburg (E) / Kunsthalle Wilhelmshaven

(E) Einzelausstellung

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Almut Linde
Radical Beauty

Künstler:
Almut Linde

Kuratoren:
Claudia Emmert