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Wie konstruieren wir Wirklichkeit? Welche Rolle spielen dabei die individuelle wie die kollektive Erinnerung? Lassen sich Erinnerung und Wirklichkeit in ein Bild übertragen? Das sind die zentralen Fragen, die Christian Haakes künstlerisches Werk antreiben.

Christian Haake (*1969 in Bremerhaven, lebt in Bremen) baut Erinnerung. Oder vielmehr baut er seine erinnerten, inneren Bilder in präzise durchgearbeiteten Objekten und Installationen auf eine Weise nach, dass seine Sehangebote an die kollektive Erinnerung der Betrachter/innen anknüpfen und so ein neues Bild unserer Wirklichkeit entwerfen. Dabei geht es ihm nicht darum, einen Deckungsabgleich zu erzeugen, sondern um die Differenz, die als feiner Riss zwischen den Ebenen von Wirklichkeit, Wahrnehmung und erinnertem Bild verläuft. Es geht weniger um Bestätigung als um subtile Destabilisierung mit immens poetischem Potential. Haake greift dabei auf Erinnerung als Wirklichkeit generierende Kraft zurück – mit der Idee, dass Erinnerung, so fehler- und lückenhaft sie sein mag, ein vielleicht „echteres“ Bild von Wirklichkeit vermittelt, als es diese selbst leisten kann. So fertigt er seine Arbeiten etwa ohne gedächtnisstützende Fotos mit dem Risiko und sogar dem Wunsch, dass sich minimale Verschiebungen auftun, die in ihrer Summe ein neues, aber stimmiges Bild ergeben.

Christian Haakes gebaute Wirklichkeitsbilder fußen auf Erinnerung und suchen gleichzeitig die Distanz zur Realität, indem sie als maßstabsverschobene Modelle ganz offensichtlich nicht deren direktes Abbild sein wollen. Für seine Ausstellung White Elephant in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst hat der Künstler das Modell eines verlassenen Ladeneingangs im Stil der 1960er Jahre in den stark gelängten Raum der Institution eingepasst. Die vorgefundene Architektur wird so einbezogen und zur Kulisse umfunktioniert. Sie wird zum Drehort für die potentiellen Handlungsabläufe, die innerhalb des stillgelegten Ladens möglich scheinen. Im Maßstab wird das Geschäft für die Besucher/innen durch die Eingangstür durchquerbar sein, aber etwas unter den üblichen Maßen liegen. So werden sie zu Protagonist/innen innerhalb einer passagenhaften Situation, eines Momentes der schwellenartigen Verwandlung. Die minimale Maßstabsverschiebung ist dabei als Störfaktor eher spür- als direkt wahrnehmbar und bezeugt einmal mehr Haakes Affinität zum Modell als Mittel der Verdichtung. Die Arbeit bleibt in ihrer Modellhaftigkeit Skizze und offenbart so, nach Michel de Certeau, die „Fremdheit des Alltäglichen“. Gleichzeitig sind die einzelnen Bestandteile des verlassenen Ladens bis ins Detail ausformuliert, um Lebenswirklichkeit zu simulieren – Farbgebung, Materialität, Türgriff, Mauerwerk, Fingerabdrücke auf dem Glas oder Ansammlungen von Schmutz kreieren ein Gesamtbild, das Realität verdichtet, Leere umkreist und Zeit speichert. Als zu durchquerender Raumteiler wird Haakes Ladengeschäft zur sinnbildlichen Schwelle, zu einem Übergangsmoment, in dem die Vergangenheit noch spürbar ist und die Zukunft in ihren vielfältigen Möglichkeiten bereits aufscheint.

Um das verlassene Ladengeschäft als Kernstück der Ausstellung gruppieren sich weitere Arbeiten, die ähnliche Themenbereiche umkreisen und in ihrer durchdachten Anordnung ein Netz an Bezügen choreografieren.

Den Auftakt macht Blister. Mit dem Entstehungsjahr 2010 ist dieser Rahmen mit goldenen Quadratformen die einzige Arbeit, die nicht eigens für die Präsentation in der GAK neu produziert wurde. Dennoch fügt sie sich präzise in das Spiel um Erinnerung und Leere. Darüber hinaus belegt sie, wie sehr Haake der Aufladung des Objektes nicht nur durch den Nachbau von Erinnertem auf der Spur ist, sondern dass es durchaus das Vorgefundene, Banale direkt sein kann, dem in seinem Werk ein außergewöhnlicher Stellenwert zugewiesen wird. Denn was in Blister so goldglänzend daherkommt, an eine Ansammlung minimaler Goldbarren denken lässt und seine Aura erhaben auf das Papier seiner unmittelbaren Umgebung überträgt, ist nichts anderes als eine handelsübliche Nahrungsmittelverpackung. Konkreter: die Unterlegplatte einer Lachsverpackung. Und die kleinen Ausstrahlungen, die vom Gold der Plastikverpackung auszugehen scheinen, entpuppen sich als Brandspuren, die beim Auslasern des Passepartouts entstanden. So unterläuft Blister alle im ersten Moment geweckten Erwartungen und blickt neu auf das, was übrig bleibt, wenn alles gegessen ist.

Die akkurate Anordnung von Quadratformen bei Blister führt zu der gerahmten Arbeit in der benachbarten Nische. Sie zeigt einen Zeitungsausschnitt, ein Bild, das der Künstler in einer alltäglichen Geste ausgerissen und den umgebenden Text weggeknickt zu haben scheint. Die so in den Vordergrund gerückte Abbildung zeigt die atmosphärisch aufgeladene Aufnahme einer leer stehenden Halle. Zeitlich oder geografisch ist sie in ihrer nüchternen Architektur kaum einzuordnen. Ihre ursprüngliche Funktion ist ebenfalls schwer auszumachen, von Lagerhalle über Bunker bis Supermarkt ist alles möglich. Deutlich ist dagegen, wie sehr die Neutralität der Architektur im Gegensatz zu deren aufgeladener Darstellung im Bild steht. Auch die Bildunterschrift beinhaltet keine für das Zeitungsmedium übliche, zielgerichtete Information, sondern ist eher lyrisch-symbolisch zu lesen: „ein Auszug: weißer Hallenboden“. Alles scheint plötzlich mit Bedeutung angereichert. Und so wundert es nicht, dass es sich keineswegs um ein gefundenes Zeitungsbild handelt, sondern um eine Gesamtsituation, die von Christian Haake bis ins Detail komponiert wurde: Die Abbildung ist eine Aufnahme des ursprünglichen Modells, aus dem die ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Wandarbeit Weiße Halle (Auszug) hervorging. Diese Aufnahme hat der Künstler auf Zeitungspapier drucken lassen. Der Boden der abgebildeten Halle besteht nicht aus Bodenfliesen, sondern aus den Abdrücken von Verpackungen wie dem benachbarten Blister. Die Bildunterschrift wurde dem Bild gezielt beigegeben. Die nachlässig wirkende Faltung, die die Zweidimensionalität des Papiers aufhebt und in eine Objekthaftigkeit überführt, ist äußerst akkurat. Die Rahmengröße, die die Banalität des Zeitungsbildes bricht, hat das exakt genormte Format einer aufgeschlagenen Tageszeitung wie etwa der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung. Und der seitlich sichtbare Text...

Mit der Durchquerung der Eingangstür von Haakes Ladeninstallation verlassen die Besucher/innen die neutrale Helligkeit des vorderen Ausstellungsbereiches und betreten eine durch Lichteffekte szenisch aufgeladene Situation. Die rückseitige Stirnwand der GAK zeigt, durch die Schaufenster des raumfüllenden Ladengeschäfts bereits zu erkennen, den Film White Elephant. Zu sehen ist eine Fahrt durch eine leerstehende Einkaufspassage mit verlassenen Geschäften und weiten, menschenleeren Fluren. Eine labyrinthische und keiner Dramaturgie folgende kinematografische Vision von unendlichem Leerstand im Loop. Was der Film nur unterschwellig offenbart – auch hier handelt es sich um ein imaginiertes Bild der Wirklichkeit und nicht um deren direktes Abbild. Christian Haake hat zunächst ein detailreich ausformuliertes Modell der Situation geschaffen, um dieses anschließend abzufilmen. Ein erinnertes Sinnbild für gescheiterte Hoffnungen. Der begleitende Ton besteht aus einem Zusammenschnitt aus unterschiedlichen Kinofilmen, alle in einem Moment aufgenommen, in dem die Handlung stockt, niemand spricht, „nur“ Blicke getauscht werden oder die Kamera eine Landschaft entlangfährt. Das Ergebnis ist ein dumpfes Grollen, das den Film unterschwellig begleitet und seine Atmosphäre weiter auflädt, dabei aber kaum als offensichtliche Tonspur wahrzunehmen ist. Der Ausdruck White Elephant, gleichzeitig Titel des Filmes wie auch der gesamten Ausstellung in der GAK, knüpft inhaltlich an die Darstellung der meisten in der GAK gezeigten Arbeiten an: Beschreibt er doch einen wertvollen Besitz, den sein Eigentümer nicht sinnvoll verwerten kann und dessen Unterhaltungskosten seinen eigentlichen Wert übersteigen. Bezugnehmend auf den weißen Elefanten, dessen Besitz in Südost-Asien einerseits zwar Sinnbild für Macht und Reichtum ist, andererseits aber durch die entstehenden hohen Kosten seiner Unterhaltung in die Armut führen kann, beschreibt der Begriff in unserem Kulturkreis die fehlgeschlagenen Investitionsprojekte gigantischer, heute leer stehender Einkaufspassagen, -malls und -landschaften nach amerikanischem Vorbild, die nur noch als Steuerabschreibungsobjekte genutzt werden.

Im anschließenden Seitenraum der GAK findet sich mit der Wandarbeit Weiße Halle (Auszug) eine weitere Ausformulierung architektonischen Leerstandes als Zeitspeicher und Schwellenmoment. Hier ist es das maßstabsverkleinerte Abbild eines Hallenbodens, in den der Künstler die Spuren einer imaginierten Zeit sorgfältig eingearbeitet hat: Die Fliesenformate verändern sich und legen so unterschiedliche Raumnutzungen in der Vergangenheit nahe, der Belag ist unterschiedlich abgenutzt und lässt Reste einer ursprünglichen architektonischen Aufteilung erkennen. Die sorgfältige Behandlung noch des kleinsten Details offenbart stark malerische Qualitäten. Wieder wird der feine Riss offensichtlich, der bei den Arbeiten von Christian Haake zwischen Wirklichkeit, Wahrnehmung und kollektiver wie individueller Erinnerung verläuft. In ihrer quadratischen Bodenanordnung verbindet sich die Weiße Halle (Auszug) auf formaler Ebene mit Blister aus dem Eingangsbereich der Präsentation. Und tatsächlich sind es Nahrungsmittelverpackungen dieser Art, aus denen sich die Ausformung des Belages von Weiße Halle (Auszug) speist. Inhaltlich gibt es eine direkte Verknüpfung zum gerahmten Zeitungsbild in der Eingangsnische der Ausstellung, zeigt die dortige Abbildung doch ein Vorstadium von Weiße Halle (Auszug). Auf diese Weise findet sich der Anfang im Ende wieder und alles ist in allem enthalten.

Kuratorin: Janneke de Vries

White Elephant ist Christian Haakes erste institutionelle Einzelausstellung. Es erscheint ein Katalog.

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Christian Haake
White Elephant
Kurator: Janneke de Vries