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Wenn einer eine Reise tut … betritt er in der Regel Neuland. Selbst wenn das Ziel der Reise schon mehrere Male angesteuert wurde, so bleibt man doch immer ein Gast, ein Beobachter – auf unsicherem Terrain. Landschaft, Natur, Kulturgeschichte, Tradition, all diese das Leben bestimmenden Faktoren haben sich außerhalb des eigenen Erfahrungshorizontes entwickelt und verändert, und der aufmerksame Reisende steht mit offenen Augen vor einem trotz möglicher Vertrautheit fremden Land.

Wenn einer eine Ausstellung besucht … betritt er in der Regel unbekannte Räume. Mag die Hülle, der architektonische Rahmen auch vertraut sein, die Präsentation selbst, die Zusammenstellung und Inszenierung der Arbeiten ist in jedem Falle neu, wirft Fragen auf, verunsichert. Doch ebenso wie die Erkundung eines fernen Landes bei neugieriger Öffnung für das Neue immer eine Bereicherung ist, so ist auch der Gang durch eine Ausstellung eine kleine Expedition. Erst gilt es, die Räume zu erkunden, die Ausstellung mit etwas Zeit und Ruhe anzusehen, doch dann führt der Weg des Entdeckers über die aufkommenden Fragen in die weite Ebene hinter oder zwischen dem Sichtbaren.

Beim Betreten der Städtischen Galerie Nordhorn ist diesmal vorerst nur der halbe Ausstellungsraum einsehbar. Rechts eine riesige, teils hochglänzende Bilderwand, vor Kopf zwei Vitrinenschränke mit blind gemalten farbigen Scheiben, links eine überdimensionale Leinwandzeichnung und die Rückseite einer tragenden Holzkonstruktion mit alten Landkarten. Erdenschwere, dunkle Farben dominieren die Ölbilder der rechten Wand und erinnern an den Gestus der monochromen, abstrakten Malerei. Doch dann entdeckt man kleine feine Zeichnungen in diesen Farbflächen, ganze Landschaften tauchen aus den Tiefen dieser Leinwände auf; Landschaften gar, die sehr stark an Bilder des Vechtetals erinnern, eingesperrt in die gemalte Illusion einer Glasvitrine.

Und schließlich entdeckt man beim Herumgehen den Reißverschluss in der Leinwandzeichnung, den Zugang zur zweiten Hälfte des Ausstellungspavillons. Hier dominiert eine zweite Bilderwand den Raum, diesmal jedoch in aktivierenden, leuchtenden Farben und in wildem Duktus gemalt: Dampfende Lava strömt von den Höhen eines Vulkanrandes herab, kleine Felsinseln lugen aus dem klaren Blau eines Meeres heraus. Doch auch hier ist der Betrachter ausgeschlossen, nichts zieht ihn direkt in das Bild hinein, denn immer ist der Blick verstellt durch die spiegelnden, verschlossenen Türen eines Glasschrankes. Dieser Vitrinenblick, den der aufmerksame Besucher sogar in der Konstruktion des Ausstellungspavillons selbst wiederfindet, rückt die Bilder trotz aller Größe in die Ferne. Diese Malerei öffnet kein illusionistisches Fenster in landschaftliche Weiten, sondern sie lässt die Unbetretbarkeit und Ferne der Natur im Museum fast schmerzlich erfahrbar werden. Und plötzlich eröffnet sich ein ganzer Fragenkomplex zur Begegnung des Menschen mit der Welt: Wie real ist das Präparat im Naturkundemuseum? Wie viel Wirklichkeit bildet eine Landkarte ab? Wie nah heran kommt man an Afrika im Völkerkundemuseum? Was verschweigt auch das virtuose Landschaftsgemälde?

Anna Guðjónsdóttir hat für die Ausstellung in der Städtischen Galerie Nordhorn einen ganzen Monat vor Ort recherchiert und gemalt. Dabei mischen sich in der Ausstellung ihre Erfahrungen von den regelmäßigen Reisen in ihre Heimat Island mit den neuen Eindrücken aus der Grafschaft Bentheim. Trotzdem versteht sich die Künstlerin nicht im klassischen Sinne als Malerin, vielmehr nutzt sie in ihrer auch diesmal wieder überraschenden Installationen die Mittel der Malerei für ein weit vielfältigeres Netz aus Fragen, Verweisen und Kommentaren zur menschlichen Naturaneignung ein »unsicheres Terrain«.

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Anna Gudjonsdottir
Unsicheres Terrain
Kunstpreis der Stadt Nordhorn 2002
Kurator: Roland Nachtigäller