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Wer bislang nur mit Benedikt Hipps frühen Arbeiten vertraut war, wird angesichts dieser Ausstellung vielleicht überrascht sein. Bildeten anfänglich Gemälde mit rätselhaften Bühnensituationen vor dunklen Hintergründen den Schwerpunkt seines Werks, so haben wir es nun mit einem komplexen, vielgestaltigen Parcours zu tun: kleinformatige Gemälde in hellen Farbtönen und Zeichnungen mit Collagen-Einsprengseln, installative Arrangements aus Elementen wie Plastiken, Readymades und objets trouvés. Ein Metallgestänge trifft auf einen Bronzeabguss zweier Hände trifft auf ein goldenes sackartiges Gebilde trifft auf stereometrische Formgefüge treffen auf billige Plastikblumen (Raum 1), nebenan entwächst ein versilberter Pferdekopf, gleich einem animalischen Reliquiar, einem Schreibtisch aus den 1930er Jahren (Raum 2). Es sind bizarre Zusammenfügungen von ge-fundenen und er-fundenen Objekten, deren Syntax zwar eine Narration suggeriert und die sich in Analogie zu Satzbausteinen analysieren lassen. Doch die Bedeutung dieser Narration verglüht letztlich in der Binnenwelt der Bilder und Artefakte. Hipp ist kein Linguist mit Hang zur Kunst, sondern ein Phänomenologe, der gleichsam Bildwissenschaft mit bildnerischen Mitteln betreibt. So sind die für ihn typischen gesichtslosen Figuren, denen wir auch in den Gemälden dieser Ausstellung begegnen, keine „Identifikationsfiguren" für den Betrachter, sondern "In-dentifikationsfiguren". Sie erschweren die projektive Kontemplation, verweisen auf die Bildlichkeit des Bildes, und werfen so die Betrachter auf sich selbst zurück, auf ihre eigene Situation, auf ihre eigenen Körper. Und wo der Körper ist, da ist das Fleisch.

Dass Hipp in seiner Serie „Großes Fleischopfer“ (Raum 1) an Votivdarstellungen erinnernde Zeichnungen präsentiert, in denen rohe Fleischstücke wie Funken aufleuchten, ist ein weiteres Novum. Und doch überrascht es nicht, führt man sich die subtileren Implikationen von Hipps Faszination für die Binnenwelten und Eigengesetzlichkeiten der Bilder vor Augen. Die virtuellen Welten der Bilder sind nur möglich, solange ein Betrachter aus Fleisch und Blut vor ihnen steht; ein lebendiges Wesen, das die „ikonische Differenz“ (Gottfried Boehm), also die Virtualität der Bildobjekte, als solche wahrnimmt. Doch die Sache ist ein wenig komplizierter. Denn der Mensch erkennt in seiner Eitelkeit die Bilder nur deshalb als Bilder, weil er selbst schon – Bild ist. Die ikonische Differenz trägt er in sich selbst, durchaus im Sinne des christlichen Schöpfungsmythos, in welchem Gott bekanntlich als der erste Bio-Artist reüssiert.

Seit den transikonischen Experimenten des Allmächtigen musste der Mensch zwangsläufig als „empirisch-transzendentale Dublette“ (Michel Foucault) gelten, als „Di-viduum“ aus konkretem Stoff und abstrakter Form – oder vice versa. Genau in diesem Sinne sind auch Bilder physische Dinge, die beständig ihr eigenes ‚Fleisch’ transzendieren und etwas zeigen, das sie selbst nicht sind. Es ist müßig, mit ihnen eine Verbindung eingehen zu wollen, indem wir mimetische Pendants unserer selbst in ihnen suchen. Die Bildbetrachtung als solche ist im Kern eine zutiefst narzisstische Angelegenheit, gewissermaßen eine mentale Masturbation – frei nach Kurt Tucholsky: „Der Mensch besteht aus Knochen, Fleisch, Blut, Speichel, Zellen und Eitelkeit.“ Wir identifizieren Gleiches via Differenzierung und Differentes via Analogiebildung. Das monotheistische Bildanbetungsverbot ist de facto ein Selbstanbetungsverbot. Insofern speist sich die Eigengesetzlichkeit der Bilder paradoxerweise aus einem Gesetzbuch fremder Richter.

Wenn Hipp nun, wie in einem phänomenologisch-hermeneutischen Barbecue, das Fleisch auf den Rost der Farbe und der Linie legt, so nicht, um auf das vermeintlich ‚Andere’ der Bilder zu verweisen, auf das Leben, auf das Blut, auf die Energie, auf den Körper – ebensowenig, wie die Secession seiner Bildobjekte in die dritte Dimension, welche seit einigen Jahren der bestimmende Zug seines Werks ist, eine Abkehr von seinem bildnerisch-bildwissenschaftlichen Ansatz bedeutet. Im Kontext seiner bisherigen Arbeiten und seines bisherigen Interesses legt die neue Serie eher nahe, dass das Fleisch immer schon ‚im Bild’ und ‚abstrakt’ war, wie die Bilder ihrerseits immer schon der Verkörperung bedurften. Konsequenterweise erscheinen die Fleischstücke bei Hipp wie selbstverständlich als Elemente abstrakter Kompositionen. Dass wir alle Fleisch sind, wie Francis Bacon einmal lapidar postulierte („we are meat“), ist spätestens seit dem Johannes-Evangelium ein theologischer truism. Man müsste dem epochemachenden Satz „und das Wort ward Fleisch“ allerdings hinzufügen: „Und das Fleisch ward Bild“ – und vielleicht noch in einer Fußnote anmerken, dass auch die Sprache intrinsisch bildlich ist, nämlich metaphorisch per se. Mögen auch die radikalsten Materialisten sich als ‚Nur-Fleisch’ beschreiben, so spricht hier doch ein sich selbst als ‚nur-fleischlich’ beschreibendes und sich selbst eidetisch reflektierendes Fleisch zu uns, ein paradoxes Fleisch also, das seine geistige Seite negiert wie die Bilder, gewissermaßen auf umgekehrt symmetrische Weise, ihre materielle Seite im Akt der Betrachtung negieren. Joerg Scheller

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Benedikt Hipp
Bleibsel als Reflex