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08.05.2021 – 31.07.2021

Annette Kelm: Verbrannte Bücher

1933 verbrannten nationalsozialistische Studenten rund 30.000 Bücher auf dem ehemaligen Opernplatz mitten in Berlin: politische Literatur, wissenschaftliche Bücher, Romane und Gedichte, selbst Kinderbücher. Die Liste der Autorinnen und Autoren umfasst bekannte Namen, aber auch solche, die seitdem aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden sind.

Annette Kelm setzt in ihrer Serie Verbrannte Bücher (2019–2021) eine Auswahl jener Bücher ins Bild, die ab 1933 als „undeutsch“ verfemt wurden.

Kelms Fotografien folgen einer dezidiert sachlichen Ästhetik und zeigen ausgewählte Bücher – es handelt sich ausnahmslos um Erstausgaben – einzeln als flacher Gegenstand, frontal abgelichtet, vor neutralem Hintergrund. Im Stil klassischer Objektfotografie reproduziert, scheinen sie von Raum und Zeit befreit. Gerade das aktualisiert sie und überwindet die historische Distanz. Herausgelöst aus der Geschichte, treten die politische Bildsprache, die Ästhetik der Moderne, der sozialkritische Impetus prägnant hervor. Und letztlich ist es dieser präzise fotografische Blick auf das Buch und seine Gestaltung, der uns über die Möglichkeiten der Repräsentation von Geschichte und der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit erneut nachdenken lässt.

In der Galerie Meyer Kainer werden 70 Fotoarbeiten aus dieser Serie zu sehen sein.

Zur Ausstellung erscheint ein ausführlicher Text von Vanessa Joan Müller.

Geöffnet ab Sa 8. Mai, 11–18 Uhr

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Pressetext.
Von Vanessa Joan Müller

Annette Kelms künstlerische Praxis mit ihrem Fokus auf das Serielle und die scheinbar objektive An- näherung an mehrfach codierte Gegenstandswelten wird oft als eine konzeptuelle bezeichnet, weil sie das Medium Fotografie reflektiert und sich dessen klassische Genres aneignet, um deren Konventionen in einer abstrahierten, zeitgenössischen Adaption bewusst unvollständig zu erfüllen. Fotografische Formen der Repräsentation werden in Bezug auf ihre semantische Aufladung des Gezeigten ausgelotet, zugleich nisten sich subtile Bedeutungsambivalenzen in die Darstellung ein. Kelms Serie „Die Bücher“ differiert von den bisherigen Werken allerdings insofern, als dass sie in einem ungleich größeren Maß die Frage nach dem Gegenstand und seinem Bild reflektiert. Das liegt vor allem daran, dass die fotografierten Bücher Artefakte sind, in deren grafischer Gestaltung sich Kulturgeschichte anschaulich spiegelt, die aber in eine viel größere Geschichtsschreibung eingebunden sind.

Am 10. Mai 1933 verbrannten nationalsozialistische Studenten rund 30.000 Bücher auf dem Opernplatz in Berlin. Auf Initiative der Deutschen Studentenschaft folgten zahlreiche Bücherverbrennungen in anderen deutschen Städten, auch wurden „Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums”erstellt, auf deren Basis „undeutsches” Gedankengut aus den Bibliotheken und Buchläden entfernt wurde. Diese Listen umfas-sen die Namen vieler bekannter Autorinnen, aber auch solche, die seitdem aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden sind. Bei den verfemten Büchern handelte es sich um politische Literatur, um wissenschaft-liche Bücher, Romane und Gedichte, sogenannte Trivialliteratur, selbst Kinderbücher wurden verbrannt. Sie wurden gebrandmarkt, weil sie einen progressiven Zeitgeist spiegelten, weil sie „linkes” Gedankengut verbreiteten, weil sie für Emanzipation der Frau standen, für andere Rollenvorstelllungen, Geschlechter-verständnisse, für Homosexualität oder Internationalismus – oder weil sie von jüdischen Autorinnen verfasst wurden.

Annette Kelms Fotografien zeigen jeweils die zeitgenössische Ausgabe einer Publikation, die bei den Bücherverbrennungen medien- und öffentlichkeitswirksam in Flammen aufging oder auf einer der Listen verfemter Publikationen stand. Das Buch wird in diesen Bildern zum planen Objekt, das Cover rückt ins Zentrum. Diese Betonung des Faktischen vermeidet eine symbolische Aufladung, stattdessen tritt die kulturelle und ideologische Bedeutung der Publikationen in den Vordergrund. Die Ausrichtung an formalen Kriterien und der Verzicht auf alles Erzählerische betont zudem die Übersetzung des Gegenstandes in den zweidimensionalen Raum der Fotografie: Das Buch wird Bild.

Die Bücher, die Annette Kelm zeigt, stammen tatsächlich aus der damaligen Zeit. Das macht sie zu affektiv besetzten Kommunikationsträgern, Überlebenden des Autodafés von 1933 und Stellvertretern ihrer Autorinnen, von denen viele ins Exil gegangen sind, verfolgt oder ermordet wurden. Es macht sie in ihrer fotografischen Repräsentation aber auch zu Relikten einer Vergangenheit, die sich einem unmittelbaren Zugriff widersetzen. Wir können in diesen Büchern nicht blättern, sie nicht lesen, sondern nur als Bild betrachten. Das lässt sie, die so unmittelbar wirken, in ihrer fotografischen Präsenz zur Abstraktion werden, die ganz grundsätzlich danach fragt, wie und zu welchen Bedingungen Erinnerungskultur noch funktionieren kann, wenn diejenigen, die von der Vergangenheit als Zeitzeuginnen berichten könnten, immer weniger werden.

Es gibt kein Archiv der verfemten Bücher, das hier fotografiert wurde. Es geht auch nicht um Vollständig-keit. Annette Kelms „Die Bücher” macht keinen Unterschied zwischen einem gewöhnlich anmutenden und einem expressiven, gar evokativen Buch. Alle sind gleichermaßen zur Betrachtung gestellt und damit der Vergangenheit entrissen. Das historische Relikt rettet sich als visuelles in die Gegenwart, weigert sich jedoch Teil einer Erinnerungskultur zu werden, die auf historisch dokumentarische Bilder rekurriert und nochmals die Selbstinszenierung der Täter und brennende Bücherstapel zeigt. Kelm liefert eine Alternative zu diesen bekannten Bilddokumenten, die in die Vergangenheit führen – und stellt die Autor*innen und Opfer der nationalsozialistischen Politik in den Mittelpunkt, indem sie ihnen ihre teilweise bis heute verlorene Sichtbarkeit zurückgibt. Ihre Bücher zu lesen, macht sie lebendig.