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Bruce Conner. Light out of Darkness
(Danse Macabre No. VI)

5. Mai – 28. November 2021

Bruce Conners (1933–2008) kritische Haltung zur Kunstwelt ist ebenso legendär wie sein Ruf als Vater des Videoclips. Er ist einer der herausragenden Künstler des 20. Jahrhunderts – ein ‹Artists Artist›. Die Ausstellung «Bruce Conner. Light out of Darkness» ist vom 5. Mai bis 28. November im Museum Tinguely zu sehen und stellt sein experimentelles filmisches Werk mit einer repräsentativen Auswahl von neun Filmen vor, darunter die Arbeit CROSSROADS (1976), die Filmmaterial des ersten US-Unterwasser-Atombombentests von 1946 beim Bikini Atoll zu einer 36-minütigen Studie über Horror und Sublimität dieses apokalyptischen Ereignisses zusammenfügt. Sein Schaffen in unterschiedlichen Medien ist radikal und vielseitig, von berückender Schönheit und erschreckender Düsterheit, politisch, subversiv und von einer unmittelbaren sinnlichen Kraft, die unter die Haut geht. Viele seiner frühen Collagen, Assemblagen und Installationen sind nur selten zu sehen, weil sie – aus armen, ephemeren Materialien wie Nylon, Wachs oder verschlissenen Textilien zusammengefügt – hochfragil sind. Conners Haltung ist anarchistisch, geprägt von beissender Ironie, grenzenloser Dedikation und grösstmöglicher Ferne zum Kunstmarkt.

Die Ausstellung Light out of Darkness referiert auf ein nicht realisiertes Einzelausstellungsprojekt mit demselben Titel für das University Art Museum in Berkeley Mitte der 1980er Jahre. Es scheiterte nicht zuletzt aufgrund von Conners Kompromisslosigkeit im Umgang mit Institutionen, die Regeln im Umgang mit Kunst und Künstler*innen aufstellen, die er nicht akzeptieren wollte. «Licht aus Dunkelheit» betont den experimentellen Charakter seines Filmschaffens, das besonders in den frühen Arbeiten einer fulminanten Befragung perzeptiver Möglichkeiten gleicht. Als symbolische Dualität steht Licht und Dunkelheit für das Denken des Künstlers in Gegensätzen, Metaphern und Mystizismen.

MEA CULPA

MEA CULPA ist ein Meisterwerk des visuellen Samplings. Conner fokussiert sich auf das Recycling historischer Grafik-Animationen von Physik-Lehrfilmen. Über dem sich wiederholten ‹Basso Continuo› von Darstellungen des elektrischen Stromflusses und der Visualisierung thermodynamischer Effekte illustriert er den pulsierenden Rhythmus des Musikstücks mit Polaritäten zwischen Schwarz und Weiss, sich fortpflanzenden Bewegungen durch kollidierende Punkte und Körper, und stroboskopischen visuellen Attacken. Die Initiative für die Zusammenarbeit ging von David Byrne aus, der von Conners Filmen seit seiner Studienzeit begeistert war. In der experimentellen Kooperation von Byrne und Brian Eno für das Album My Life in the Bush of Ghosts verwendeten die zwei Musiker ausschliesslich vorgefundene Stimm-Samples.

Obwohl Conners Filme aus Copyright-Gründen kaum auf MTV gespielt wurden, prägten seine Filmtechniken des Jump Cut, der Flash Frames und Flickerings, des Reverse Editing, des Fast Cutting, der Doppel- und Mehrfachbelichtungen und der Verwendung gefundenen Materials den Experimentalfilm seiner Zeit und später auch die frühe Phase der MTV-Musikvideos.

CROSSROADS

Mit ‹Operation Crossroads› bezeichnete die US-Armee eine Reihe von Atombomben-Versuchen, die im Sommer 1946 beim Bikini-Atoll im Pazifik durchgeführt wurden. Conner gelingt es, Aufzeichnungen der zweiten, ‹Baker› genannten Explosion zu erhalten, die in den National Archives unter Verschluss gehalten wurden. Mit ‹Baker› sollte untersucht werden, wie sich eine submarine Explosion auf Schiffe in der unmittelbaren Umgebung auswirkte. Dafür verwendete man vor allem erbeutete japanische Kriegsschiffe, die im Umkreis positioniert wurden. Um das Ereignis aufzuzeichnen, setzte die US-Army hunderte von Kameras zu Land, auf See und in der Luft ein, um den Moment der Detonation aus allen Perspektiven, teils mit Hochgeschwindigkeitskameras aufzuzeichnen.

Mit den Aufzeichnungen von ‹Baker› ist nicht nur ein Bild des atomaren Horrors verknüpft, sondern auch vorher ungesehene, hochästhetische Phänomene visualisierter elementarer physikalischer Wucht: die Symmetrie des Atompilzes mit einem Schirm aus heissem Dampf und kilometerhoch emporgeschleudertem Material, das diesen bekrönte; der klar abgegrenzte zylindrische Schaft der Wassersäule mit der pudrigen Textur horizontaler Auswürfe; die sich horizontal und vertikal exzentrisch in Schall- und Überschallgeschwindigkeit ausbreitenden Ringe von Bewegungsenergien. In diesen Bildern findet Conner das Erhabene und visuelle Exuberanz, mit denen er – ohne sie weiter zu bearbeiten – durch Wiederholung und Aneinanderreihung einen dramatischen Film schaffen kann. Er findet in ihnen auch einzigartige, massenmedial verbreitete Ikonen, die das Bild von Atombomben-Explosionen bis heute prägen. Die Tonspur trägt im ersten Teil Patrick Gleeson mit einer atmosphärischen, auf die mittelbare Präsenz hin synthetisierten Tonspur bei. Terry Riley komponiert den hypnotisierenden elektronischen Sound des zweiten Filmteils.

A MOVIE

Mit einem Produktionsbudget von drei US-Dollar collagiert Conner 1958 seinen ersten Film aus ‹found footage› von Nachrichtensendungen, B-Movies und filmtechnischer Grafik. Mit diesem radikalen Filmexperiment de- und rekonstruiert er Techniken des Filmschaffens und des Storytellings und lotet gleichzeitig die Grenzen des retinal Wahrnehmbaren durch Effekte der Überreizung, Blendung, Überblendung und der Verwendung von Nachbild-Effekten aus. A MOVIE verknüpft einen Überschuss an dramatischen Filmhöhepunkten zu einer neuen, offenen und mehrfach lesbaren Abfolge von Handlungen ohne Anfang und Ende – zu einem ‹Méta-Film›. In diesem wird der Countdown – unterbrochen durch den parasitären Einschub einer beinahe nackten Frau, die ihren Strumpf auszieht – zu einem integralen Bestandteil der Handlung. Der Titel A MOVIE wiederholt sich ebenso penetrant wie die Einblendung von «THE END» oder der Name des Autors «BRUCE CONNER».

Verfolgungsszenen mit Reitern und Planwagen aus einem Western werden durch Aneinanderreihung zu einem grossen Rennen mit Elefanten, Dampflokomotiven und Autos, an die sich Szenen von Unfällen und Desastern anknüpfen. Ein U-Boot Kapitän erblickt durch das Periskop ein Pin-Up Girl und feuert darauf einen Torpedo ab, der eine atomare Explosion auslöst, die grosse Wellen auslöst, die Boote zum Kentern und Wasserskifahrer zum Stürzen bringt. Conners Spiel ist humorvoll und tragisch zugleich. Es zeigt, wie machtvoll Inhalte durch choreografierte Medienbilder gesteuert werden und welch starken Effekt die Musik auf die Wahrnehmung hat – so beispielsweise, wenn ein Bild getöteter Soldaten mit einem heroischen Fortissimo von Ottorino Respighis Pini di Roma unterlegt ist.

Erstmals überhaupt ist A MOVIE als Rückprojektion in einem Kubus von 3x3 Metern zu sehen und löst so den damals nicht realisierbaren Wunsch des Künstlers nach grösstmöglicher Präsenz ein. Als Loop hat er keinen Anfang und kein Ende. In Conners Vorstellung hätte der Film durch ständig wechselnde akustische Interventionen noch ergänzt und so zusätzlich immer wieder neu erfahren werden sollen. Es ist für Conners Werke bezeichnend, dass sie immer wieder neu gesehen und gelesen werden können.