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Das Kunsthaus Bregenz präsentiert vier wichtige Installationen von Antony Gormley aus den letzten 15 Jahren, an denen sich nicht nur der kontinuierliche Dialog des britischen Künstlers mit dem Wesen und der Dynamik des Genres Skulptur nachvollziehen lässt. Deutlich wird auch, wie damit Raum erkundet und besetzt und der Betrachter aufgefordert wird, sich, seine Wahrnehmung und die Bedingungen seines Selbstverständnisses neu auszurichten. Unablässig ergründen die Arbeiten Antony Gormleys, die sich einer Fetischisierung des Objekts widersetzen, die Grenzen und die Syntax des Mediums Skulptur und seiner Ausdrucksmittel und beanspruchen in zunehmender Weise die Aufmerksamkeit des Betrachters, dessen Engagement und aktive Partizipation er einfordert.

Die Ausstellung führt vier zentrale Serien aus Gormleys Gesamtwerk zusammen. Allotment und Critical Mass beschäftigen sich auf dialektisch unterschiedliche Weise mit dem kollektiven Körper: hier Körperformen, die fallen oder fallengelassen werden und ein chaotisches Feld der Hoffnungslosigkeit bilden; dort in einem strengen urbanen Flächenraster angeordnete leere Betonhülsen. Ganz anders als diese gegensätzlichen Massen und Räume erzeugt Clearing ein dynamisches Feld: eine netz- oder nestartige Zeichnung, die den Betrachter in sich verstrickt, in ihren Bann zieht und zu den klar abgegrenzten Volumina der Architektur Zumthors in Widerspruch steht, aber dennoch für atmosphärische Veränderungen des Lichts offen bleibt. Diesem Gefühl werden die Ergebnisse einer gebändigten Explosion gegenübergestellt, in denen das Körperliche in den sieben Tonnen rostigen Eisens, aus denen Body und Fruit bestehen, auf das Inkommensurable trifft.

Diese beiden Werke Gormleys – die ersten, denen man beim Betreten des KUB begegnet – sind zwei der zwischen 1990 und 1994 entstandenen Expansion Works. Die Haut bzw. sensorische Körpergrenze wird mittels gleichmäßiger Holme erweitert, die strahlenförmig von Knotenpunkten an den Extremitäten des Körpers wegführen. Die Hölzer sind an den äußeren Enden verbunden und bilden so eine durchgängige Oberfläche. Body (1991– 1993, Gusseisen, 6 t) und Fruit (1991– 1993, Gusseisen, 1,25 t) basieren auf der Abgussform eines Körpers in der Startposition eines Schwimmers vor dem Sprung ins Becken. Die Hängung der beiden skulpturalen Objekte erzeugt ein Beziehungsfeld, das den menschlichen und den planetarischen Körper versöhnt und den Betrachter in ein Gravitationsfeld einbindet, in dem diese großen, schweren Objekte nur wenige Zentimeter über dem Fußboden hängen. Im ersten Obergeschoss des KUB präsentiert Gormley das 1996 im schwedischen Malmö entstandene Werk Allotment II: Damit ersetzt er den biologischen Körper durch den »zweiten Körper der Architektur«. Insgesamt 300 Personen – Männer, Frauen und Kinder im Alter von eineinhalb bis achtzig Jahren – wurden nach insgesamt dreizehn exakt festgelegten Vorgaben des Künstlers vermessen. Die erhaltenen Maßangaben definieren die Höhe, Breite und Tiefe des Körpers, die Position des Kopfes, die Lage von Mund, Nase und Ohren sowie die Höhe der Schultern, des Afters und der Genitalien vom Boden weg. Diesen detaillierten Vorgaben zufolge hat der Künstler 300 Stahlbetonhüllen mit einer Wandstärke von fünf Zentimetern gebaut, wobei er die Körperform der jeweiligen Person in eine Art modernistischen Bunker übersetzte. Alle Körperöffnungen (Mund, Ohren, After und Genitalien) wurden den Maßen der Person entsprechend auf die Betonkästen übertragen. Jeder Stahlbetonbehälter bietet den für die Aufnahme eines bestimmten Körpers erforderlichen Minimalraum. Insgesamt betrachtet gleichen die »Räume«, wie ihre sinnträchtige Bezeichnung lautet, einer Stadt und verweisen auf die Bedeutung einer über das einzelne Subjekt hinausgehenden Gemeinschaft. Die kleineren Kopfkonstruktionen auf den sockelartigen Betonstelen ähneln Wassertanks oder technischen Anlagen, wie man sie auf Hochhäusern findet, scheinen aber zugleich durch ihre Nähe oder Distanz Familienbeziehungen abzubilden. Ihr Nebeneinander lässt ein Gefühl für die individuellen Charakteristika der intimen Bauwerke entstehen. Durch die offensichtlichen Unterschiede in Größe und Höhe offenbart sich zudem in den geringfügigen Abweichungen und Proportionsverschiebungen eine subtile Übertragung des Charakters der ursprünglichen Person auf die Formen. Durch den geometrischen Raster und die Anordnung der einzelnen Arbeiten in Blöcken mit Straßen und Plätzen ergibt sich ein Labyrinth, in dem der Betrachter sich verlieren und wiederfinden kann – wortwörtlich und gewissermaßen als Geist, indem er die eigene Körpergröße und seinen Leibesumfang an dem der Abwesenden misst.

Seit den frühen 1980er-Jahren entwickelt der Künstler Werke, in denen er die Phänomenologie des Raumerlebens und die Grenzen des Erfahrungshorizonts über die physischen Grenzen des Körpers hinaus erforscht. In der Serie Domain zum Beispiel evoziert ein zusammengeschweißtes Gefüge aus Edelstahlstäben innere Empfindungen des menschlichen Körper-Raums. In der Serie Feeling Material wird mittels einer durchgängigen Linie ein den Körper-Raum umgebendes Energiefeld erzeugt. Diese Experimente haben einen Bezug zu Clearing V (2009), das im zweiten Obergeschoss des KUB präsentiert wird: eine aus zwölf Kilometern unbearbeitetem Aluminiumrohr bestehende endlose metallene Linie zieht sich in endlosen Windungen vom Boden zur Decke und von Wand zu Wand, wobei das Material die ihm eigene elastische Spannkraft demonstriert. Gormley intendiert damit eine dreidimensionale Zeichnung im Raum: »Ich versuche, die festen Koordinaten des Raums zu zerstören und ein Raum-Zeit-Kontinuum zu schaffen, das sowohl ein Ding wie auch eine Zeichnung darstellt.« Das komplexe Feld von Spiralen und Sinuswellen nimmt eine eigene autonome Form an, die sowohl durch die Rahmenbedingungen der Architektur als auch die spezifischen Eigenschaften des Materials bestimmt wird. Wie bei allen gezeigten Installationen wird der Betrachter auch hier als Subjekt eines sich ständig neu ordnenden Blickfelds zum integralen Bestandteil des Werks.

Im dritten Obergeschoss präsentiert Gormley Critical Mass II (Gusseisen, 1995, im Auftrag für die StadtRaum Remise in Wien konzipiert), eine Installation von 60 Figuren nach Gussformen seines eigenen Körpers. Zwölf verschiedene Positionen – unter anderem kauernd, hockend, sitzend, kniend oder in Trauer gebeugt – bilden in aufsteigender Abfolge vom bodennahen Kauern bis zum aufrechten Stehen mit nach oben gerichtetem Kopf eine Art durcheinandergebrachte Syntax des menschlichen Körpers. Einige der Figuren sind gehängt, die meisten haben Bodenberührung, doch alle befinden sich in Ruhelage und evozieren je nach Ausrichtung unterschiedlichste Lesarten: Nach hinten umgekippt verkörpert zum Beispiel die kniende Figur ein hysterisches Aufbäumen, während die trauernde Figur mit dem gebeugten Haupt sich in einen Akrobaten verwandelt, sobald sie auf den Kopf gestellt ist. Das Gewicht der Figuren spielt eine zentrale Rolle. Antony Gormley: »Die gehängten Figuren sind unerlässlich. Es geht, würde ich sagen, um zwei Dinge: Zum einen legen die Figuren Zeugnis von Folter und Exekution ab, den schlimmsten Schicksalen, die den Enteigneten widerfahren können. Zum anderen erzeugt der gebremste Fall ein Gravitationsfeld« (die Formen weisen die zehnfache Dichte eines gewöhnlichen Körpers von gleicher Größe auf). Wie bei den Werken Body und Fruit im Erdgeschoss zielt der Künstler darauf ab, die Verbindung zwischen Körper und Boden zu verstärken: »Das hier verwendete Material Eisen wird mit der Tiefe unter Tage assoziiert, auf der wir mit unseren Füssen stehen, und unterstreicht, dass unser Körper nur vorübergehend der Masse der Materie entliehen ist, die den Planeten ausmacht und der wir in gewisser Weise eine Form geben.«

Antony Gormley, geboren 1950 in London, lebt und arbeitet in London. 1968 – 71 Trinity College, Cambridge; 1974 – 79 Central School of Art; Goldsmith College; Slade School of Art; Turner Prize (1994). Ausstellungen (Auswahl): British Museum, London (2008); Hayward Gallery, London (2007); Tate Britain, London (2004); Irish Museum of Modern Art, Dublin (1996); Corcoran Gallery, Washington D.C. (1992), Louisiana Museum, Humblebaek (1989); documenta 8 (1987); Biennale Venedig (1982). Gormley thematisiert in seinen Arbeiten den menschlichen Körper als Ort der Erinnerung und Wandlung und hinterfragt und in Einzelfiguren und Ensembles Fragilität, Natur und Wahrnehmung.

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Antony Gormley