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Vernissage Freitag, 05.06.2009, 19:00 Uhr

Ayse Erkmens Kunst entwickelt sich aus dem konkreten Ort, an den sie zu einem Ausstellungsprojekt eingeladen wird. Der Ort kann eine Landschaft, eine Stadt oder ein Gebäude sein, immer wird auch seine Geschichte und Bedeutung mit einbezogen. Die Werke, die entstehen, tendieren dazu entweder so in ihre Umgebung oder der Architektur integriert zu sein, dass sie fast unsichtbare Interventionen sind, oder die Raumwirkung als Störfaktor zu beeinträchtigen, oder aber einen Raum visuell hervorzuheben. Dass die Künstlerin in Istanbul von 1969 bis 1977 ein Studium der Bildhauerei absolviert hat, ist ihrem Werk noch heute anzumerken. Ihr dreidimensionales Verständnis zieht sich wie ein roter Faden durch alle Medien, in denen sie arbeitet, auch in der Fotografie und im Film. Ein weiteres Kennzeichen ist die Scharfsinnigkeit, in welcher sie ihre Ideen umsetzt, was mit einer hohen Präzision in der Ausführung einhergeht. Selbst Werke, die von ihren persönlichen und irrationalen Ideen bestimmt werden, setzt Ayse Erkmen absolut logisch um. Das analytische Denken lässt ihre Kunst selbstbewusst erscheinen und macht sie über jeden Zweifel erhaben, ohne dass dabei eine spielerische Dimension verloren geht. Obwohl das Ausgangsmaterial für ihre Arbeiten unsere Realität ist, zeigt sich in ihnen eine überraschend unvoreingenommene Haltung. Ohne einen Funken Naivität hat sich Erkmen bewahrt, die Welt mit unverdorbenen Augen von Kindern zu sehen.

Für die aktuelle Ausstellung im Kunstverein Freiburg hat Ayse Erkmen die skulpturale Arbeit BLUISH in Bezug auf die Geschichte und die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes entwickelt. Dieser Gebäudeteil des ehemaligen Marienbads entstand 1938 und beherbergte bis 1982 ein öffentliches Schwimmbad – viele Freiburger haben hier schwimmen gelernt. Noch heute befindet sich das 25-Meter-Becken im Keller des Gebäudes und dient als Stauraum und Werkstatt für den Ausstellungsbetrieb. Ayse Erkmen hat es im Maßstab 1:2 aus leichtem Stoff nachbauen lassen und an Seilen hängend unterhalb der Galerie in dem heute als Ausstellungshalle genutzten Raum installiert. Die Raumhöhe bietet dem Publikum ausreichend Platz, um unter der Installation umherzuwandeln. Von der Galerie aus betrachtet, sehen die Besucher in die offene, schräg zulaufende Form hinein. Für diejenigen, die nicht mit der Geschichte des Ortes vertraut sind, ist der formgebende Bezug der Skulptur nicht unbedingt erkennbar: vom Eingangsbereich im Erdgeschoss aus betrachtet wird sie zunächst als ein einfacher blauer Kasten wahrgenommenen.

BLUISH ist in einer Reihe von vergleichbar konzipierten Installationen der Künstlerin anzusiedeln. Als erste ist hier Half of (1999) zu nennen, in der die Idee für eine skulpturale Arbeit aus den örtlichen Gegebenheiten und der alltäglichen kulturellen Praxis heraus entstand. In einer Galerie in Tokio wurden direkt unter das Dach unterschiedlich große Hohlkörper nebeneinander montiert. Diese bestanden aus handgeschöpftem Japanpapier, das um eine Holz- und Metallverstrebung gelegt war. Das Maß der Hohlkörper bezog sich auf das Raummaß der Galerie, das jeweils halbiert wurde, so dass fünf Quader in Größe der Hälfte, eines Viertels, eines Achtels und so fort von der Decke hingen. Die ostasiatische Kultur des Landes begründete die Ästhetik in dieser Installation: die Hohlkörper wurden nach dem Vorbild der Araki-Lampen des amerikanisch-japanischen Designers Isamu Noguchi angefertigt.

Sechs Jahre später entwarf Ayse Erkmen für die Akademie der Künste in Berlin die Installation Half of Each (2005). Auch hier hingen an der Decke dicht gedrängt fünf aus Japanpapier angefertigte Hohlkörper. Sie nahmen die Maße von ebenso vielen damals gerade neu renovierten historischen Räumen des Gebäudes am Hanseatenweg auf, denen jeweils die halbe Kantenlänge der realen Räume als Basis diente. Dadurch, dass die Kuben sich visuell nicht sehr von dem Aussehen des Raumes unterschieden, entstand beinahe der Eindruck, sie seien Teil der Architektur. Der Titel der Installation wies auf den historischen Hintergrund der Akademie, die nach dem 2. Weltkrieg bis 1993 in der geteilten Stadt parallel in zwei unabhängigen Instituten bestand.

BLUISH ist die dritte Installation in der Reihe, gleichwohl sich das Werk von den beiden früheren bereits formal insofern unterscheidet, als es unterhalb des Obergeschosses frei im Raum verortet ist. Von oben betrachtet, bietet sich der Blick in die offene Form des Schwimmbeckens. Trotz der regelmäßigen gezogenen schwarzen Spannseile im Inneren der Form, die bewirken dass die langen Seitenwände aufrecht stehen, lädt die Nähe der blauen Bodenfläche regelrecht zu einem Sprung ins Becken ein – wie damals, als sich die mutigsten Schwimmer verbotener Weise von der hohen Galerie ins Wasser stürzten. Darüber hinaus wirkt sich die Anbringung der Skulptur in halber Höhe auf die Inszenierung der Installation insgesamt aus, da sie dramatisiert wird.

BLUISH ist in zwei unterschiedlichen Traditionen verankert. Zum einen gehört sie der ortsspezifischen Kunst an, in welcher der Freiburger Ausstellungsraum den Referenz- und Bezugsrahmen für das Projekt bildet. Als Object Trouvé wird der Raum Teil der Installation. Zum anderen steht die Installation mit der abstrakten Skulptur im Bezug zur Minimal Art. Die geometrische Form ist auf die wesentlichen Determinanten eines Rechtecks reduziert und so in das Verhältnis des Umraumes gesetzt, dass es die Ausstellungshalle besonders zur Geltung bringt. Denn die schlichte Form lenkt die Aufmerksamkeit auf die raumfunktionalen und architektonischen Aspekte des ehemaligen Marienbads. In ihrer Leichtigkeit steht sie im starken Kontrast zu der Monumentalität des Raumes, dessen Schwere sie geradezu betont. Zudem erfüllt das Material, aus dem die Skulptur gefertigt wurde, bestimmte Funktionen. Der Nylonstoff und die konstruktiven Elemente der Glasfaser- und Kohlefaserrohre werden im Kite-Sport zur Herstellung von Drachen verwendet und garantieren das notwendig leichte Gewicht von Flugobjekten. Die Skulptur, die nur mit Seilen am Galeriegeländer verschnürt ist und daher im Raum zu schweben scheint, hat keine Funktion. Sie ist weder als Flugobjekt noch als Schwimmbecken zu gebrauchen, jedoch eröffnen die vorhandenen Referenzen eine Erzählung über den Ort. Als leuchtender Körper wird die Skulptur zu einem Bild, das etwas über den Raum erzählt und den Ausstellungsraum physisch erfahrbar werden lässt. Darüber hinaus ist sie eine Art Zeitmaschine, sie verknüpft die Vergangenheit mit der Gegenwart. Als Installation hält sie die Erinnerung an das Schwimmbad lebendig. Im metaphorischen Sinne entschwebt das Becken dem Raum und hüllt die unter ihr stehenden Besucher in einen blauen Schatten. Er erinnert zugleich an Wasser oder Himmel und seine Lage, so wie die Intensität, ändert sich je nach Tageszeit durch den Lichteinfall durch das Glasdach. Treffend für die Installation ist daher der vage Ausstellungstitel BLUISH. Kein konkretes Blau wir bezeichnet, etwa das eines mit Wasser gefüllten Schwimmbeckens oder dem des Himmels, in dem ein Drachen schwebt. Vielmehr wird auf die unterschiedlichen Qualitäten und somit Möglichkeiten von Blau verwiesen. Der Titel spiegelt die assoziative Kraft des Werks, das dem strengen Minimalismus wieder entkommt und sich dem Imaginären öffnet.

Für die Ausstellung hat Ayse Erkmen mit dem Video Wet to Dry (2009) ein weiteres neues Werk geschaffen. In dem Loop ist die Rückenansicht des Oberkörpers einer jungen Frau zu sehen. In der rechten Hand hält sie einen Föhn, mit der linken streicht sie durch die mittellangen braunen Haare. In Echtzeit wird die Veränderung der nassen und trägen Haarmasse hin zum luftigen und herumwirbelnden Haare festgehalten. Nicht nur wird auf die Aktivität eines Schwimmbadbesuchs hingewiesen, zudem das Haaretrocknen für viele Menschen dazugehört. Das Video korrespondiert ebenso mit der Idee des Wassers, das nicht länger im Schwimmbecken ist, sondern sich in das Bild des Himmels verflüchtigt hat. Außerdem dokumentiert es den Prozess, der in der Installation in der Spannung besteht, zwischen dem optisch schweren und statischen Eindruck der monumentalen Architektur und der schwerelos erscheinenden Skulptur im Raum.

Scenic Overlook (2005) ist eine Projektion von landschaftlich reizvollen Ansichten unterschiedlicher Länder, die aus einem Bildarchiv stammen. Normalerweise sind sie in Reiseprospekten oder auf Postkarten zu finden. Die einzelnen Fotografien laden sich von oben nach unten – wie große Bilddateien auf dem Computerbildschirm – zentimeterweise herunter. Sobald ein Motiv vollständig, im Overlook erscheint, wird die leere Projektionsfläche wieder eingeblendet und das Spiel beginnt erneut. Im Zusammenhang der Ausstellung wird hier der Kippmoment von der Abstraktion zum Bild festgehalten, vergleichbar mit der großen blauen Skulptur, die erst als Schwimmbecken wahrgenommen Vorstellungen auslöst. Analog dazu wird das Verhältnis von Innen und Außen aufgegriffen. In der Projektion wird die Grenze dafür von der scharf gezogenen waagerechten Linie zwischen Fotografie und leerer Fläche markiert. In der Abfolge der Bildsequenzen wird die Fläche rhythmisch so lange reduziert bis sie sich im Boden ganz auflöst und uns mit einer wandfüllenden Außenansicht konfrontiert. Die Linie bildet den Horizont zwischen Himmel und Erde, wie in der Installation BLUISH der Boden unter unseren Füßen der Grund ist über den sich die blaue Skulptur gegen den Himmel hin bewegt.

Ayse Erkmen (*1949 in Istanbul) wohnt in Istanbul und seit den 1990er Jahren auch in Berlin.1993 verbrachte sie erstmals ein Jahr im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Berlin. 1998 hatte sie die Arnold-Bode-Professur im Fachbereich Kunst an der Gesamthochschule Kassel inne. 2001 bis 2005 folgte eine Professur an der Städelschule Frankfurt am Main. 2002 erhielt die Künstlerin den renommierten Maria-Sibylla-Merian Preis des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Ihr Werk wurde weltweit in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Im letzten Jahr hat die Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin Erkmen eine umfassende Einzelausstellung gewidmet.

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