Galerie Kamm

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Annette Kislings nächste Einzelausstellung in der Galerie Kamm trägt den Titel ACCESSO, was „Zugang“ bedeutet. Die Berliner Künstlerin zeigt Fotografien, die während zweier Aufenthalte 2009 und 2010 in Venedig entstanden sind. Die Schwarzweißaufnahmen gliedern sich in drei Werkeinheiten, die sich in Größe und Art der Rahmung voneinander abheben.

Eine erste Arbeit umfasst drei Bildpaare: Portal, Kanon, Spolie. Zu sehen sind Portalsituationen in jeweils zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. In der Abfolge der Ansichten verliert sich hier die Eindeutigkeit der architektonischen und kunstgeschichtlichen Situationen; der seltsam verlangsamte Charakter der aufgerufenen Bewegung, die rätselhafte Zusammenstellung der Motive, die gesetzten, aber gegenständlich unverständlichen Symmetrien, der materialverfremdende Einsatz von Licht und Dunkelheit: all dies legt Aspekte der gewaltigen Kulisse frei, die Venedig sein kann. Kislings Interesse gilt dabei Formen von Organisation und Ordnung, die die noch nicht festgestellten Charaktere der Gegenstände erfahrbar machen, statt sie bestimmten ästhetischen Vorgaben auszuliefern.

Die zweite Arbeit, accesso, umfasst zwölf Bilder, die als Bausteine für ein Bild von Venedig aufgefasst werden können, in dem sich Gegenwart und Vergangenheit verschränken. Anstelle ausdrücklicher Kompositionsentscheidungen machen sich hier Zwischenverweise geltend, die die strengen, formal um Licht, Fläche und einen zögernden Raum konzentrierten Einzelbilder aufeinander Bezug nehmen lassen. Obwohl nicht intendiert, legt sich dabei eine Erinnerung an John Ruskins Dokumentation The Stones of Venice (1851-53) nahe. Ruskin hatte die architektonischen Einzelformen Venedigs erstmals einer Syntax unterworfen, in der das zeitlose Unbewusste der Stadt zum Vorschein treten konnte. Kislings Zugang wurzelt in anderen, im Vergleich sich vielleicht deutlicher abzeichnenden Motivationslagen; der positivistische Zwangscharakter, der den Formentafeln Ruskins anhaftet und ihnen ihre protosurrealistische Wirkung verleiht, scheint bei Kisling ins mechanische Medium Fotografie verlegt und auf den Bildern durch die beginnende, die Formen und Flächen auratisch umgebende Räumlichkeit beantwortet.

Die dritte Arbeit, museo, zeigt Innenansichten aus zwei venezianischen Museen, der Accademia und dem Museo Correr, die der bedeutende Architekt Carlo Scarpa (1906-1978) in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts umgebaut und neugestaltet hat. Statt der Kunstwerke sind auf Annette Kislings Aufnahmen Details des von Scarpa stammenden Ausstellungsdesigns zu sehen. Der materialschönen und funktionalen Eleganz der Stützen und Streben entspricht auf den Bildern eine vergleichsweise klare und grafische Anlage. Der Raum wird hier durch Schnitte und Blickbewegungen rhythmisiert, die in der Abfolge der Bilder nochmals beschleunigt werden. Die verblüffende, auf diesem Wege scharf herausgearbeitete Abwesenheit von Kunstwerken lässt eine Art Rückseite nicht nur von Venedig, sondern auch unserer eigenen ästhetischen Wahrnehmung und Wahrnehmungserwartungen zutage treten.

Die Erfahrung dieser Art von Rückseite, der kulissenartigen Ganzheit der städtischen Ikone, der Formen des zeitlosen Unbewussten des historischen Venedig – diese mit analytischer Strenge erarbeiteten Erfahrungen sind in ihrem Zusammenhang die Korrelate des Projektes, das Annette Kisling knapp accesso nennt: das Schaffen eines Zugangs.

Thilo Billmeier

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Annette Kisling
ACCESSO