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In Arne Schreibers künstlerischer Praxis treffen festgelegte Abläufe innerhalb definierter Bereiche mit dem Unkalkulierbaren, Zufälligen und Individuellen zusammen. Seine Bilder ergeben sich nicht aus expressiven Gesten, sondern durch die Anwendung und Konfrontation verschiedener Systeme, durch den Prozess manueller Wiederholungen und den daraus entstehenden Abweichungen. Millimeterpapier und modulartige Bildträger dienen als Referenzräume, in denen selbst kleinste Veränderungen innerhalb von Strukturen sichtbar werden. Für seine Ausstellung „Zwei“ in der Galerie koal nutzte Schreiber den Ausstellungsraum als Referenz und entwickelte aus dessen Vorgaben heraus eine aus zwei Flächen bestehende Wandzeichnung, die den Raum als Medium begreift.

Der Ausstellungsraum der Galerie gleicht einem nahezu hermetischem White Cube, der sich durch seine Öffnung etwa einen Meter unterhalb der alten Decke des Postfuhramts als fensterlose Raumkapsel in einer Architekturhülle zu erkennen gibt. Wie in einer Arena lenkt der neutrale Raum alle Aufmerksamkeit von sich ab und bietet kaum Ansatzmöglichkeiten. Lediglich ein Einschnitt im linken Drittel der vorderen Längswand, der den Besuchern den Zutritt ermöglicht, sowie zwei eingelassene Türen an den jeweiligen Enden derselben Wand unterbrechen das Kontinuum der glatten, weiß gestrichenen Raumhülle.

Schreiber nutzt diese einzige Unterbrechung der Raumgeometrie als Ausgangspunkt. Ausgehend vom Einschnitt wurden von Hand mit Markerstift und Lineal vertikale Linien gezogen, deren Höhe den menschlichen Proportionen entspricht und die 30 Zentimeter über dem Boden enden. Der Vorgang des Linienziehens wurde so oft wiederholt, wie es die Fläche zwischen Eingang und rechter Raumecke erlaubt. Auf diese Art entstand eine im doppelten Sinne ,bezeichnete’ Wandfläche, die in einem zweiten Schritt in einem 90 Grad Winkel zur Raumdiagonalen auf die gegenüberliegende Wand gespiegelt wurde. Während die Ausgangsfläche durch den Raum bestimmt und gerahmt wird, entfaltet sich ihr Spiegelbild nun scheinbar frei auf der Wand, ohne auf vorgegebene Grenzen zu stoßen. Doch selbst wenn die räumlichen Referenzen der ersten Fläche fehlen, ist auch die zweite durch das Prinzip der Spiegelung von den spezifischen Proportionen und Dimensionen des Ausstellungsraums abhängig.

Auch innerhalb der gespiegelten Fläche wird der Vorgang des Linienziehens wiederholt. Wie schon bei der ersten Fläche, zeichnet sich das entstandene Linienfeld, trotz einer regelmäßig erscheinenden Ausführung, durch sichtbare Imperfektionen aus. Während des Zeichnens mit der Hand entstanden, sind sie zugleich intendiert und provoziert, ohne dabei jedoch kalkulierbar zu sein. So schlägt sich beispielsweise die Beschaffenheit der Wandoberfläche in der Zeichnung nieder. Unregelmäßigkeiten und Schmutzschatten einstiger Bilder und Aufhängungen – zusammengefasst die Spuren und Narben der vorherigen Nutzung – lassen den Ausstellungsraum erneut eingreifen. Einmal mehr erweist sich dieser damit als wenigstens gleichberechtigter Akteur neben dem Künstler selbst. Wenngleich dessen zeichnende Hand, mit ihrer zwangsläufig sich verändernden Haltung, ebenfalls für Abweichungen hinsichtlich der Linienstärke oder des Linienabstandes verantwortlich ist, so entsteht dennoch angesichts der ,medialen Unschärfe‘ eine gewisse Unsicherheit im Hinblick auf eine gesicherte künstlerische Autorschaft. Vor der Wandzeichnung Schreibers stehend, gestaltet es sich als schwierig, die verschiedenen Medien wie z.B. die Wandoberfläche, den Raum oder dessen Spiegelung, Stifte, Lineal sowie das zeichnende Individuum und die tatsächlichen Auswirkungen der Medien im Gesamtbild klar voneinander zu differenzieren. Wer oder was bringt sich im Detail, denn nichts anderes sind die offenen Bildstrukturen der Wandzeichnung, zur Geltung und nimmt wie teil am Zusammenspiel?

Die Rolle des Künstlers, so scheint es, nähert sich dabei in ihrer Beschränkung auf die Wiederholung und Ausführung eines bereits festgelegten Prozesses dem von Roland Barthes in seinem Essay Der Tod des Autors [La mort de l‘auteur] (1968) konzipierten postmodernen Autorbegriff des scripteur an. Als ,Schreibender‘ ist dieser lediglich der Verursacher eines „Gewebe[s] von Zitaten“, ohne darin selbst als Person zu erscheinen – seine Hand zeichnet „abgelöst von jeder Stimme und geführt von einer reinen Geste der Einschreibung (nicht des Ausdrucks)“. So wie Barthes schließlich mit dem Tod des Autors die Geburt des Lesers beschlossen sieht, eröffnet auch die Wandzeichnung Schreibers dem Betrachter ein offenes Feld der Reflexion und lädt ihn ein, die Suche nach dem einen Sinn mit der Teilhabe am Zusammenspiel der Medien zu vertauschen.

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Arne Schreiber
Zwei