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Anfangs sind es unzählige Punkte, die über die großformatige Leinwand verstreut auf sich aufmerksam machen. Einzeln oder zu Konglomeraten verdichtet, oftmals auch zu schmalen Streifen vereint, saugen sie die Blicke aus weiter Entfernung an, um den Betrachter in seiner Wahrnehmung zu irritieren. Fragend ertasten die suchenden Augen die Arbeiten in der Hoffnung auf den Moment des Verstehens, der die Ungewissheit der Abstraktion eliminiert. Zentralperspektivisch ausgerichtete Linienführungen suggerieren unwillkürlich räumliche Tiefe, die den Arbeiten ihre Zweidimensionalität nimmt. Vermutungen über ein Motiv stellen sich ein, wodurch sich die Abstraktion in Gegenständlichkeit wandelt. Bestätigt durch den Titel "LA" zeigt sich plötzlich der Blick von erhöhtem Standpunkt auf das in die Weite führende Lichtermeer der Stadt Los Angeles bei Nacht. Die einstige Haltlosigkeit ist für den Moment gebrochen und erlaubt beinah romantische Augenblicke der Erkenntnis, die Bilder aus dem kollektiven Gedächtnis evoziert. Vom Griffith Park Planetarium auf den Hügeln von LA gleiten die Blicke über die erleuchtete Stadt, fremd und doch so vertraut, als wäre der eigene Besuch erst kürzlich beendet.

Die in Düsseldorf lebende Künstlerin Birgit Jensen, geboren 1957, zwingt den Betrachter ihrer meist großformatigen Arbeiten aus der Entfernung an die Leinwand, wobei das Bild des erleuchteten Stadtpanoramas allmählich an Substanz verliert. Das im Geiste entschlüsselte Motiv mutiert zusehends wieder zu einer Addition von Flecken und Punkten, die der erhofften Informationsvermehrung entgegenläuft.

Birgit Jensen ist Malerin. Sämtliche Arbeiten der LA-Serie sind mit Farbe auf Leinwand erstellt. Auch wenn der Eindruck anderes vermittelt, handelt es sich, wie die Künstlerin erklärt, um "Malerei und es sind Bilder". Jensen verzichtet indessen auf den manuellen Duktus des Pinsels, sondern bedient sich des Siebdruckverfahrens, das sie bis zu den großen Formaten von 125 x 280 cm ausreizt. Fotografien der verschiedenen Ansichten vom Griffith Park Planetarium auf das nächtliche Los Angeles rastert die Künstlerin am Computer auf und druckt sie nach der Anfertigung der entsprechenden Siebe in meist zwei Farben auf den Malgrund.

Eine weitere Folge von Bildern ist die der Moirés. Wiederum in Form von Siebdrucken bringt Birgit Jensen hier zwei bis vier Farben auf die Leinwand, die in der Regel kleiner ist, als die der LA-Serie. Je nach Anzahl der Farbschichten sowie der Ausrichtung der einzelnen Raster bilden sich Verdichtungen und lockere Punktansammlungen, die dem Auge als Vertiefung oder Aufwerfung der Oberfläche erscheinen. Manches Moiré vermittelt den Eindruck gleichmäßig welliger Strukturen, wohingegen andere vereinzelte Zentren aufweisen. Ähnlich den Arbeiten aus der LA-Serie, begibt sich das Auge auf die Suche nach einem hintergründigen Sujet, einer Szene oder einem Bild, das lediglich durch die Bearbeitung am Computer verfremdet ist. Einzelne Arbeiten bieten diesen Überlegungen Nährstoff, da sie durch das Spiel von Hell/Dunkel entfernt an Gesichter erinnern oder andere Gestalten der Fantasie evozieren. Tatsächlicher Ausgangspunkt der Arbeiten aber ist eine bewegte Wasseroberfläche mit vereinzelten Lichtreflexen, die in sich unzählige Variationen von "Bildern" trägt. Durch ihre eigenen Bewegungen erzeugt die Wasseroberfläche eine Vielzahl von Eindrücken, die farblich variiert an Rätselhaftigkeit gewinnen. Wie beim Blick auf Los Angeles spielen die Arbeiten mit der Wahrnehmung, deren Anspruch auf finale Gültigkeit unterwandert wird.

Birgit Jensens Arbeiten thematisieren nicht die vordergründige Bildanalyse im klassischen Sinne, sondern sie kreisen vielmehr um den Prozess der Hinterfragung von Sehen und Erkennen. Der Blick auf die Dinge, wie ihn die Künstlerin in ihrem Werk erörtert, führt in kontinuierlicher Bewegung vom Bild über das Raster zum Bild. Scheinbare Antworten stellen immer wieder neue Fragen, die ihrerseits nach Klärung trachten. Hierin liegt die Konsequenz der Arbeiten von Birgit Jensen. Alles weitere ist Ansichtssache.

Christian Krausch

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Birgit Jensen: Ansichtssachen