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Benjamin Houlihan
07.09.2019 - 05.10.2019

Dies ist die sechste Einzelausstellung von Benjamin Houlihan in der Thomas Rehbein Galerie. Der 1975 in Olpe geborene Künstler erhielt im Mai 2019 den Lothar-Fischer-Preis. 2020 findet eine umfassende Einzelausstellung des Preisträgers im Lothar-Fischer Museum/ Neumarkt statt. Mitunter wurde die idealtypische Geschlossenheit der Form in der Kunst brutal aufgebrochen. Avantgardistische Bewegungen wie Kubismus, Dadaismus und Surrealismus trieben den Bruch mit dem herrschenden Kanon und der ästhetischen Konvention voran, aus dem die befreite, jedoch zugleich fragmentierte, zersplitterte Form hervorging. Den jüngsten Werken von Benjamin Houlihan liegt weniger ein emanzipatorischer, gar provokativer Akt zugrunde, sondern vielmehr die konzentrierte Beschäftigung mit Gestaltungsprinzipien und formalen Möglichkeiten. Die Auseinandersetzung mit den einstigen Idealen von Einheitlichkeit und Vollkommenheit, Symmetrie und Schönheit erfolgt spielerisch und dient dazu, die Brüchigkeit der Form bzw. Figur in ihrer Vielseitigkeit auszuschöpfen. Für die in der Ausstellung gezeigten Skulpturen und Zeichnungen orientiert sich der Künstler am Prinzip des Klappbilderbuchs, dessen Seiten – versehen mit Abbildungen von Tieren oder Menschen in typischer Haltung und Tracht – in einzelne Abschnitte zerteilt sind. Durch das getrennte Umblättern werden die jeweiligen Körperpartien der dargestellten Figuren, und damit ihre distinktiven Merkmale, durchmischt und neu kombiniert. Schräge, nicht mehr eindeutig identifizierbare Formfindungen bzw. Mischwesen entstehen. Entsprechend falzt Houlihan ein Blatt Papier in gleichgroße Abschnitte, die er umklappt und mit zeichnerischen Mitteln ausfüllt, wobei diese uneinheitlichen Setzungen durch eine übergeordnete Idee von Form oder Figur lose zusammengehalten werden. In solchen Fällen folgt der Künstler zwar einem gedanklichen Bild von einem Stuhl, einer Banane, einem Heizkörper, einem Gesicht oder einer Vase, jedoch ist die Gliederung der Zeichnung losgelöst von einem logischen Aufbau der jeweiligen Form/Figur. Stattdessen ist die Komposition durch die Falttechnik und damit die Aufteilung in einzelne Felder bestimmt. Diese Segmentierung bewirkt die Loslösung der einzelnen untergeordneten Einheiten aus dem geschlossenen formalen Gesamtzusammenhang, zumal sich auch der zeichnerische Vorgang in einzelnen, mitunter zeitlich versetzten, Schritten vollzieht: Der Stift wird in jedem Abschnitt neu angesetzt, die Linie an der Knickkante aufgehalten, der Strich kommt zum plötzlichen Ende. Sprünge entstehen, wodurch das einheitliche bzw. ganzheitliche Bild unterbrochen wird und in Formfragmente zerlegt erscheint. Zur weiteren Verfremdung und fragmentarischen Anmutung der einzelnen Partien tragen auch die verwendeten stilistischen Mittel bei. Ein Gesicht ist in vier Segmente unterteilt, die - obgleich allesamt zeichnerisch - vollkommen verschiedenartige künstlerische Darstellungsarten vorführen. Während das Haupthaar mit sparsam und sorgfältig nebeneinander gesetzten Strichen in Bleistift gezeichnet ist, sind die darunter gelagerten Augenhöhlen in tiefschwarzer Tusche lavierend ausgeführt. Ein Abschnitt weiter stellt sich die stark abstrahierte Kinnpartie als Netzwerk aus hellen Kurven dar , umgeben von dichten Grafitschraffuren. Als zarte, gleichsam angedeutete Grafitspuren offenbaren sich die Kontur des Halses und der Ausschnitt eines Rundhalsshirts. Im abrupten Wechsel zwischen zweidimensionaler und dreidimensionaler Darstellung koexistieren divergierende Formauffassungen auf einem Blatt: Rein grafische Partien treffen übergangslos auf plastisch modellierte oder auf flächig verdichtete Zonen. Stuhl, Banane, Heizkörper, Gesicht und Vase erscheinen durch diese spielerische Kombinatorik unvereinbarer Gestaltungsweisen, die zwischen Abstraktion und Figuration changieren, grundsätzlich uneinheitlich. Auch die Skulptur einer Banane ist zwar aus einem Guss, dennoch wurde der Zinnabguss von vier zusammengesetzten Stücken unterschiedlicher Bananen gefertigt – allerdings unter Beibehaltung der natürlichen Ordnung der Abschnitte. Diese vier gegeneinander verschobenen, verrutschten Teilstücke sind in einem prekären Balanceakt vereint, slapstickhaft ringen sie um Gleichgewicht. Mit einem verschmitzten Augenzwinkern scheint Houlihan bildhauerische Überlegungen zu Statik und Stabilität, sowie ein symmetrisches Austarieren zu parodieren. Zwar fügen sich disparate Elemente in einer Zeichnung oder Skulptur zusammen, die offensichtliche Brüchigkeit der Gestalt bleibt jedoch bestehen. Nicht die Summe ihrer Bestandteile ergibt die Identität der neuen Kreation, die mit sich keinesfalls identisch sein kann, besteht sie doch aus einer heterogenen Ansammlung von Versatzstücken. Wie bei den hybriden Gestalten der Klappbilderbücher wohnt auch den bildnerischen Erzeugnissen von Houlihan eine diskrepante Natur inne. Diese groteske – an Frankenstein gemahnende – Vielheit wird durch die forcierte Einheitlichkeit der Gestalt nicht überwunden. Es geht also hier nicht um die Zerlegung eines Gegenstands und die Zusammenfügung der Einzelteile wie bei einem Puzzle, zur Wiederherstellung der verlorenen Einheit. Hier wird nichts repariert, keine weichen Übergänge geschaffen, Bruchstellen kaschiert. Die Dekonstruktion bleibt sichtbar, denn es geht hier vielmehr darum, den Gegenstand zu verrücken, um ihn besser zu sehen. Die Unvereinbarkeit der einzelnen Formabschnitte bedeutet die Veränderung des Blicks – die Beobachtung des Gegenstands, Abschnitt für Abschnitt. Während der Betrachtung kippt der Gegenstand und verschiedene Ansichten und Facetten kommen zum Vorschein. Ob frontal, seitlich, in Aufsicht, in Untersicht: Houlihan spielt mit den Dimensionen, springt zwischen den Blickwinkeln und Perspektiven hin und her. Letztlich zeigt sich in der Verschiebung der Wahrnehmung die Verwandlung des dargestellten Sujets im Auge des Künstlers – und des Betrachters.