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Vernissage: 27. Oktober 2004, 19 Uhr

Es war einmal. Ein wunderschöner Tag. Mit einem Baum und einem grossen Stein. Als plötzlich ein goldener Vogel kam. Dann wurde es nie mehr Nacht.

„Es war einmal“, mit dieser Formel beginnen Märchen. Die Künstlerin verwendet den sprachlichen Code für ihren Text an der Wand, um eine Stimmung, Bilder, Erinnerungen an Gutenachtgeschichten der Kindheit zu beschwören. Ana Roldán erzählt das Märchen zu Ende. Aber endet es gut, wie es sich gehören würde? „Dann wurde es nie mehr Nacht“ kann ebenso eine Glücksverheissung wie ein Schreckensszenario sein. Diese Ambivalenz zieht sich durch die gesamte Rauminstallation.

Der Boden ist ausgelegt mit wächsernen Platten, durch die das Parkett schimmert. Das Material in Kombination mit dem kleinen goldenen Vogel erinnert an Ikarus‘ Flügel. „Zum Mitnehmen“ heisst es auffordernd neben dem glänzigen Tier. Doch das Zimmer mit dem brüchigen Boden betreten und nach dem goldenen Vogel unserer Sehnsucht greifen, entspricht nicht dem erlernten Verhalten im Museum. Den Märchenraum nicht betreten, nichts berühren, nichts beschädigen, nichts zerbrechen, bedeutet aber, auf den Traum des goldenen Vogels zu verzichten. Dem Publikum fehlt eine eindeutige Verhaltensanleitung. Im Gegenteil, auch der weisse Sessel vor dem Fenster liefert keinen Anhaltspunkt, sondern stiftet Verwirrung. Er lädt nur vermeintlich zum Sitzen ein, ist er doch aus Papier und würde unter dem Gewicht einer realen Person zusammenklappen. Dennoch steht der Sessel da und lenkt den Blick des Publikums über die wächserne Landkarte des Bodens hinweg auf den Text an der Wand und natürlich auf den Vogel.

Ana Roldán arbeitet gerne mit Sprache, weil eine Formel wie „Es war einmal“ beim Publikum präzise Erwartungen weckt. Die Künstlerin bedient diese und unterwandert sie gleichzeitig. In der Wahl der Farben und des Materials bleibt der Raum der Märchenwelt verwandt. Doch leistet das Publikum der ungewissen Aufforderung Folge, zieht es die Schuhe aus, betritt die Installation und nimmt den Vogel mit, wird das Märchen zerstört. Vielleicht ist die Leuchtschrift „Zum Mitnehmen“ auch nur eine Falle, wie sie in Geschichten gerne gestellt werden. Vielleicht darf der Boden nicht zerbrechen, muss die Schrift an der Wand ungelesen bleiben, vielleicht aber auch nicht. Aus dieser Ambivalenz bezieht die Installation ihre Anziehungskraft. Der Raum ist eine Bühne für ein dem Publikum unbekanntes Spiel: Wer den Raum betritt, spielt automatisch mit. Gewiss ist jedenfalls, der Raum ist eine Welt, in die es uns unweigerlich zieht, in die wir aber nicht mit Bestimmtheit gehören.

Biografie

Ana Roldán (Mexico City *1977) studierte sie Sprachwissenschaft und Geschichte in Mexico City. Anschliessend Studium an der Hochschule der Künste Bern, Diplom 2003. Sie lebt in Bern und hat ihr Atelier im Progymnasium.

Ausstellungen 2004 Einzelausstellung, Art Room, Kunstkeller Bern Gruppenausstellung, Kunstraum Baden 2003 Stage, Stadtgalerie Bern Weihnachtsausstellung, Kunsthalle Bern Aeschlimann-Corti-Stipendium 2003

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Ana Roldan