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„Ambigu“ (franz.: [ãbigy], von lat. ambiquus) bedeutet so viel wie „unentschieden“ oder „zweideutig“ und bezieht sich in erster Linie auf grammatikalische bzw. semantische Mehrdeutigkeiten. Mit dem Begriff bewegt man sich jedenfalls in ungewissen Sphären, im weiten Bereich zwischen unterschiedlichen Haltungen. In einem solch prekären Dazwischen möchte man sich möglicherweise nicht festlegen, bleibt unbestimmt, mehrdeutig und damit offen für verschiedenste Interpretationen. Doch ist es nicht gerade die wahre Lebenskunst, in einem meist als orientierungslos wahrgenommenen Dazwischen Haltung zu zeigen und programmatisch Position zu beziehen?

Ebendiese überzeugte Haltung im Dazwischen verbindet die zehn Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung Ambigu: die beiden längst zu „Klassikern“ der Gegenwartskunst ernannten Raoul De Keyser (1930) und Mary Heilmann (1940), deren beispielhaftes Schaffen in die 1960er bzw. 1970er Jahre zurückreicht, die einige Jahre jüngere Pia Fries (*1955) sowie die erst in den späten 1960er und 1970er Jahren geborenen Shila Khatami, Rebecca Morris, Xavier Noiret-Thomé, Giacomo Santiago Rogado, Alejandra Seeber, Monique van Genderen und Matthias Zinn. In je unterschiedlicher Weise bewegt sich ihr Werk konsequent zwischen künstlerischen Polen und beleuchtet den ungewissen Zwischenraum von abstrakten Bildtraditionen und mehr oder minder offengelegten Wirklichkeitsverweisen.

Für eindeutige künstlerische Positionen stand die Malerei des 20. Jahrhunderts. Geprägt vom grundlegenden Gegensatz zwischen figurativen und abstrakten Bildtraditionen wurde letztere geradezu zum Markenzeichen der Moderne, führte jedoch auch zum viel zitierten Ende der Malerei. Die Postmoderne beendete die Vorstellungen künstlerischer Avantgarden und öffnete mit ihrem „anything goes“ das Feld malerischer Möglichkeiten. Diese Revision der Moderne fand ihren Ausdruck einerseits im Rückgriff auf historische Bildsprachen, führte andererseits auch zu jenen hybriden und damit zweideutigen künstlerischen Haltungen, wie sie für die zeitgenössische Malerei im Schaffen von Raoul De Keyser und Mary Heilmann exemplarisch vorweggenommen sind. Darin verbinden sich unterschiedliche Bildtraditionen, wobei abstrakte Bildformen durch narrative Referenzen inhaltlich aufgeladen werden. Oft missverstanden, wurden die beiden Kunstschaffenden zu eigentlichen Impulsgebern für die zeitgenössische Malerei. Der ihrem Schaffen eigene, hybride Bildbegriff und die zutiefst ambivalente, nicht linear zu entschlüsselnde Bildsprache dient dabei gleichsam zur Entschleunigung der eigentlichen Bildlektüre. Es ist diese aktuelle Form unreiner Abstraktion, die im Grunde erst die „Repräsentation“ fiktiver Welten mit wesentlich bildeigenen Mitteln ermöglicht. Das Spektrum, wie sich Welt in dieser vielschichtig angelegten Formensprache „abbildet“, erscheint unüberschaubar, eröffnen sich der Malerei doch gerade im Zwischenraum von Gegenstandsverweisen und bildnerischer Autonomie endlose Möglichkeiten der Kombinationen, der formalen Verweise und inhaltlichen Bezüge, der Zitate und Appropriationen. Insgesamt zeichnet sich in der Malerei der Gegenwart eine aufregende Topografie des malerischen Dazwischen ab, die in der Ausstellung Ambigu anhand zehn exemplarischer Positionen ausgeleuchtet werden soll.

Mit der Ausstellung Ambigu – Zeitgenössische Malerei zwischen Abstraktion und Narration führt das Kunstmuseum St.Gallen seine Tradition thematischer Ausstellungen fort, die zeitgenössische Malerei unter wechselnden Perspektiven reflektiert – und zugleich deren Sinnlichkeit zelebriert. (Konrad Bitterli)

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Ambigu
Zeitgenössische Malerei zwischen Abstraktion und Narration
Kurator: Konrad Bitterli

Künstler: Raoul de Keyser, Mary Heilmann, Pia Fries, Shila Khatami , Rebecca Morris, Xavier Noiret-Thomé, Giacomo Santiago Rogado, Alejandra Seeber, Monique van Genderen, Matthias Zinn