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Gebrannte Kinder

Die Zwangslage als Dauerzustand – Caro Suerkempers Bildheldinnen meistern sie mit Geduld und akrobatischem Körpereinsatz: Sie harren aus in ritualisierter Fesselung durch Bandagen oder Trachtenmieder. Dabei repräsentieren die entblößten Frauen, die als raffiniert geschnürte Bündel auftreten, nur scheinbar eine andere Welt als die verhüllten, zu folkloristischen Schmuckstücken veredelten Trachtenträgerinnen. Ob züchtig oder verrucht, schrill oder verhalten – letztlich bleiben alle Figuren eingebunden in ein Geflecht der Reglements und Konventionen; noch in der extravagantesten Selbstdarstellung steckt fremdbestimmtes Rollenspiel. Diesen Zwiespalt offenbaren viele Akteurinnen durch eine irritierende Distanz zu den Rollen, die sie verkörpern. Oft wirken sie wie Laiendarstellerinnen bei professionellen Fotoaufnahmen: ertappt, unbehaglich und linkisch. Misstrauische Blicke unter gestärkten Hauben oder verschämte Augenaufschläge in schamloser Pose verraten ihre Haltlosigkeit in den Korsagen der Codes. Zumeist allein und ausgesetzt, verstricken Suerkempers Figuren den Betrachter in ihr Tun, fesseln ihn mit Fragen nach den Mechanismen von Verführung und Gefügigkeit, Lust und Kontrolle, Macht und Ohnmacht.

Caro Suerkemper formuliert ihr Interesse an Spielregeln und Ordnungssystemen mit Witz, Biss und einem Sinn für das Skurrile. Immer wieder sucht sie die ungelenken Gesten und entgleisten Mienen, gibt ihren Protagonistinnen die Kugelaugen und Ballonbrüste von Comicwesen. Die Übungen in Unfreiheit, die ihre Figuren absolvieren, kombiniert Suerkemper mit einer Freiheit der Farben; sie können pulsierendes Eigenleben gewinnen, während sie sich von der dienenden Funktion der Formbeschreibung verabschieden. Zart oder grell, prismatisch oder wolkig deuten die Farben Stimmungsräume oder Wunschwelten an, erhöhen den suspense der fixierten Momente, indem sie sich der erklärenden Hintergrundinformation verweigern. So bleiben viele Bildszenen ort- und zeitlose Erscheinungen auf dem Weiß des Papiers oder des Porzellans.

Das Porzellan als Malgrund hat Caro Suerkemper erst kürzlich für sich entdeckt. Doch schon seit langem dehnt sie ihre künstlerische Auseinandersetzung mit normierten Lebenswelten aus – etwa auf die Präsentationweisen ihrer Aquarelle und Gouachen: Suerkemper integriert sie liebevoll in altmodisch ausstaffierte Puppenhäuser oder arrangiert sie auf gedrechselten Regalen, wie man sie aus Bauerstuben kennt. Fasziniert von den Reservaten der biederen Behaglichkeit und der röhrenden Hirsche, dringt sie nun auch in die Schatzkammern der gutbürgerlichen Ideologie vor und erobert ihre Kronjuwelen: Sammeltasse, Bonbondose und Konfektschale. Als Arena für Caro Suerkempers Akrobatinnen, Bet- und Krankenschwestern, für ihre mürrischen Trachtentanten und schüchternen Pornoqueens wird Großmutters Zierteller zu einem Brennglas höchst aktueller Spannungen. In farbenfroher Glasur reizen Suerkempers Fayencen den Appetit des Betrachters – und lassen ihn lustvoll im Zweifel, was hier wohl serviert wird.

Dr. Karsten Müller

Pressetext

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Caro Suerkemper